So schön kann Wahlkampf sein. Die Meinungsforscher des Instituts Infratest dimap fragen und die Thüringer antworten genau das, was die Opposition aus SPD und Linker hören will: 70 Prozent befürworten längeren gemeinsamen Unterricht bis zur 8. Klasse. Dass das CDU-geführte Kultusministerium umgehend reagierte und klarstellte, es werde kein längeres gemeinsames Lernen geben, machte alles noch ein bisschen schöner. Unerwartet hat sich ein Wahlkampfthema ergeben – das am Ende den Schülern mehr schadet als nützt. Seit Langem schon wird die Frage des richtigen Schulsystems kontrovers diskutiert. Die Argumente derer, die für längeren gemeinsamen Unterricht plädieren, sind genauso zahlreich wie die Argumente jener, die sich für eine möglichst frühzeitige Trennung einsetzen. Das Thüringer Kultusministerium wies Forderungen nach längerem gemeinsamen Lernen mit dem Hinweis zurück, dass man jedem Schüler einen Lernort gemäß seiner Fähigkeiten anbieten wolle. Zudem sei das Schulsystem des Freistaats durchlässig. Wer also nach der 4. Klasse die Regelschule besucht, kann durchaus ein paar Jahre später ein Abitur-Zeugnis in den Händen halten. Theoretisch ist das richtig. In der Praxis aber funktioniert es nicht wie auf dem Papier. Dass sich viele Thüringer für längeren gemeinsamen Unterricht ausgesprochen haben, hat mutmaßlich etwas mit einer Realität zu tun, die allem Schöngerede widerspricht: Die Klassen sind voll, die Ausstattung der Einrichtungen ist oft mangelhaft, die Lehrer sind – wegen der ungleichen Bezahlung von beamteten und angestellten Pädagogen – demotiviert. Die Aufzählung ließe sich an dieser Stelle fortsetzen. Vielleicht verbinden die befragten Thüringer mit dem längeren gemeinsamen Unterricht die Hoffnung, er könne die Probleme beseitigen helfen. Das aber wird er nicht können, solange das Grundübel fortbesteht: die Weigerung, sich Bildung etwas kosten zu lassen. Ein gutes Schulsystem – wie auch immer gegliedert – eines, das den Schüler und sein Potenzial in den Mittelpunkt rückt, ist zum Schnäppchenpreis nun einmal nicht zu haben. Es ist falsch, Schülern und Eltern vorzugaukeln, man müsse die Klasse bloß ein bisschen länger zusammenlassen und schon werde alles gut. Es ist falsch, das Thüringer zweigliedrige Schulsystem als Dogma zu behandeln. Es ist verwerflich, das Thema Bildung – wider besseres Wissen – für ideologische Grabenkämpfe zu missbrauchen. Sie bringen den Politiker vielleicht ein paar Stimmen, den Schülern aber gar nichts.