Münchberg Der Alltag hat ihn wieder, „aber so richtig angekommen bin ich noch nicht“, sagt Jochen Schreib vom Münchberger Rettungsdienst ORMS. Er war einer der ersten deutschen Rettungsexperten, die im Katastrophengebiet von Haiti nach Überlebenden des verheerenden Erdbebens gesucht haben. Die Not, das Elend und der Tod, mit denen er konfrontiert wurde, müssen erst noch verarbeitet werden.

Der 36-jährige war Einsatzleiter eines 22-köpfigen Teams, das quasi als schnelle Einsatztruppe für die UNO unter dem Dachverband des Medizinischen Katastrophenhilfswerks Deutschland (MHW) zusammen mit anderen internationalen Helfern vor Ort war. Das Hilfswerk ist ein gemeinnütziger Zusammenschluss von bundesweit führenden privaten Rettungsdiensten sowie branchenübergreifenden Kooperationspartnern aus ganz Europa.

Während die Welt nach dem Erdbeben, das schwere Verwüstungen angerichtet und Tausenden von Menschen das Leben gekostet hat, noch geschockt nach Haiti schaute, packte der Münchberger bereits seine Tasche. Seine langjährige Erfahrung, die er bei verschiedenen Auslandseinsätzen gesammelt hat, war gefragt: als Chef eines USAR-Teams, einer bodengebundener Such- und Rettungseinheit (Urban search and rescue), die der UNO untersteht. Alle Einsätze fanden deshalb unter dem Militärschutz von UN-Kräften statt.

„Man konnte den Tod riechen“, sagt Schreib nach seiner Rückkehr. Wie eine Glocke habe der Leichengeruch über der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince gelegen. „Auf den Gehsteigen lagen die Toten, an den Straßenrändern wurden regelrecht Sammelstellen eingerichtet.“ Die mit Hilfe von Baggern gegrabenen Löcher hätten für all die Leichen nicht ausgereicht. Aber die Toten hätten aber wegen der Seuchengefahr so schnell wie möglich beseitigt werden müssen. Deshalb seien die Leichen übereinanderschichtet, mit Benzin übergossen und angezündet worden. Stellenweise sei das Benzin ausgegangen. Einwohner hätten auf der Straße Schilder aufgestellt mit der Aufschrift: „Welcome Foreigners. Dead bodies here“. Dies sei die verzweifelte Bitte an die Helfer gewesen, ihre verstorbenen Angehörigen zu bergen.

Das aber war nicht die Aufgabe der Rettungsexperten um Jochen Schreib. Sie waren gekommen, um Leben zu retten. Das zweier Kinder hatten sie bereits auf dem Weg von der Dominikanischen Republik, über die sie nach Haiti einreisen mussten, gerettet. Nachdem in einem an der Grenze gelegenen Krankenhaus, in das Verletzte mit Hubschraubern aus der haitianischen Hauptstadt eingeflogen wurden, das Narkosegas ausgegangen und war, konnten die medizinisch gut ausgerüsteten MHW-Retter aushelfen. Auch als Assistenten bei den Notoperationen.

Zusammen mit über 40 Rettungsteams aus der ganzen Welt suchte der Trupp um Jochen Schreib in der in Trümmern liegenden, sorgfältig nach Sektoren eingeteilten Hauptstadt nach Überlebenden. Zum Einsatz kam auch ein Bioradar, mit dem Herztöne und Atemgeräusche in bis zu einer Tiefe von zehn Meter geortet werden können. Vergeblich. „Andere Teams fanden hier und da noch Lebende. Das motivierte“, erzählt Schreib. An den Geruch von Tod und Staub hatte sich der Münchberger gewöhnt. Die Bilder von den am Straßenrand und unter den Trümmern liegenden Leichen hatte er einfach ausgeblendet. „Meine ganze Konzentration galt der akribischen, kräfteraubenden Suche nach Überlebenden.“ Da sei keine Zeit zum Nachdenken geblieben. „Und nachts sind meine Kameraden und ich erschöpft in unsere Schlafsäcke gekrochen. Wir haben nur wenige Stunden Schlaf, weil wir bei Sonnenaufgang wieder an Ort und Stelle sein wollten.“ Betroffen machte ihn der Mangel an Wasser, Nahrung und Medikamenten. „Da gibt es für die inzwischen auf vollen Touren laufende humanitäre Hilfe viel zu tun.“ Die Fernsehbilder könnten die Not und das Elend gar nicht widerspiegeln. „Die Zustände sind unbeschreiblich“, so der 36-Jährige.

Irgendwann war die Zeit für die Rettungsexperten abgelaufen. „Man rechnet mit einem Zeitfenster von 72 Stunden, in denen ein verschütteter Mensch überleben kann“, erklärt Jochen Schreib. Wenn dann noch Überlebende gefunden werden, grenzt das an Wunder.