Ilmenau - Der Ausgangspunkt ist eigentlich fast unglaublich. Sigrid Damm, die mit Goethe in ihren zahlreichen Büchern gelebt, ja geatmet hat, bekommt 1999 eine Einladung nach Rom in Goethes "Sehnsuchtsland". Als Stipendiatin kann sie ein halbes Jahr in der Casa di Goethe, dem dortigen Goethe-Museum, leben. Aber eine Freude kommt bei ihr nicht auf. Eine Reise auf Goethes Spuren nach Italien war nie ihr Sinn, gesteht Sigrid Damm später im Gespräch beim Signieren.

Leere und Urgewalt

Der Norden hat es ihr angetan, in Lappland fühlt sich die aus Gotha stammende und heute in Berlin und Mecklenburg lebende Schriftstellerin zu Hause. Nach dem Untergang der DDR hat sie sich mit ihren beiden Söhnen in Lappland ein Haus gesucht. In der "Leere und Urgewalt des Nordens" empfindet die Schriftstellerin "Zuneigung zu etwas Verlorenem". Die nordische Landschaft erlebt sie als Spiegel, indem man sich erkennt. "Nie waren wir so bei uns wie dort", bekennt Sigrid Damm.

Ganz anders als Goethe, der nach seiner Flucht von Weimar nach Italien in Rom das fand, was für ihn ein Mensch war. "Zu diesem Glück der Empfindung bin ich später nie wieder gekommen", zitiert die Goethe-Expertin den Dichter, um gleich darauf zu fragen: "Und ich? Was will ich hier?"

Erst nach mehr als zehn Jahren sucht Sigrid Damm nach einer Antwort. Sie beginnt die Eindrücke ihres halbjährigen Italienaufenthalts aufzuschreiben. Ihre "Tage- und Nächtebücher aus Lappland" sind zu diesem Zeitpunkt bereits erschienen. Auch wenn die Sehnsucht nach dem Norden geblieben ist, hat sie nun ihren Kopf frei zum Schreiben.

Mit zeitlichem Abstand geht sie ans Werk. Auch eine Distanz als Autorin und für den Leser sei ihr wichtig, erklärt sie später einem Zuhörer, der wissen will, warum sie nicht in Ich-Form, sondern als "die Erzählern" schreibt. Erfunden habe sie zudem die Tagebuchform als literarisches Mittel.

Schreibend erlebt Sigrid Damm nach, was sie vor Ort in Italien nicht empfinden konnte. Noch einmal liest sie bei Goethe nach, beispielsweise über seine Italienreise. In der Casa di Goethe, so erzählt sie im Gespräch, hätte sie - selbst wenn sie gewollt hätte - keine Muse gefunden. Der Straßenlärm sei einfach zu groß gewesen und dann habe es ständig Stromausfall gegeben, bei dem die Sicherungsanlage ausfiel. Sigrid Damm allein mit Goethes Handzeichnungen in einer Ausstellung: "Ich habe immer in Angst gelebt."

Nachdenklich und heiter

Nachdenklich, heiter und anregend schildert Sigrid Damm ihre Italienerlebnisse. Sie besucht das Grab von Goethes Sohn August auf dem Fremdenfriedhof an der Porta San Paolo, auf dem auch Ingeborg Bachmann begraben ist. Später begegnet ihr der Komponist Hans Werner Henze, mit dem die Bachmann vor ihrem Feuertod eng befreundet war. Sie reist nach Venedig, Genua, Palermo und wandert durch Syrakus. Bei einer Begegnung erinnert sie sich an ihre Hochzeitsreise 1964 auf der Völkerfreundschaft nach Kuba. So findet sie in Italien zu sich selbst. Und am Ende überströmt sie ein Glücksgefühl. "Wohin mit mir?" - sie hat die Antwort gefunden: "Der Süden ist in mir, ich kann ihn nach Norden mitnehmen."