Meiningen. Die 18 Verdi-Lieder, die am Ostersamstag in den Kammerspielen von Jacques le Roux dargeboten wurden, erweisen sich sämtlich als Opernarien, die bis auf wenige Melodien nie in einem Musikdrama erklungen sind und die man in Meiningen (außer zur Wiederholung des Liederabends) sobald nicht wieder zu hören bekommt.

Operndirektor Klaus Rak verglich in seinen einführenden Worten die Liedkompositionen Verdis mit den Skizzen, mittels derer Maler ihre Eindrücke von der Welt festhalten. Gedanken, Kompositionen, Farbspiele werden auf solcher Weise flüchtig notiert. Für die wahren Kenner erweist sich deren Anblick als Quelle jener höchsten Freude, die aus der Teilhabe an Augenblicken des Beginnens erwachsen.

Fingerübungen


Jene vorwiegend zu Ende der 1830er und Mitte der 1840er Jahre auf Texte zumeist unbedeutender Autoren geschaffenen Verdi-Lieder erweisen sich als Fingerübungen des Meisters der italienischen, gesangorientierten Oper. Weder im Charakter populärer Volkslieder gehalten, noch in die Form deutschen Kunstliedes gegossen, offenbaren sie die Wesenszüge seiner Musik. Für die menschliche Stimme gemacht und von starken, konfliktgeladenen Effekten beherrscht.

Es bedarf ambitionierter und besonders befähigter Interpreten für derartige Konzerte. Dafür geradezu prädestiniert sind der Musiker Ettore Prandi und der Sänger Jacques le Roux. Der Pianist kommt aus Mailand, und wenn man den südafrikanischen Tenor Bellini – wie in einem Liederabend zuvor – oder nun Verdi singen hört, möchte es einem scheinen, einen Italiener vor sich zu haben. Souverän-locker ist sein Auftreten geworden, von natürlichem Charme geleitet. Sein Vortrag zielt hauptsächlich auf die Schönheit des Klangs ab. Le Roux’s Stimme befähigt ihn zu dominierendem Ausdruck.

Doch bewies er gerade an diesem Abend, wie er im mezza voce, gar nur gehaucht, deren helles Timbre in mehrdeutige Färbungen zu bringen vermag. Belcanto in höchster Höhe, eingedunkelte Nuancen, spöttische Distanzierungen kamen mühelos. Es sind Romanzen, mehr noch Elegien gewesen, die Verdi geschaffen und le Roux dargeboten hat. Wie man den von Kerstin Jacobssen verlesenen Kommentierungen entnehmen konnte, handelten sie unter anderem von einer sterbenden Frau, einem bettelnden Soldaten, einer verklingenden Harfe und einem alten Revolutionär.

Italienische Expressivität


Viele der Lieder wurden im zartesten Pianissimo eingeleitet, doch oft ins Dramatische geführt. Bei jenen Texten, die man aus Goethes „Faust“ kennt, war es schon erstaunlich, wohin Verdi Gretchens Gebet „Deh, pietoso, oh Abbolorata“ oder ihr Lied am Spinnrad, „Pertuta ho la pace“ verortet wissen wollte. Deutsche Innerlichkeit wurde da zu italienischer Expressivität. Auflockernd-erheiternd erschienen dazwischen die spöttisch-komischen Einschübe.

Prandi agierte am Klavier betont konturierend, bei den Einleitungen mit viel Einfühlungsvermögen. Le Roux präsentierte sich erneut als ein Sänger der Extraklasse, dem es sichtbar Freude bereitete, sämtliche Register seines reichen Könnens zu ziehen. Die Skala seiner Ausdrucksmöglichkeiten ist größer, sein Verständnis für die Eigenheiten eines Liedes reifer geworden. Aber erschien er wirklich als ein ausgepuffter italienischer Tenor? Gott sei Dank nicht. Er zeigte emotionale Sensibilität, und da ihm am Ende des Konzerts das Publikum ausgiebig zujubelte, vermochte er sein Gerührtsein nicht völlig zu verbergen und kam nicht mehr auf das Podium zurück. A. Erck