Lehrer in Teilzeit Kleine Quote, große Debatte

Bruchrechnen gibt es auch bei den Lehrer-Stellen – durch Teilzeit-Modelle. Doch in Thüringen geht die Rechnung „mehr Vollzeit = mehr Lehrer“ nicht auf. Foto: imago/momentphoto/Killig

Eine wissenschaftliche Kommission empfiehlt, mehr Lehrer in Vollzeit arbeiten zu lassen, damit weniger Unterricht ausfällt. Die Reaktionen auf den Vorstoß sind heftig; auch in Thüringen.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Es war ziemlich absehbar, dass es sich wirklich so entwickeln würde, wie Olaf Köller es prophezeit hatte. „Es wird natürlich Gegenwind von den Lehrerverbänden geben, die sich schützend vor die Lehrkräfte stellen“, hatte der Vorsitzende der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission der Kultusministerkonferenz vor wenigen Tagen gesagt, als ein Gutachten dieses Gremiums vorgestellt wurde. „Empfehlungen zum Umgang mit dem akuten Lehrkräftemangel“, steht auf dem Deckblatt dieses Papiers. Auf Seiten elf und zwölf wird es dann – genau: absehbar – besonders kontrovers: Auf diesen beiden Seiten nämlich fordert die Kommission – deren Abkürzung SWK lautet – im Wesentlichen, die Lehrer, die heute in Teilzeit unterrichten, sollten in Zukunft mehr und am besten in Vollzeit arbeiten. Das sollten die Länder nicht nur als Bitte an die Pädagogen herantragen, sondern auch entschlossen durchsetzen.

Wenn schon, dann Vollzeit arbeiten

„Die SWK empfiehlt, die Möglichkeit zur Teilzeitarbeit zu begrenzen“, steht in den Papier. „Hier liegt die größte Beschäftigungsreserve. Bereits eine maßvolle Aufstockung der Arbeitszeit aller teilzeitbeschäftigten Lehrkräfte hätte erhebliche Effekte.“ Überhaupt solle Lehrern nur in Ausnahmefällen erlaubt werden, weniger als 50 Prozent – gemessen an einer Vollzeitstelle – zu arbeiten; zum Beispiel dann, wenn sie eigene kleine Kinder zu betreuen hätten.

Die große Hoffnung der Kommission: Wenn mehr Lehrer mehr Unterrichtsstunden geben, fällt nicht mehr so viel Unterricht aus wie in den vergangenen Jahren. Dies, so die Überlegung, gelte umso mehr, da die Rekrutierung von Nachwuchslehren langwierig und nur bedingt steuerbar ist, während die Teilzeit-Pädagogen heute schon da sind, nicht erst noch studieren und eingestellt werden müssen.

So einleuchtend das Argument der SWK aber auch klingen mag, so vehement ist doch der Widerstand dagegen. Befürworter des Vorstoßes gibt es in der öffentlichen Debatte nur wenige. Dafür umso mehr Kritik. Es vergeht kaum ein Tag, indem sich nicht irgendein Lehrer-Lobbyist ausgesprochen harsch zu dem Mehr-Vollzeit-Vorschlag äußert.

Die Thüringer Bildungsgewerkschaft GEW beispielsweise nennt den Vorstoß der Kommission einen „Ausdruck ihrer Hilflosigkeit“. Die Idee, Lehrer sollten mehr arbeiten, verkenne völlig, „dass die Überlastung der Lehrkräfte allgegenwärtig ist“. Nicht zufällig gebe es eine anhaltend hohe Zahl von langzeitkranken Lehrern. Viele Pädagogen würden versuchen, so früh wie möglich in den Ruhestand zu kommen, „um den auf Dauer krankmachenden Arbeitsbedingungen zu entfliehen“. Die Landesvorsitzende der GEW, Kathrin Vitzthum, sieht in Teilzeit-Modellen für Lehrer deshalb einen Beitrag zum Schutz von deren Gesundheit. „Daran werden wir festhalten, denn niemand arbeitet ohne gute persönliche Gründe in Teilzeit“, sagt sie.

Der Thüringer Lehrerverband tlv spitzt in seiner Stellungnahme noch ein bisschen weiter zu. Die Vorschläge der Kommission seien „ausnahmslos abzulehnen – und zwar mit aller Vehemenz“, sagt Tim Reukauf, der Mitglied der erweiterten Landesleitung des tlv ist. „Versäumnisse der Politik sollen nun brutal auf den Rücken derjenigen ausgetragen werden, die am wenigsten dafür können: die Lehrerinnen und Lehrer, die sowieso schon seit Jahren in einem System absoluten Mangels tagtäglich bis an ihre Belastungsgrenzen und darüber hinaus gehen“. Die Arbeitsbedingungen in den Schulen seien nur noch mit dem Wort „prekär“ treffend zu beschreiben.

So viel Teilzeit gibt es gar nicht

So erwartbar diese Reaktionen sind, so einerseits unnötig und andererseits bezeichnend sind sie allerdings. Jedenfalls in Thüringen. Denn die Vehemenz, mit der sich die Lehrerverbände im Land gegen den Mehr-Vollzeit-Vorschlag wehren, erweckt den Eindruck, tausende und abertausende Lehrer im Freistaat müssten bald viel mehr arbeiten, wenn die Idee tatsächlich umgesetzt würde.

In der Realität ist das nicht so. Denn an den staatlichen Schulen im Land gibt es gemessen am Bundesdurschnitt schon heute nur relativ wenige Lehrer, die heute überhaupt in Teilzeit arbeiten. Gänzlich anders ist die Lage nur an den freien Schulen in Thüringen, an denen allerdings viel weniger Schüler lernen als an den staatlichen Schulen, die viel weniger Lehrer beschäftigen, die mit dem Unterrichtsausfall kleinere Probleme haben als die staatlichen Schulen und auf deren Personalpolitik die Kultusminister beziehungsweise die Länder ohnehin keinen unmittelbaren Einfluss haben. Die freien Schulen immerhin suchen sich ihr Personal selbst, während das Land die Lehrer für die staatlichen Schulen rekrutiert und sie in der Regel sogar verbeamtet.

In groben Zahlen: Nach den Daten des Thüringer Bildungsministeriums arbeiten an den staatlichen Schulen im Freistaat im Gesamtdurchschnitt derzeit etwa 19 Prozent der Lehrer in Teilzeit. Nur an den Gesamtschulen ist die Teilzeitquote mit etwa 24 Prozent ein wenig höher, an Förderschulen und Berufsschulen mit 16 und 14 Prozent etwas niedriger. Dabei zeigt sich, was sich auch sonst auf dem Arbeitsmarkt zeigt: Frauen arbeiten auch an den staatlichen Schulen deutlich häufiger als Männer nicht in Vollzeit. Während in Thüringen 22 Prozent der staatlichen Lehrerinnen in Teilzeit arbeiten, sind es bei den Lehrern 9 Prozent.

Ein Vorschlag für den Westen

Im Bundesdurchschnitt liegt die Teilzeitquote bei Lehrern dagegen nach Angaben des Bundesamtes für Statistik bei 40 Prozent, was vor allem daran liegt, dass es in großen und kleinen Bundesländern im Westen insbesondere für Frauen – anders als im Osten – üblich ist, einen Teilzeitjob zu haben. In Bremen und Hamburg beispielsweise arbeiten 51 Prozent der Lehrkräfte in Teilzeit, in Baden-Württemberg 47 Prozent, in Schleswig-Holstein 44 Prozent.

Mehr Unterricht, weniger verwalten

Nach Einschätzung des Landes-Bildungsministeriums würde es deshalb auch für die Unterrichtsabsicherung im Freistaat kaum etwas bringen, dem Vorschlag der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission zu folgen und die Teilzeitmöglichkeit für Lehrer stärker zu reglementieren. Das ist ein zentraler Grund, warum Thüringens Bildungsminister Helmut Holter (Linke) sagt, diese Idee „muss in Thüringen anders diskutiert werden“. „Wir haben hier kein akutes Problem in diesem Bereich“, sagt er. Sein grundsätzliches Ziel sei es, „ein Paket zu schnüren“, um sicherzustellen, dass weniger Unterricht ausfällt. Dabei könne es nicht nur um einseitige Mehrbelastung von Lehrern gehen, „sondern auch um Entlastungen, so etwa von nichtpädagogischen Aufgaben“.

Ähnliches ist auch von Vertretern der freien Schulen zu hören, die tatsächlich viel mehr Teilzeit-Lehrer an ihren Einrichtungen haben als der Freistaat Thüringen an seinen Schulen. Zuletzt hat die Zahl der Teilzeit-Lehrer an den freien allgemeinbildenden Schulen die Zahl der dort tätigen Vollzeit-Lehrer sogar leicht überholt: Im Schuljahr 2021/22 waren dort nach amtlichen Daten 991 Lehrer in Teilzeit und 951 in Vollzeit angestellt, was eine Teilzeitquote von 51 Prozent bedeutet. Auch in den Jahren davor war die Situation vergleichbar. Als grobe Faustformel kann gelten, dass schon lange nur etwa die Hälfte der Lehrer an freien Schulen in Vollzeit arbeiten.

Nach Angaben des Geschäftsführers Landesarbeitsgemeinschaft der freien Schulträger in Thüringen, Christian Werneburg, ist ein Grund für diese hohe Zahl von teilzeitbeschäftigten Lehrern an diesen Einrichtungen, dass „die arbeitnehmerfreundliche Anstellungspraxis“ der Träger dieses Jobmodell fördert. Wenig überraschend sieht auch er deshalb den Mehr-Vollzeit-Vorschlag der Kommission eher zurückhaltend. „Aus meiner Sicht kann der Weg einer Aufgabenentlastung der Lehrkräfte von Organisations- und Verwaltungsaufgaben durch verschiedene Assistenzkräfte ein guter Weg sein, den vorhandenen Lehrkräften wieder mehr Zeit für die Arbeit mit den Schülerinnen und Schülern zu ermöglichen“, sagt er; was ziemlich genau der Idee entspricht, die auch Holter hat. „Möglicherweise tragen diese Entlastungen dann dazu bei, wieder mehr Pädagoginnen und Pädagogen für eine Vollzeitbeschäftigung gewinnen zu können“, sagt Werneburg.

Am Geld allein liegt es nicht

Viel wichtiger als eine Debatte über Voll- oder Teilzeit, sagt Werneburg, sei deshalb die Einsicht, dass sich der bundesweite Lehrkräftemangel nicht durch finanzielle Anreize oder Verbeamtung beheben lasse. Auch das habe die Kommission immerhin erkannt. Vielmehr müsse der Lehrerberuf für viele Menschen wieder eine Berufung werden und „und den Pädagoginnen und Pädagogen die Freude am Unterricht lassen“, sagt Werneburg. „Oder anders gesagt: Geld allein macht weder glücklich noch löst es die Probleme unseres Bildungssystems.“

Alles in allem ist die Vehemenz, mit der die Debatte um das Kommissionsgutachten in Thüringen geführt wird, deshalb vor allem ein Ausdruck dafür, wie schwer sich selbst kleinste Veränderungen im deutschen Bildungswesen durchsetzen lassen. Was aber passiert, wenn sich substanziell nichts ändert an den Strukturen in den deutschen Schulen und der Schulverwaltung, das hat Köller – der Mann von der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission – ebenfalls schon vorausgesagt: Dann werde Deutschland „Generationen von Bildungsverliererinnen und -verlierern produzieren“.

Autor

Bilder