Panama City - Vor einer Woche hatte ich noch eine Wohnung. Kein Zuhause mehr, aber zumindest ein Dach über dem Kopf. Und ein Auto, das hatte ich auch noch. Das steht jetzt abgemeldet in einer Scheune, wartet auf mich. Ebenso wie die Hälfte meiner früheren Möbel und all die Dinge, die mir immer am Herzen gelegen haben. Sie sind eingelagert, bis ich zurück bin. Seit einigen Tagen bin ich wohnsitzlos. Meine Arbeit als Frankenpost-Redakteurin habe ich - natürlich im besten Einverständnis mit meinem Chef - für ein Jahr an den Nagel gehängt. Jetzt sitze ich im feucht-heißen Panama City, ein Glas Rotwein neben mir, und blicke in der früh einsetzenden Dunkelheit hinaus in den gigantisch trommelnden Regen, während im Hintergrund heiße Latino-Rhythmen dröhnen. Schon morgens fließt einem nach einem kurzen Spaziergang ins Cafe der Schweiß über den ganzen Körper. Die Dusche ist nur für den Moment erfreulich. Weltenbummler kennen das zur Genüge.

Warum tut die sich das an? Das wird so einige Menschen umtreiben. Tropische Hitze, hohe Kriminalität, gefährliche Tiere, Machos. Und dann noch als Frau allein! Die Antwort ist einfach. Zumindest für mich, die in Reisen schon immer einen tieferen Sinn gesehen hat als nur an einem Strand vor sich hinzudösen und Cocktails zu schlürfen, als gäbe es kein Morgen mehr. Das Schlimmste, was mich je hätte treffen können, ist der Verlust meines über alles geliebten Partners, Ehemanns und Kollegen Harald Jäckel, den viele als Chap, Chefreporter der Frankenpost, kennen. Knapp 14 entsetzliche Monate mit Krankheit, Furcht, Kampf, Leiden und Hoffen und letztlich Sterben liegen hinter mir. So viel Zeit hatte Chap zwischen Diagnose und Tod leider nicht mehr. Am Ostermontag haben wir unsere große Liebe mit dem Jawort besiegelt. Allerdings war es eine Nottrauung. Die eigentliche Hochzeit mit unseren Trauzeugen wäre eine Woche später gewesen. Das erklärt auch das Datum 28. April 2014 in unseren Eheringen. An besagtem Ostermontag 2014 ist Chap noch am Tag unserer Hochzeit in meinen Armen gestorben. Obwohl er gekämpft hat wie ein Löwe - und das werden all seine Widersacher wissen - hat er den Kampf gegen den Krebs verloren. Weil Chap die Liebe meines Lebens war, kann ich nicht einfach wieder zur Tagesordnung übergehen, mich an all den Orten herumtreiben, wo wir über 14 Jahre zusammen glücklich gewesen sind. Das wird auch erklären, warum schon längere Zeit nichts mehr von mir in der Zeitung zu lesen war.

Das soll sich ändern. Zumindest ein bisschen. Was wir zu zweit als Lebenstraum in acht Jahren im Vorruhestand verwirklichen wollten, unser größtes Hobby in die Tat umzusetzen - das Reisen und Erforschen fremder Länder und Kulturen - das mache ich nun allein. In den vergangenen Monaten habe ich nur noch funktioniert, wie ein Roboter all die bürokratischen Hürden überwunden. Ich bin nur noch eine Hülle, in der einst ein lebensfroher Mensch gesteckt hat. Vielleicht gelingt mir wieder der Schritt zurück ins Leben. Doch das kann nur gelingen mit einem großen Abstand, den ich nach all der schlimmen Zeit so unendlich dringend brauche. Es ist keine Flucht, wie mir manch einer schon zu verstehen gegeben hat. Diese Entscheidung ist wohl durchdacht. Schließlich bin ich Steinbock!

Und daher werde ich in nächster Zeit hin und wieder aus dem fernen Lateinamerika berichten, wo noch einige weiße Flecken zu bereisen sind, die wir gemeinsam nicht mehr geschafft haben. So sitze ich also jetzt in Panama, dem Ausgangspunkt meiner Reise. "Da riecht alles von oben bis unten nach Banane" - Chap hat des Öfteren aus dem Janosch-Kinderbuch zitiert. Mal sehen, ob es stimmt! Zusammen mit Leo habe ich mich auf die große Reise gemacht. Leo, das ist ein plüschener Dreikäsehoch. Ein kleines Zebra, das mir zur Seite steht, wenn ich mal einsamer bin als ohnehin schon. Obwohl ich viele Freunde und natürlich meine Familie zurückgelassen habe, die mich noch mit einer wunderschönen Überraschungs-Party in ein neues Leben entlassen haben. Chap und ich haben den kleinen Kerl, das Zebra eben, von sehr guten Freunden geschenkt bekommen - schon vor etlichen Jahren. Und Leo fand es neben Chap auf dem Sofa immer sehr gemütlich. Da es die Couch für geraume Zeit nicht mehr gibt, musste ich Leo also mitnehmen.

Ankunft in einem anderen Leben

Gleich am ersten Tag in Panama City erlebe ich ein regelrechtes Desaster. Denn Leo ist während meiner Tour zum Panama-Kanal abhanden gekommen. Obendrein durch meine ureigene Schuld. Nicht nur er, sondern gleich mein kompletter kleiner Rucksack (wiegt trotzdem acht Kilo). Voll mit wichtigen Dingen. Mein Kopf droht nach Chaps Tod und der Wohnungsauflösung ohnehin zu platzen. Völlig gedankenverloren - und das passiert mir, stets um Perfektion bemüht -, steige ich aus dem Bus, nehme gerade mal meine Kamera und mein Handy nebst ein paar Dollar-Scheinen in der Hosentasche mit. Mir ist völlig entgangen, dass nicht jener Bus auf die Touris wartet, die bei über 30 Grad den höchsten Gipfel Panama Citys erklimmen wollen. Er gehörte halt zu der Touristen-Linie, auf der man überall zu gewissen Zeiten aufspringen kann. Na klasse! Und das, nachdem mein Flug von Madrid gestern zwei Stunden Verspätung hatte und ich eine Stunde auf mein Gepäck warten musste.

Schweißgebadet erreiche ich - ohne Leo und den Rest - die mit 199 Metern höchste Erhebung der Hauptstadt. Wow! Die Belohnung ist ein sensationeller Ausblick auf Atlantik- und Pazifik-Seite zugleich. Ein Traum. Spektakulär. Müde belächelt von all jenen, die sich mit feinen Schläppchen den Berg im Wagen hinauf chauffieren haben lassen, verbuche ich das unter "Glücksgefühl". Wer braucht schon ein Auto! Der Blick vom Cerro Ancon ist ein absolutes Must! Flora und Fauna sind einfach unglaublich. Irgendwelche gut meerschweinchen-großen Tierchen wuseln durchs Dickicht. Heute nicht, aber in den nächsten Wochen werde ich wohl auschecken, was sich so alles im Dschungel herumtreibt. Wohin allerdings Leo gerade unterwegs ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Zwischen den Reißverschlüssen des Rucksacks eingeklemmt, steckt er seine Nase in den Wind. Und so kann ich Fahrer und Begleitpersonal des nächsten Busses, den ich nach dem Abstieg erreiche, auch erklären, welche Tasche wann und wo verloren gegangen ist. Naja, von mir vergessen wurde. Mit dringend benötigtem Wasser, meinem überlebensnotwendigen Fettstift für die Lippen, die längst ausgetrocknet sind, mit meinem Reisetagebuch und dem neuen Fernglas. Nicht zu vergessen meine Lesebrille, mit der ich nicht mal die winzigen Abfahrtszeiten auf meinem Flyer entziffern kann. Gottseidank sind die zwei Mädels aus der Schweiz an der Haltestelle, die als meine Augen fungieren. Auch das Bus-Ticket für eben diese Weiterfahrt liegt mit im Rucksack.

Ich bin schuld, dass der Bus nicht plangemäß weiterfährt, weil ich die Damen und Herren des Unternehmens mit allem Flehen bearbeite. Es klappt. Tatsächlich kann ich Leo eine halbe Stunde später in die Arme schließen. Natürlich auch all die anderen wichtigen Dinge. Zwei Mitarbeiter eilen mit einem Minibus zum Visitor-Center Miraflores. Mit einer fürstlichen Entlohnung danke ich für die Mühe. Immerhin ist Kriminalität hier schon von anderer Qualität, als wir dies tagtäglich in Deutschland gewöhnt sind. Obwohl!? Mit Rucksack, Leo und neuem Elan betrete ich voller Spannung jenes Terrain, das mich seit Jahrzehnten interessiert: den Panamakanal. Nicht selbst, aber die Besucher-Plattform. Unglaublich, dass dieses Wunderwerk, das Ozeane verbindet, schon 1914 in Betrieb gegangen ist. Just zu jener Zeit, als sich die Deutschen massiv an die Waffen stürzten.

Zum Teil lebensgefährlich ist die Arbeit der Männer, die in winzigen, hölzernen Nuss-Schalen den Giganten kurz vorm Einlaufen in die sieben Schleusen entgegen schaukeln. Sie haben die Aufgabe, das mächtige Seil hinüber zu den Schiffen, die aus aller Herren Länder rund um den Globus die Engstelle passieren, zu transportieren. Ein bis vier Lotsen müssen jedes Mal an Bord dieser riesigen Frachter, um sie sicher durch den Kanal zu geleiten. Binnen acht Minuten sinkt der Koloss vor meinen Augen - und denen mehrer Hunderter Besucher auch - neun Meter tiefer, um das nächste Level zu erreichen. Die Prozedur müssen die Frachtschiffe nicht nur einmal über sich ergehen lassen. Doch somit ersparen sie sich den unglaublichen Umweg rund um Patagonien und wieder hinauf. Parallel zum Kanal - die Entstehung wird eindrucksvoll in einem Museum in Wort, Bild und Film dokumentiert - läuft bereits seit 2007 der Ausbau eines weit größeren Kanals, damit die durch modernere Technik immer monströser werdenden Giganten der Meere künftig ebenfalls den Panama-Kanal durchqueren können. Die 15 US-Dollar Eintritt für das imposante Schauspiel sind durchaus eine lohnenswerte Investition!

Panama zählt gerademal rund drei Millionen Einwohner. Doch die Hälfte davon lebt in Panama City. Viele äußerst wohlhabend, das Gros hingegen in erbärmlichen Hütten oder in längst zerfallenen Kolonialbauten, die peu a peu instandgesetzt werden. Und das zwischen all den glänzenden Hochhäusern, die die grandiose Skyline ausmachen. Der Bedarf der vielen Investoren aus aller Welt, Wissen und Kompetenz in dieser vom Kanal geprägten Metropole zu erweitern, macht sich in der Bildung bemerkbar. Jeder Schüler - zumindest in der Hauptstadt - wird ausgerüstet mit einem Laptop. In dem boomenden Land allerdings bleibt all das Geld der durch den Kanal erwirtschafteten Einnahmen in der City selbst. Die ländliche Bevölkerung bleibt außen vor. Ein bisschen erinnert mich das an München und Oberfranken.

Fürs Erste beende ich gerade nach einer Mosquito-Attacke die Erzählung vom Start in ein neues Leben. Hin und wieder lasse ich von mir hören - in Wort und Bild. Jetzt geht es erst einmal auf die Bocas del Toro, wo ich mir für einen Monat einen Bungalow gemietet habe. Mit dabei in meinem Herzen ist jede Sekunde mein über alles geliebter Chap. Und natürlich Leo, der ebenso wie ich dringend eine Auszeit nötig hat. Adios, hasta pronto!