Hilfe für Angehörige Sonnebergs Handballer bringen 50 Menschen in Sicherheit

Sarah Jakob

Sportler halten zusammen – auch die heimischen Handballer. Die engagierten Leute vom SHV holten Dutzende Spieler-Angehörige und andere Flüchtlinge aus der Ukraine nach Sonneberg. Leider kamen nicht alle nach Ungarn – überaus strenge Grenzer wiesen sogar Kinder ab.

 
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Der Reisebus, mit dem die Ehrenamtlichen nach Ungarn fuhren, kurz nach der Rückkehr vor der „Wolke 14“. Foto: Steffen Haupt

Sonneberg - Freitagabend vor der „Wolke 14“: Nach fast 2500 Kilometern Hin- und Rückfahrt steht der Bus der Handballer wieder in Sonneberg. Die beispiellose Transport-Aktion von der ungarisch-ukrainischen Grenze ist gelungen – Dutzende sind aus der Ukraine in Sicherheit gebracht. Allerdings haben es nicht alle geschafft. An der EU-Außengrenze, 300 Kilometer östlich von Budapest war für einen Teil der Fahrgäste bereits Schluss.

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„Dort wurden einfach Leute nicht über die Grenze nach gelassen, weil sie keinen biometrischen Ausweis vorzeigen konnten“, berichtet Steffen Haupt, Stadionsprecher beim Sonneberger Handballverein. „Das heißt, sie hatten Ausweise dabei. Nur eben keine mit einem Fingerabdruck“, präzisiert er. Deshalb seien sogar Mütter von ihren Kindern getrennt worden. Die gute Nachricht, die Haupt im Nachgang noch teilen kann: Mittlerweile sind diejenigen, von deren Schicksal er mitbekommen hat, wieder vereint. Dennoch bleiben die Eindrücke hängen und Verständnis für manche Handlungen der Behörden in Ungarn scheint unmöglich.

Dennoch: was Haupt und Vereinsvorstand Alexander Ebert in den vergangenen drei Tagen zusammen mit zwei Busfahrern und zwei Sanitätern des Deutschen Roten Kreuzes geleistet haben, ist wohl die außergewöhnlichste Hilfsaktion in der Vereinsgeschichte. Weil sechs Spieler aus dem Kader des Sonneberger Herren-Teams in der Mitteldeutschen Oberliga ukrainischer Herkunft sind und Angehörige haben, die noch nicht aus dem Land ausreisen konnten, machte sich das sechsköpfige Team in einem Reisebus auf nach Ungarn.

Das Ziel: Die Familienmitglieder der Handballer an der ungarisch-ukrainischen Grenze einsammeln und auf dem schnellsten Wege zurück nach Deutschland fahren. Nachdem sich vorige Woche die Ereignisse in der Ukraine überschlagen hatten und immer weitere besorgniserregende Nachrichten zu lesen waren, wendete sich der Verein am Samstag über die sozialen Medien an die Öffentlichkeit. „Von diesem Krieg betroffen sind Bekannte und Freunde unserer Handballfamilie“, erklärte Vorstand Ebert zudem dieser Zeitung. Schnell entschloss man sich, eine Hilfsaktion auf die Beine zu stellen.

In kürzester Zeit organisierte man nicht nur einen OGV-Bus, sondern fragte auch noch die Fahrer Stefan Sommer und Chris Haupt an, die sich am Steuer auf der 16 Stunden dauernden Strecke abwechseln sollten. Außerdem dabei waren die DRK-Sanitäter Manfred Weigelt und Stephan Zander.

Den vielen Platz im Gefährt auf dem Hinweg ließ man ebenfalls nicht ungenutzt. Kurzentschlossen wurde zum Wochenanfang eine Spendenannahmestelle in der Köppelsdorfer Straße eingerichtet. Und die wurde von der Bevölkerung nicht nur angenommen – das Engagement war überwältigend: Menschen aus der Umgebung brachten unter anderem Winterjacken, Schuhe, Verbandsmaterial, Nahrung und Decken vorbei. Eilig packte man die Hilfsgüter ein und traf sich am Mittwochmorgen zur Abfahrt. Kurz nach 7 Uhr rollte der Reisebus vom OVG-Betriebshof in Hönbach.

Auf der Fahrt hielt vor allem Steffen Haupt diese Zeitung immer wieder auf dem Laufenden. Zuletzt berichtete er auf der Rückfahrt nach Thüringen in der Nacht von Donnerstag auf Freitag via Sprachnachricht, was er und seine Mitfahrer erlebt haben. Zunächst hatte man demnach am Mittwoch in einer Unterkunft nahe der ungarischen Grenze zur Ukraine zwischenübernachtet, damit die Spendenübergabe bei Tageslicht, nicht übermüdet und ohne Chaos ablaufen konnte.

„Die Hilfsgüter wurden in einer Lagerhalle von mehreren Frauen in Empfang genommen“, sagt der Stadionsprecher in der Nacht. Er habe mitbekommen, dass genau diese Frauen sich mit den Spenden auf den Weg zurück ins Landesinnere der Ukraine machen werden, um die Spenden dort zu verteilen, wo sie dringend benötigt werden. Dahin, wo, Bomben explodieren und geschossen wird. Auch, wenn dieses Erlebnis wohl reicht, um einen selbst die unmittelbare Nähe zu einer militärischen Auseinandersetzung noch einmal klar zu machen, mussten die Sonneberger direkt weiterziehen, denn man hatte für die Abholung der Flüchtenden einen Grenzübergang im Voraus festgelegt. Die Handballer hatten außerdem vorher die Rahmenbedingungen mit den ungarischen Behörden abgesprochen, sich angemeldet und informiert.

Doch wie im Voraus leider zu erwarten war, ging die Aktion ab diesem Zeitpunkt nicht mehr reibungslos über die Bühne. „Wir standen mit dem Bus vor diesem Übergang viel zu lange im Stau“, berichten die Helfer. Deshalb entschied man sich, umzukehren und über einen Kontaktmann einen neuen Treffpunkt auszumachen. Dieser lag eine Stunde entfernt bei Beregsurány, doch nach langem Warten kam endlich der ersehnte Zeitpunkt: Flüchtende passierten nach und nach die Grenze, man wartete in der Nähe auf die Angehörigen der Handballspieler. 26 Menschen konnte das Team rund um Haupt und Ebert in den Bus aufnehmen, doch elf eingeplante Personen durften nicht zu ihnen durchkommen.

Empörung und Fassungslosigkeit sind in Haupts Stimme zu hören: „Die Begründung von den ungarischen Behörden lautete, dass dafür ein biometrischer Lichtbildausweis vorhanden sein muss. Wie sich jeder vorstellen kann, ist das für mich nicht nachvollziehbar, an Unmenschlichkeit nicht zu übertreffen“. Besonders schlimm sei gewesen, dass zwei Kinder mit asthmatischen Erkrankungen wegen fehlender Ausweisdokumente zurückbleiben mussten.

So emotional hin- und hergerissen wohl jeder Mensch in einer solchen Ausnahmesituation reagieren würde, galt es für die Handballer, sich auch auf die geretteten Menschen im Bus zu konzentrieren. Wie der Vereinsvorstand und der Koordinator erklären, nahmen sie überwiegend Mütter und deren Kinder mit. „Den Umständen entsprechend geht es ihnen auch gut. Wir hatten genügend Spendenmaterial dabei“, berichtet der Haupt. Besonders die Kinder konnte das Team aus Ehrenamtlichen mit Spielzeugen und Süßigkeiten ein bisschen aufmuntern und ablenken.

Zudem schätzte man sich glücklich, dass am neuen Treffpunkt größere Versorgungspunkte aufgebaut waren, sogenannte Medical Centers. „Von dort haben wir noch drei Leute mitgenommen, die Sonneberg als Transit-Stadt nutzen möchten“, heißt es. Manche von ihnen werden also von der Spielzeugstadt aus weiter zu Freunden in Deutschland reisen Mit ein paar von ihnen haben sich die Thüringer auf Englisch unterhalten. Haupt berichtet unter anderem von einer jungen Frau mit zwei kleinen Kindern, die unweit der stark unter Beschuss stehenden Hauptstadt Kiew lebte. Sie habe mit ihren Kindern zunächst in einem Keller Schutz gesucht, musste dann stundenlang in einem überfüllten Zug stehend gen Grenze fahren und wurde letztendlich zufällig vom Team aufgelesen.

Nach allen Strapazen traf der Reisebus mit zunächst 26 Menschen gestern am frühen Nachmittag im Stadtteilzentrum „Wolke 14“ im Wolkenrasen ein. Dort kümmerte man sich weiter um die Ukrainer und führte die Familien zusammen.

Geschafft, aber froh über weitere neue Nachrichten zeigt sich das SHV-Mitglied am Freitagabend am Telefon: „Wir haben mittlerweile erfahren, dass auch die elfköpfige Teilgruppe die Ukraine über einen slowakischen Grenzübergang verlassen konnte.“ Außerdem sind parallel zum Reisebus noch die „Handballbusse“ des Vereins in Länder wie Polen gefahren, um dort Angehörige abzuholen, die schon vor dem Start des Vorhabens auf der Flucht nach Westen waren. „Damit haben wir etwa 50 Menschen geholfen. Da wurden mitunter Mütter von ihren Kindern getrennt. Wir hatten eine Schwangere und Kleinkinder an Bord“, schildert der Sonneberger die Situation.

Er appelliert an alle, die helfen möchten, dies auch zu tun: „In Polen warten tausende Menschen am Bahnhof auf Züge nach Deutschland. Da werden aus zwei Tagen drei, aus dreien, vier. Und es werden immer mehr Menschen.“ Dennoch ist bei solchen Plänen Vorsicht geboten: „Das muss man einfach sagen: Wir hatten einen Schutzengel. Und nur dank des Zusammenspiels zwischen der Stadtverwaltung Sonneberg, den Ehrenamtlichen und dem Verein war diese Aktion ein Erfolg.“