In Russland scheiden sich an einem scheinbar lächerlichen Anlass die Geister. Der konservativ-frömmelnde Teil der Gesellschaft fordert einen Scheiterhaufen oder wenigstens öffentliche Auspeitschung für die Sängerinnen von Pussy Riot. Intellektuelle sind entsetzt über den "Rückfall ins Mittelalter". Auch ein Teil der Kirche mahnt christliche Barmherzigkeit an. Für Patriarch Kyrill und Präsident Wladimir Putin ist es alles andere als harmlos, denn deren Ansehen steht auf dem Spiel. Die Punkerinnen werden wie Lackmusstreifen zeigen, ob diese beiden die sprichwörtlichen Schrauben anziehen oder Kompromissbereitschaft zeigen werden. Bei liberalen Mitbürgern sind Kyrill und Putin zunehmend unbeliebt. Die Aufregung um Pussy Riot macht auch sichtbar, dass sich das Kunstempfinden geändert hat, auch im Untergrund. Die Nonkonformisten der Sowjetzeit sind nicht mehr "in". Herbere Kost ist gefragt, etwa die von der Gruppe "Woina" (Krieg). Deren Teilnehmer malten ein Riesenglied auf eine Zugbrücke vor der St. Petersburger Geheimdienstzentrale. Nachts fuhr die Brückenhälfte hoch, und das Ding erigierte.