Jüdisch-israelische Kulturtage Die Ukraine im Gepäck

Iris Helbing
Yuriy Gurzhy bei seiner Lesung in Meiningen. Foto: privat

Meiningen gehörte zu den Austragungsorten der diesjährigen jüdisch-israelischen Kulturtage in Thüringen. In Meiningen wurde u. a. eine Lesung „Richard Wagner und die Klezmerband“ und ein Konzert „Klezmer-Welten“ veranstaltet.m

 
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„Für mich ist Wagner nicht der größte deutsche Komponist, sondern antisemitischer Superstar. Wie kann man so jemanden feiern?“, fragt der jüdisch-ukrainische Autor Yuriy Gurzhy anlässlich seiner Lesung aus dem Buch „Richard Wagner und die Klezmerband. Auf der Suche nach dem neuen jüdischen Sound in Deutschland“. Eigentlich sollte es eher eine amüsante Lesung werden. Und den Einstieg mit Wagner als antisemitischen Superstar in der Kulturstadt Meiningen zu beginnen – gewagt. Doch zum Ende der Veranstaltung kam Yuriy Gurzhy auf die Situation in seiner Heimat zu sprechen. Seit Kriegsbeginn schläft er kaum noch. „Ich hoffe, alle haben die Nacht überlebt!“ Er berichtet über den Kriegsverlauf aus seiner Heimatstadt, über Menschen, Freunde, die gerade Übermenschliches leisten, um in der Ukraine zu helfen, über die düstere Vergangenheit der russisch-ukrainischen Beziehungen in den 1930er Jahren, als Stalin in Charkiw die Intelligenz hat erschießen und die Ukraine hat aushungern lassen. Und jetzt die russische Invasion in die Ukraine im Februar 2022. „Ich habe das Gefühl, noch nie so viele Landsleute in Berlin getroffen zu haben. Das ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass der Krieg hier angekommen ist.“

Yuriy Gurzhy, der 1995 als jüdischer Kontingentflüchtling mit seiner Familie aus Charkiw nach Potsdam kam, erzählte nach seinem Wagner-Einstieg von seinem Neuanfang in Deutschland. Dass er jüdischer Herkunft war, wurde in der Familie nicht thematisiert. Einige seiner späteren Freunde haben andere Erinnerungen daran, wie ihnen ihre Eltern erklärt haben, dass sie eigentlich Juden seien. Momente im Leben, die die eigene Identität erschütterten und das weitere Leben bestimmten. Yuriy berichtet über eine Freundin, deren Eltern auf einmal in Usbekistan alles daran setzen, dass ihre jugendliche Tochter zu einer guten Jüdin erzogen wird, die auf Bildungssommerlager des Joint geschickt wurde, um von orthodoxen Juden aus New York gelehrt zu bekommen, was es heißt koscher zu essen und die Feiertage einzuhalten. „Stell dir vor, du weißt nicht, was jüdisch ist, und dann kommst du in ein orthodoxes Sommercamp, wo du von morgens bis abends beten musst … und auf einmal lange T-Shirts tragen und koscher essen musst. In unserer Familie haben wir nicht darüber gesprochen, dass wir Juden sind.“ Yuriy kam nicht in den Genuss der orthodoxen Sommerlager. Doch von „jüdischer Musik“ hörte Yuriy allerdings oft in jungen Jahren. Opa Boris kümmerte sich um den kranken Jungen, wenn dieser mal wieder zuhause bleiben musste. Er legte seinem Enkelsohn Platten auf, damit er sich zu Hause nicht so langweilte. In anderen Zeiten wäre Opa Boris DJ geworden. Verheißungsvoll und enthusiastisch kündigte Opa Boris manche Songs an mit: „Pass auf, Yurotschka, das hier ist jüdische Musik.“ Natürlich hatte Yuriy keine Ahnung, was Opa Boris damit meinte, aber seitdem war seine Neugier für jüdische Musik, was immer das auch sein soll, geweckt. In Potsdam angekommen, ohne Deutschkenntnisse, suchte er die Plattenläden auf und entdeckte Klezmer als die typisch jüdische Musik. Das konnte doch nicht alles gewesen sein. Er machte sich auf die Suche nach dem jüdischen Sound. Der Titel zu seinem Buch kam ihm im Traum. Er träumte von der Musik Wagners. In seinem Traum hat Yuriy Wagner klezmatisiert und war Musiker in einer Band, die Wagners Werke in jüdisch gespielt.

Mit Klezmer ging es am Wochenende bei einem Doppelkonzert im Max-Reger Musikkonservatorium in der Strupp’schen Villa auch weiter. Michael Heitzlers Klezmerband überzeugte mit jazzigem Klezmer. Das Duo Khupe mit Sanne Möricke am Akkordeon und Christian Dawid an der Klarinette verzauberte mit jiddischen Liedern aus Osteuropa, die nach der Auswanderung in die USA dort teilweise aufgeschrieben und somit für die Nachwelt erhalten bleiben konnten. Einige der gespielten Lieder stammten von ukrainischen Juden. So brachte nicht nur Yuriy die Ukraine mit in seinem Koffer, sondern musikalisch war sie auch im Gepäck von Khupe.

Der darüber hinaus geplante Vortrag in Meiningen „Juden in der DDR“ von Diana Matut musste in den November verschoben werden.

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