PLAUEN – Wegschauen. Begünstigen. Vertuschen. Mit diesen drei Worten beschreibt Rainer Nübel „ein Prinzip in der deutschen Justiz“, auf das die drei Autoren des Buches „Anklage unerwünscht“ in dreijähriger Recherche gestoßen sind. Nübel spricht Klartext: „Je mächtiger jemand ist in Wirtschaft, Politik und öffentlichem Leben, um so weniger ist die Justiz um Verfolgung bemüht.“

Nübel steht am Freitagabend vor rund 300 Zuhörern und zahlreichen Medienvertretern und Kamerateams von ARD bis ZDF im vollbesetzten Kongresssaal des Dormero-Hotels in Plauen. Die Stadt wurde bewusst für die Deutschland-Premiere des Buches ausgewählt. Weil knapp 60 der 300 Seiten ein ganzes Kapitel bilden, das sich unter dem Titel „Verschweigen als System – das Beispiel Plauen“ eben mit dem befasst, was der für diesen Teil verantwortliche Autor Jürgen Roth auch als „Spinnennetz“ oder „Plauener Sumpf“ bezeichnet.

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Freund aus Italien

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Als Roth vor die Mikrofone tritt, herrscht plötzlich gespannte Ruhe. Schließlich wird seit Wochen über den Sachsen-Skandal berichtet, der laut geheimer Verfassungsschutz-Akten enge Verbindungen zwischen kriminellen Netzwerken und hohen Amtspersonen aufdeckt. Jürgen Roth hat einen Teil dieser Akten gelesen, in dem auch Spekulationen um den Tod des ehemaligen Plauener Kripochefs Karlheinz Sporer (wir berichteten) genährt werden. Sporer war im Dezember 1999 erhängt an einem Jägerstand bei Trogenau im Kreis Hof gefunden worden. Gegen Sporer – früher Kommissar bei der Hofer Kripo – war zu dieser Zeit wegen seiner engen Kontakte zur Plauener Unterwelt und dem dortigen Rotlichtmilieu ermittelt worden. Ein Zeuge hatte ihn unter anderem beschuldigt, kriminelle Bauunternehmer vor Razzien gewarnt und dafür kostenlose Dienste von Prostituierten erhalten zu haben. Unter der Überschrift „Ein Kripochef auf Abwegen“ widmet Autor Roth diesem Thema gleich ein ganzes Unterkapitel. Weil wohl die inzwischen vernichteten Verfassungsschutz-Akten über diesen Fallkomplex – die Roth durch seine Kontakte in die Polizeiabteilung des sächsischen Innenministeriums einsehen konnte – eine ganze Menge Informationen zum Thema Sporer boten.

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Stasi und Wessis

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Freilich: Wer an diesem Abend die ganze großen Enthüllungsstorys über die Plauen-Hof-Verbindung und die Verwicklung höchster Amtspersonen in kriminelle Netzwerke erwartet, wird enttäuscht. Das meiste, was Jürgen Roth in seinem Buch schreibt, hatte er bereits in einem Gespräch unserer Zeitung erzählt. Außerdem sind die meisten Namen der Beteiligten anonymisiert. Auch – Roth gibt das unumwunden vor großem Publikum zu – „weil wir keine gerichtsverwertbaren Unterlagen haben“. Aber es gibt neue Blickwinkel auf alte Seilschaften, auf den gewinnbringenden und kriminellen Kontakt zwischen Plauener Ex-Stasi-Leuten und den Wessis in Amt und Würden etwa bei Polizei und Justiz. Relativ neu ist, dass Roth mit „Dominik“ (Spitzname: „Mafiosi“) einen italienischen Freund und ehemaligen Hofer Gastwirt benennt, der ebenfalls im „Plauener Spinnennetz“ saß. Und: Roth bezieht sich im Buch auf „eine Vertrauensperson der Kriminalpolizeiinspektion Hof“ und auf einen Bericht des Polizeipräsidiums Oberfranken über Sporer und sein Treiben. Roth schildert auch einen Besuch von Beamten des Präsidiums Oberfranken im Jahr 1998 beim damaligen Plauener Oberstaatsanwalt Maximilian Strohmayer. Die Kripo-Männer aus Oberfranken unterrichteten Strohmayer über eine Zeugenaussage und einen Telefonmitschnitt, wonach in Plauen drei Richter und ein Staatsanwalt bestochen worden seien. Auch der Kripochef Sporer sei dabei gewesen. Das folgende Ermittlungsverfahren wurde unter dubiosen Umständen eingestellt. Roth im Buch: „Beamte im sächsischen Innenministerium haben noch heute Zweifel, ob diese schweren Vorwürfe nur erfunden waren. Doch die Zweifler wurden durch interne Dienstanweisungen zum Schweigen verdonnert.“

Auf Nachfragen und in etlichen Interviews sagt Roth in Plauen, dass die kriminellen Netzwerke vor allem im Baubereich wohl noch immer funktionieren würden.

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Schanze und A 72

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Beredte Beispiele gibt es dafür im Zusammenhang mit dem Finanz- und Bauskandal um die Autobahn A 72 und den mutmaßlich kriminellen Machenschaften beim Bau der Klingenthaler Skisprungschanze. Roth sagt auch, dass er bei seinen Recherchen im Vogtland „auf so viele Menschen gestoßen ist, die Angst vor Aussagen haben, wie kaum woanders“. Angst, die vom Prinzip des Wegschauens, Begünstigens und Vertuschens geschaffen wird. Wohl auch deshalb ruft Roth an diesem Abend seine Zuhörer mehrmals auf, mit Zivilcourage gegen solche Machenschaften zu kämpfen. Und eben nicht wegzuschauen.