Meiningen. Gunther Strohbusch, der stellvertretende Meininger Bürgermeister, hämmert immer wieder auf den Zapfhahn. Von Amts wegen besitzt er einige Übung im Freibier-Fass-Anstich. Doch diesmal zur Eröffnung der Meininger Marktschreiertage läuft’s nicht. Es riecht nach Bier, aber es sprudelt kein Bier. Flugs erhalten die Schaulustigen volle Becher aus dem Ausschank-Wagen nebenan.

„Das ist Sabotage mit dem Freibier“, plärrt der Wattwurm herüber. „Schon in Suhl hat man drauf rumgehämmert und nix aus dem Fass rausgekriegt.“ Die Sonne lacht, der Wattwurm ist gut gelaunt und die Bier-Panne eine prächtige Vorlage für einen frechen Spruch aus trockener Kehle. Doch gleich darauf geht’s bei ihm wieder um die Wurst. Seine Stimme hallt über den Meininger Marktplatz. „Weiter geht’s im Rhythmus, weil heut alles weg muss “, reimt er ins Mikro und nimmt zwei potenzielle Kunden ins Visier. „Die Tüte Wurst mit einem Schinken obendrauf für 10 Euro, mit drei Schinken für 15 Euro.“ Und während er vergnügt seine Tüten vollpackt, ist er schon wieder der geschäftstüchtige Reim-Meister: „Leute kauft. Heute geht alles raus für kleine Micki-Maus.“

Der Wattwurm, der eigentlich Jan Hoffmann heißt und schon die Hälfte seines 33-jährigen Lebens als Marktschreier durch Deutschland tingelt, ist ein vertrautes Gesicht in Meiningen. Die vergangenen Jahre hat er immer zu Pfingsten mit seinen Marktschreier-Kollegen in der Theaterstadt Station gemacht. Seine Wurst kommt aus der Magdeburger Börde. „Ist alles vom Schwein. Denn Rinder konnten wir nicht klauen. Die waren alle angepflockt“, verpackt er seine Kundeninfos in launige Worte.
Das lauthalse Treffen hat eine lange Tradition in Meiningen. Vor 20 Jahren kam die Gilde der Marktschreier erstmals hierher, seitdem immer wieder. Wer in den Anfangsjahren dabei war, erinnert sich gut an die Menschenmassen, die durch die Luft fliegenden Bananen und Würste, die vollen Tüten, die die Leute nach Hause schleppten. Bei den Marktschreiern rollte damals der Rubel. Es geht das Gerücht um, dass sie in den 90er Jahren so gute Geschäfte in Meiningen machten, dass die Sektkorken knallten und sie abends mit einer Schubkarre voll Geld übern Markt fuhren.

Die Zeiten haben sich geändert. Heute sind die Händler froh, wenn ihre kleine Handkasse nach Feierabend einigermaßen gefüllt ist. Mancher Mitstreiter geriet in finanzielle Schieflage und musste aufgeben. „Die Krise geht an den Marktschreiern nicht spurlos vorbei. Das ist ein verdammt schweres Geschäft geworden“, sagt André König. Der Geschäftsführer einer Messe- und Marketingfirma aus Suhl veranstaltet die Marktschreier-Tage. Zuvor war die Truppe mit den strapazierfähigen Stimmbändern in Stralsund. Es ist nicht gut gelaufen dort. „Nur Regen“, sagt König knapp und hofft, dass hier in Meiningen das Wetter besser mitspielt. Er ist froh über das breite Angebot. Marktschreier bieten Gardinen, Fisch, Wurst, Nudeln, Blumen und Käse feil, sorgen mit ihren frechen Sprüchen und Wortgefechten für Heiterkeit beim Publikum und haben noch eine bunte Schar fliegender Händler im Schlepptau mitgebracht.

König weiß, dass es nach 20 Jahren allmählich Zeit wird, sich etwas Neues einfallen zu lassen. Er hat schon eine Idee. Ihm schwebt vor, zeitgleich mit den Marktschreier-Tagen ein Gartenfest mit Ausstellung im Meininger Schlosspark zu veranstalten, um ein breites Publikum zu Pfingsten nach Meiningen zu locken – das erste Mal vielleicht schon in zwei Jahren. Mit Gartenfesten kennt er sich aus. Veranstaltungen dieser Art finden unter seiner Regie in diesem Jahr unter anderem in Kloster Veßra, Coburg, Bad Liebenstein und Bad Brückenau statt.

Meiningen würde er gern als weiteres Glied in diese Kette aufnehmen. „Wir müssen versuchen, die Marktschreier-Tradition am Leben zu halten. Wenn die einmal weg ist, lässt sie sich nicht wieder aufbauen“, ist König überzeugt. (hi)

Die Marktschreier sind bis Pfingstmontag in Meiningen. Der Markt beginnt täglich um 9 Uhr (sonntags um 11 Uhr) und endet um 18 Uhr.