Auch die Forschenden der University of California beobachteten bei allen erkrankten Kindern sogenannte Co-Infektionen, hier dem Epstein-Barr-Virus oder einem Herpesvirus. „Wir waren überrascht von der Tatsache, dass die Infektionen, die wir bei diesen Kindern feststellten, nicht durch ein ungewöhnliches, neu auftretendes Virus verursacht wurden, sondern durch häufige virale Kinderkrankheitserreger“, merkt Charles Chiu, Hauptautor der US-Studie, in einer Mitteilung an.
Relativ geringe Fallzahlen
„Alle drei Studien machen die gleiche Beobachtung von AAV2 bei Kindern mit ungeklärter akuter Hepatitis“, fasst Frank Tacke von der Berliner Charité in einem begleitenden Kommentar zusammen. Die Tatsache, dass die Untersuchungen auf zwei Kontinenten durchgeführt worden seien, mache sie angesichts des globalen Charakters des Ausbruchs noch wertvoller. Allerdings seien alle Untersuchungen retrospektiv durchgeführt worden und hätten nur relativ geringe Fallzahlen sowie eine noch kleinere Zahl verfügbarer Lebergewebeproben umfasst. Um mögliche Faktoren oder Co-Faktoren für die Krankheitsentwicklung aufzudecken, seien außerdem mehr klinische Informationen über die erkrankten Kinder nötig.
Die Autoren der Studien betonen selbst, dass ihre Arbeiten AAV2 zwar mit dem jüngsten Anstieg der ungeklärten Hepatitis-Fälle in Verbindung bringen würden. Es bleibe aber unklar, welche Rolle das Virus bei der Entstehung der Leberentzündung spiele. Hier wären gezielte und kontrollierte Folgeuntersuchungen nötig, so Tacke. Er schreibt: „Direkte Beweise dafür, wie AAV2 Hepatitis verursachen könnte, gibt es nur begrenzt.“
Mögliche Bedeutung des Coronavirus
Genetische Analysen der Forschungsgruppe aus Glasgow legen nahe, dass eine abnormale Immunreaktion aufgrund entsprechender Erbanlagen ursächlich für die Hepatitis sein könnte - und nicht etwa eine direkte leberschädigende Wirkung von AAV2. Die Wissenschaftler stellten fest, dass 93 Prozent der erkrankten Kinder Träger einer Genvariante waren, die eine Anfälligkeit für Autoimmunkrankheiten mit Beteiligung von Immunzellen, den so genannten T-Zellen, aufweist. Auch die Forscher aus London fanden bei einem Vergleich der Leberproben von Erkrankten und gesunden Kontrollpersonen Hinweise auf einen immunvermittelten Prozess.
In seinem Kommentar schließt Frank Tacke indes nicht aus, dass auch das Coronavirus eine Bedeutung haben könnte: Eine direkte Beteiligung von SARS-CoV-2 könne nicht ausgeschlossen werden, ebenso sei eine indirekte Wirkung denkbar. So sei die Hepatitis-Welle im Frühjahr 2022 mit der Lockerung der COVID-19-Maßnahmen auf der ganzen Welt aufgekommen. „Der Zeitpunkt des Ausbruchs könnte damit erklärt werden, dass die Kinder nach den Schließungen plötzlich einer Flut von Viren ausgesetzt waren oder ein schlecht ausgebildetes Immunsystem hatten, was zu einer erhöhten Anfälligkeit für ansonsten harmlose Viren führte.“
Eine Vermutung, die auch Charles Chiu, Hauptautor der US-Studie äußert: „Es könnte eine unbeabsichtigte Folge dessen sein, was wir in den letzten zwei bis drei Jahren der Pandemie erlebt haben.“ Mittlerweile habe die Häufung akuter schwerer Hepatitis bei Kindern nachgelassen. Der beste Weg, sie weiterhin davor zu schützen, sei häufiges Händewaschen und sie zu Hause zu behalten, wenn sie krank sind.