Meiningen. Der Spruch „Früh übt sich, wer ein Meister werden will“ trifft auf die Kinder, die mit viel Spaß ihre ersten frühmusikalischen Übungen in der Max-Reger-Musikschule machen, nur bedingt zu. Nicht aus jedem soll ein Meister werden. Aber jeder soll seine Freude am Singen und Musizieren entdecken. Auch, um später das Leben zu meistern.

Noch etwas zögerlich schlagen Ann-Elisabeth, Johann, Oskar und Marvin anfangs auf die Trommel. Jeden Dienstag kommen sie nachmittags zur musikalischen Früherziehung von Dorothea Smendek in die Max-Reger-Musikschule. Zu Klängen eines Renaissance-Tanzes gehen die Vier- und Fünfjährigen im Kreis, lauschen der Musik, sollen dabei den Rhythmus aufnehmen und auf die Trommel schlagen. Keine ganz leichte Aufgabe, weil sie konzentriertes Mitarbeiten erfordert. Doch schon beim „Stimme suchen“ haben die Kinder Freude. „Klopft mal mit dem Finger unterhalb eures Kehlkopfs. Und jetzt besucht das Vögelchen den Bär und macht ,Pip, pip, pip‘. Der Bär ist aber müde und gähnt laut ,Hoahhh, Hoahhh‘. Und nun kommt ein Bienchen „sssit“ und noch ein zweites Bienchen „sssssssssssit, sssssssssssit“.

Singen und hüpfen


Ann-Elisabeth, Johann, Oskar und Marvin werden zunehmend lockerer. Sie singen Kinderlieder und hüpfen, tanzen, krabbeln, springen dazu. Als die vier schließlich gemeinsam ins lustige Lied vom „einsamen, grauen Eselchen, das mit dem Hinterteil wackelt, grad wie es ihm gefällt“, einstimmen, sind sie bereit. „Ich, ich, ich“, rufen die aufgeweckten Kinder, als es darum geht, die Triangel, die Rassel und andere Schlaginstrumente zu verteilen. Am Ende des dreiviertelstündigen Unterrichts stellen sie sich stolz vor dem Notenständer auf. Einige können schon die groß geschriebenen Noten lesen. Die nicht ausgemalte ohne Hals ist eine Ganze Note, die nicht ausgemalte mit Hals eine Halbe, die schwarz ausgemalte mit Hals eine Viertelnote und die schwarz ausgemalte mit Hals und Fähnchen eine Achtelnote. Dann musizieren und singen sie zusammen mit ihrer Lehrerin, die sie am Klavier begleitet. Am Ende des Unterrichts bekommen alle fürs Mitmachen einen Stempel mit einem Huhn auf den Handrücken gedrückt. Ann-Elisabeth, Johann, Oskar und Marvin sind glücklich.

Vor der Tür warten schon Mama, Papa, Oma oder Opa und die Kinder der nächsten Gruppe. Marvins Mama hat, so erzählt sie, bereits an der Max-Reger-Musikschule Klavier gelernt und später Klarinette im ehemaligen Pionierblasorchester gespielt. „Es war eine schöne Zeit, ich habe meine Freizeit sinnvoll verbracht. Deswegen möchte ich, dass Marvin einmal im DRK-Jugendorchester spielt“, sagt die junge Frau, die in einem Steuerbüro arbeitet.

Opa mag Blasmusik

Die fünfjährige Vivian, die in einer anderen Gruppe seit einem Jahr musikalische Früherziehung bei Dorothea Smendek erhält, nimmt seit April bereits Geigenunterricht bei Marion Lindner. Das Instrument hat sie sich selbst ausgesucht. Die kleine Geige faszinierte sie und sie wollte darauf spielen lernen. Das Üben macht Freude, sagt Vivian und lacht. Ihr Opa bestätigt es, gesteht aber, dass er selbst lieber Volksmusik mag – „die tschechische Blasmusik“. Aber durch die Enkeltochter höre er jetzt hin und wieder auch klassische Musik.

Ähnliches erzählt die Mama von Elijah. „Ich habe früher nie eine Beziehung zur Klassik gehabt, aber jetzt höre ich mit meinem Sohn immer die Kinder-Klassik-CDs, die er sehr mag. Ich hab‘ ihm schon gesagt: Elijah, jetzt kann ich noch was von dir lernen!“ Der vierjährige Elijah, der schon ein Jahr zum frühmusikalischen Unterricht kommt, wollte am liebsten Schlagzeug lernen. „Aber das haben wir, nicht nur wegen des Lärms beim Üben zu Hause, erst mal hintangestellt“, sagt die Mama, die als Büroangestellte arbeitet. Demnächst soll Elijah erst mal im Klarinettenunterricht von When-Chen Theile anfangen.

Große Lernfreude

„Ich bin immer wieder erstaunt, wie gern die Kinder lernen“, sagt Dorothea Smendek. Die Gesangslehrerin studierte an der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ in Weimar. Seit drei Jahren liegt die frühmusikalische Ausbildung an der Max-Reger-Musikschule in ihren Händen. Rund 60 Kinder im Vorschulalter unterichtet sie wöchentlich. Der Kindergarten Im Park kommt vormittags mit zwei Gruppen in die Musikschule. In den Kindergarten Regenbogen geht sie zum Unterrichten. „Die Eltern entscheiden vorher selbst, ob ihr Kind teilnehmen soll, die Kosten von monatlich zehn Euro sind sehr gering“, erläutert die Lehrerin. Für Einzelanmeldungen gibt sie nachmittags weiteren frühmusikalischen Unterricht in kleinen Gruppen.

„Die musikalische Früherziehung ist ein sehr wichtiges Fundament und eine Vorbereitung für den zukünftigen Instrumentalunterricht sowie die spätere musikalische Entwicklung“, sagt die Klarinettenlehrerin When-Chen Theile und begründet: „Die Kinder, die daran teilgenommen haben, sind meistens schon erfahren mit Rhythmus und Klang und besitzen ein musikalisches Körpergefühl. Ihr Zugang zur Musik ist leichter und ohne Berühungsängste.“

Die Klarinettenlehrerin startet ab dem Schuljahr 2010/2011 ein neues Projekt. „Für kleine Kinder ab fünf Jahren, die schon auf der Klarinette spielen möchten, bieten wir das neue Instrument Saxonett an. Es ist ein Einstiegs-Blasinstrument mit Klarinettenmundstück und Blöckflötenkorpus ohne komplizierte Klappentechnik.“ Das Saxonett sei ideal für kleine Kinder, die noch wenig Luftvolumen und kleine Hände haben. Es sei leicht zu erlernen, biete aber schon ein richtiges „Klarinettengefühl“ mit baldigen Erfolgserlebnissen.

„Der Unterricht auf diesem Instrument findet spielerisch statt, legt aber schon alle wichtigen Fundamente für den späteren Klarinettenunterricht“, erklärt When-Chen Theile.

Gutes Gehör

Im Gegensatz zu früher haben viele Eltern und Kinder erkannt, dass man auch schon mit vier oder fünf Jahren Violine spielen kann. „Die Voraussetzungen, die man mitbringen muss, sind ein gutes Gehör und motorische Fähigkeiten. Deswegen sehe ich mir die Kinder vorher an“, sagt Marion Lindner, die seit 32 Jahren Violine an der Max-Reger-Musikschule unterrichtet. Derzeit hat sie knapp 40 Schüler, darunter fünf Vier- und Fünfjährige. „Es ist sinnvoll früh zu beginnen, aber die Kinder müssen sich schon konzentrieren können. Das Musikalischsein allein reicht nicht aus.“ Aus diesem Grund schätzt auch die Violinlehrerin den frühmusikalischen Unterricht. „Die Kinder werden rhythmisch geschult, haben viel Bewegung und können dadurch auch mal eine Weile ruhig sitzen und zuhören.“ Diese Kinder haben es leichter, ein Instrument zu erlernen.

„Viele Anmeldungen hat die Musikschule nach Musikschulkonzerten. Wenn die Kinder andere Kinder sehen, wie diese schon auf einer kleinen Violine spielen können, wollen sie das auch lernen“, so die Erfahrung von Marion Lindner. Schon im ersten Unterrichtsjahr erhalten die meisten zusätzlich Orchesterunterricht, in welchem sie miteinander musizieren, sich gegenseitig ermuntern, verbessern und natürlich viel Spaß haben. Fast alle bleiben am Instrument dran, nur wenige geben auf, oft erst, wenn sie zum Studium gehen. Aber sie kommen immer gerne wieder zu Orchesterauftritten. Daran habe sich in den drei Jahrzehnten nichts geändert, sagt die Violinlehrerin.

Dorothea Smendek bedauert, dass heute trotz musikalischer Früherziehung viele Kinder auf der Strecke bleiben. „Ich bin immer wieder erstaunt, wie gern Kinder lernen. In allen steckt ein großes Potenzial, das aber bei den wenigsten gefördert wird, weil die Bedingungen fehlen.“ Das Problem: Noch viel mehr Kinder könnten musikalische Früherziehung bekommen, aber der spätere Unterricht, beispielsweise für Flöte, Gitarre und Klavier, ist ausgebucht, es gibt Wartelisten, weil die Stunden für die festangestellten Lehrer und die Honorarkräfte limitiert sind.

Ungerecht verteilt

Dazu erklärt der Musikschuldirektor Matthias Bretschneider: „Wir gehören zum Zweckverband Kultur des Landkreises Schmalkalden-Meiningen und bekommen von ihm eine Jahreswochenstundenzahl vorgeschrieben, die wir nicht überschreiten dürfen. Wir könnten wachsen, wenn wir dürften. Vor einigen Jahren hatten wir in Kaltensundheim eine Außenstelle eröffnet, auch mit dem Fach Musikalische Früherziehung. Nach einem Jahr wollten fast alle ans Instrument, aber unser Jahreswochenstundenlimit gab das nicht her, so dass wir die Musikalische Früherziehung wieder einstellen mussten.“

Das Problem liege in den Lohnkosten, die gesenkt werden sollen. Innerhalb des Zweckverbandes Kultur seien jedoch die finanziellen Mittel, so hat der Meininger Musikschuldirektor jetzt herausgefunden, ungerecht verteilt. „Während in Meiningen die Stunden immer weiter runtergefahren wurden, wurden sie in Schmalkalden erhöht“, kritisiert Matthias Bretschneider. Im Altkreis Meiningen mit dem Bereich Zella-Mehlis, der von der Max-Reger-Musik-Schule mit betreut wird, würden deutlich mehr Menschen leben. Deshalb sei es eine selbstverständliche Forderung, hier auch mehr Unterrichtsangebote bereit zu stellen, sagt der Meininger Musikschuldirektor. Da sollte also etwas geändert werden. Aber das ist noch Zukunftsmusik … Carola Scherzer