Bedenkenträger, Schwarzseher, Skeptiker, Unheilsprophet, Unkenrufer: Die deutsche Sprache kennt viele Synonyme für den Pessimisten in uns. Ängstigen sich die Deutschen mehr als Menschen anderer Länder? Und wenn ja: Sind ihre Ängste berechtigt? Eine neue Umfrage gibt Einblick in die Seele der Menschen.
Nur gut ein Drittel der Erwachsenen wäre demnach heute gerne noch einmal im Jugendalter. Knapp drei von fünf Befragten sind sich außerdem einig, dass heutige Teenager keine schöne Zukunft vor sich haben.
Was sind die größten Herausforderungen für nachwachsende Generationen?
• Klimawandel: Als größte Herausforderung für die Jugendlichen werden der Klimawandel und seine Folgen in der Umfrage genannt. Mehr als die Hälfte der Befragten finden zudem, dass den jungen Menschen in der Klimadebatte mehr Gehör geschenkt werden sollte.
„Auf den ersten Blick wirkt der Klimawandel aktuell als eine Herausforderung, die vor allem den Jüngeren Sorge bereitet und diese zu Protesten bewegt“, sagt Yougov-Experte Philipp Schneider. „Die Ergebnisse der Studie zeigen jedoch, dass es im Vergleich häufiger die Älteren sind, die den Klimawandel und dessen Folgen für die jüngeren Generationen als problematisch bewerten.“
• Wohnen, Alter, Arm und Reich, Krieg: Auch bezahlbares Wohnen, die finanzielle Absicherung im Alter, die Schere zwischen Arm und Reich und die Auswirkung globaler Ereignisse wie Krieg und Inflation werden häufig als zentrale Herausforderungen für die jungen Menschen genannt. Umfrageteilnehmer zwischen 18 und 29 neigen dazu, eher beim persönlichen Wohlbefinden eine Schwierigkeit zu sehen, als bei politischen oder wirtschaftlichen Fragen.
Anlässlich des Internationalen Tages der Jugend am Samstag (12. August) haben Yougov und das Sinus-Institut mehr als 2000 Bundesbürger befragt. Nach Angaben der beiden Marktforschungsinstitute sind die Ergebnisse repräsentativ für die deutsche Bevölkerung zwischen 18 und 75 Jahren.
Gibt es eine „German Angst“?
„German Angst“ ist im Angelsächsischen ein geflügeltes Wort. Es steht für die kollektive Verunsicherung eines ganzen Volkes. Angst vor den Risiken der Kernkraft, vor Pandemien, vor Wirtschaftskrisen, vor dem Klimawandel, vor Dürre, Hitze, Kriegen. Und überhaupt vor dem Weltuntergang.
Haben die Deutschen Angst vor dem Verlust des Erreichten?
Für den Münchner Psychoanalytiker Wolfgang Schmidbauer ist „German Angst“ kein Hirngespinst. „Durch die unglaubliche Destruktivität des Nationalsozialismus und den organisierten Völkermord hat das deutsche Selbstgefühl einen bleibenden Schaden erlitten, der unbewusst gespeichert ist. Daher kommt auch die Mentalität der Deutschen: Noch geht es uns gut, aber irgendwann kommt das böse Ende.“
In einer Gesellschaft wie der deutschen, die im internationalen Vergleich zu den politisch und wirtschaftlich stabilsten gehört, sei die Angst vor allem narzisstischer Natur, erklärt Schmidbauer. Sie äußere sich vor allem als Angst vor dem Verlust des mühsam Erreichten.
„Es ist evident: Je mehr eine Gesellschaft oder ein Individuum besitzt, desto größer ist auch die Angst, es zu verlieren“, so der Psychotherapeut.
Wovor haben die Deutschen Angst?
Ist Deutschland ein Ort der Angst? Nein, antwortet der Psychiater Arno Deister. Eine spezielle „German Angst“ gebe es nicht. Aber: „Wir sind momentan in einer gesellschaftlichen Situation, in der Dinge geschehen, die ganz viel mit Angst zu tun haben und vielen Menschen Angst machen.“
Nach Aussage des früheren Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) haben die Menschen „Angst vor Veränderungen – vor Fremden, fremden Dingen, Gewalt, Einsamkeit. Eine Gesellschaft wie die deutsche, die sich im Umbruch befindet, führt bei vielen dazu, dass sie Angst haben.“ Zunächst sei Angst nichts Schlimmes. Sie sei eines der zentralen menschlichen Gefühle - eine Emotion, die sehr stark schützt und beschützt.
Wie wichtig ist Angst für das Überleben?
„Hätte es in der Evolution das Thema Angst nicht gegeben, würde es heute keine Menschen mehr geben, weil sich die Menschheit sich längst in Situationen begeben hätte, in denen sie ausgestorben wäre", ist Deister überzeugt. "Die Schutzfunktion der Angst kann allerdings auch überfordert werden – in der Subjektivität des jeweils betroffenen Menschen.“
Angst werde immer dann zu einer Blockade, wenn sie zu lang anhält, zu stark und nicht mehr zu bewältigen ist, erläutert der Mediziner. Wenn ein Mensch den Eindruck habe die Kontrolle zu verlieren, dann würde Angst eine krankmachende – pathologische – Funktion bekommen.
Was passiert, wenn Angst aus dem Ruder läuft?
„Die Disposition zur Angst ist etwas ganz normales“, betont Arno Deister. Manche Menschen würden mehr zur Angst als andere. Dies habe hat mit der genetischen Veranlagung, aber auch mit Lernerfahrung zu tun.„Wenn allerdings etwas geschieht, dass die Fähigkeit des Menschen sich mit Angst auseinanderzusetzen überfordert, dann läuft das ganze aus dem Ruder.“