Gereuth - Wir schreiben noch nicht 2017 und trotzdem stolpern wir schon ins nächste Jubiläumsjahr. Es ist ein großes: Das 500. Jahr des Thesenanschlags von Martin Luther in Wittenberg! Den Geburtstag von Kaiserin Maria Theresia vor 300 Jahren feiern vor allem die Österreicher - uns berührt das weniger. 500 Jahre Salzbergwerk Berchtesgaden ist was für die Oberbayern und 700 Jahre Bürgerspital in Würzburg interessiert speziell die Weinkenner.

2016 war das Rückertjahr. Dass das von ihm ungeliebte Ebern vor 800 Jahren erstmals genannt wurde, hat die Stadt glatt verschlafen. Jubiläumsjahre sind zeitliche Denkmale. Je runder, je mehr Nullen, desto besser. Jubiläen zwingen zum Einhalten. Man holt Personen und Ereignisse aus dem Winkel des Vergessens und bedenkt sie wieder. Man muss das schon deshalb tun, weil zum Jubiläum plötzlich Logos, Kaffeetassen, Bücher und Zeitungsartikel erscheinen und Vorträge, Feiern, Lesungen und Ausstellungen veranstaltet werden. Keine Sorge, sie verschwinden schon nach einem Jahr, bis die Sache dann erneut rund wird. Auf diesem Karussell fahren auch unsere eigenen Geburtstage und Jubiläumsjahre wie die Konfirmation oder gar die Hochzeit. Nur dreht sich das Fahrgestell bei uns schneller. Wer feiert schon den 300. Geburtstag eines seiner Vorfahren?

Wir dürfen noch einmal an Friedrich Rückert erinnern. 2016, am 31. Januar, war sein 150. Todestag. Feiern kann man den eigentlich nicht, obwohl nach einem Jahr voller Gedichte, Gedenken und Gedöns manche froh sind, dass jetzt um ihn wieder Ruhe ist. 2038 wird er 250 Jahre alt. Dann kann man die alten Reden noch mal hervorholen. Vielleicht bekommt er dann endlich eine Briefmarke und eine Statue in der Ruhmeshalle bei der Bavaria.

1912 waren es 100 Jahre, dass Friedrich Rückert in den Gereuther Tannen mit der kleinen Agnes Müller getanzt hat. Die Familie Prieger, die vor dem 1. Weltkrieg das Rittergut Gereuth besaß, hat sich seinerzeit daran erinnert und Rückert eine Gedenkplatte gewidmet. Die ist gut gelungen und sitzt am richtigen Ort.

Der richtige Ort, das ist der alte Tanzplatz in den "Gereuther Tannen". Dieser Name hat sich eingebürgert. Rückert selbst schreibt einmal von den "grauen Tannen", zu denen er sich später "einmal vergeblich hingewünscht". Heute stehen dort hauptsächlich Buchen. Eigentlich heißt die Waldabteilung "Glasholz". Das hat nichts mit unserem gewohnten Glas zu tun, sondern bezeichnet einen Hang mit tiefen, ausgespülten Rinnen, ähnlich einer "Klinge". Dort liegt ein etwa 15 mal 40 Meter großer Kessel. Den streift in unserer Zeit sinnvollerweise der Rückert-Wanderweg.

Beim Tanzzirkel vor 200 Jahren im Glasholz ist der junge Friedrich Rückert wie jetzt weithin bekannt auf seine erste Liebe gestoßen: Agnes Müller, die Justizamtmannstochter aus Rentweinsdorf. 15 Jahre war sie alt. Sie hat ihm in ihrer natürlichen Art gefallen, aber sie war krank. Vermutlich litt sie an Schwindsucht. Nach einem heftigen Blutsturz, erlebte sie eine kurze Zwischenbesserung und starb dann doch am 9. Juni in Rentweinsdorf. Dort wurde sie unter einer Stele beigesetzt. Der tief aufgewühlte Rückert hat um sie kurz, aber heftig getrauert und ihr ins Grab Gedichte nachgeschrieben. Er war jedoch bald über den Schmerz hinweg und hat kurz darauf in der Specke schon einen zweiten Liebesfrühling erlebt.

"Grünhasenkeller"

Trotzdem, der Platz bei Gereuth, wo die beiden tanzten, bleibt mit seinem Namen verbunden, auch wenn dort keine Spur mehr von den verschiedenen Schaukeln, dem Feuerplatz, der Kegelbahn, dem Schießplatz oder den Biertischen geblieben ist. Nur der aus Sandsteinen gebaute, etwa drei Meter tiefe Keller ist noch vorhanden. Ingo Gärtner hat sich vor zehn Jahren daran erinnert, dass der nach dem 2. Weltkrieg "Grünhasenkeller" genannt wurde, weil hier der Osterhase am Gründonnerstag seine Ostereier für die Kinder versteckte.

Zur Erinnerung an Friedrich Rückerts erste Liebe hat die Gutsbesitzersfamilie Prieger vor 100 Jahren ein Denkmal in Form einer großen Tafel gestiftet. Angefertigt wurde die von einem Bildhauer Namens H. Brünn aus Untermerzbach. Wie Georg Habermehl entdeckte, lautete dessen Rechnung auf 36 Mark für "Herstellung der Inschrift zum Rückert-Denkmal, Beihilfe bei dem Verladen u. Transport der Inschriftplatte, Abladen und Aufstellen derselben, Herstellung der Felsgrotte und sonstigen notwendigen Arbeiten". Das Geld kam nicht nur von der Familie Prieger. Im Gemeindearchiv von Untermerzbach liegt noch die Liste der weiteren Spender.

Rechtzeitig hat die Gemeinde Untermerzbach die Tafel nach hundert Jahren von Uwe Bühler restaurieren lassen. Jetzt kann man die Inschrift wieder klar lesen:

"Errichtet 1912 / dem Dichter / Friedrich Rückert / zum Andenken / an dessen Aufenthalt dahier / im Jahre 1812. // 'So soll ich leben, daß ich hätte, wenn ich scheide, gelebt mir zur Lust und Andern nicht zum Leide'. Rückert." Ein schöner Sinnspruch, ein Aphorismus. Er stammt aus dem 16. Buch der Sammlung "Die Weisheit des Brahmanen" (1836 - 1839). Eigentlich heißt es dort aber "So möcht' ich leben ...". Entdeckt hat den kleinen Irrtum bisher aber niemand.

Wer den Baunach- und Itzboten vom 18.6.1912 im Stadtarchiv von Ebern aufschlägt, findet darin "die gestern dahier abgehaltene 100-jährige (!) Rückertfeier" beschrieben. "Gestern", das war Sonntag, der 16. Juni.

An diesem Tag, Nachmittags um halb drei Uhr, "bewegte sich der Festzug (voraus die Festjungfrauen und die Schuljugend) unter den heiteren Weisen der Musik hinaus zum herrlichen Festplatz inmitten des Waldes." Leider waren da die Sitzplätze knapp. Weil ein kühler Wind wehte, der immer wieder Regenschauer mit sich führte, hatte man vorsichtshalber einen Teil der Bänke in der Festhalle im Dorf aufgebaut. Deshalb mussten nun am ehemaligen Tanzplatz rasch Notsitze errichtet werden. Adrian Prieger (1859 - 1928), der die Familie vertrat, "schilderte nach der Festeröffnung in seiner biederen humorvollen Art den eigentlichen Zweck des Festes mit dem Schlußwunsche, es möge die festgebende Gemeinde wie auch die Prieger'sche Gutsherrschaft selbst, sich die Erhaltung des errichteten Denksteines angelegen sein lassen, dessen Bestehen uns immer an den Dichter und noch lange an die schöne Feier erinnern möge." Der angesehene Herr Ökonomierat wird sich genauso wie die anderen Zuhörer an den Gedichtvorträgen seiner Tochter Sigrid (10) und seines Stammhalters Hans-Georg (8) erfreut haben.

Natürlich traten zu diesem Ereignis auch die Gesangvereine Untermerzbach und Schottenstein auf und boten "schöngelungene gesangliche Vorträge". Lehrer August Schmitt aus Gereuth, "der Hauptarrangeur und eigentliche Schöpfer der Feier", schilderte den Lebenslauf Rückerts, Hauptlehrer Adam Kistner dirigierte die Lieder der Untermerzbacher Schuljugend. Die Zwischenpausen füllte die Musikkapelle Ebern-Gereuth-Merzbach. Sehr gut kam beim Publikum der von "Gereuthern und Untermerzbachern Knaben" vorgeführte "Kinderreigen" an. Dafür gab es einen Tag später für die Lehrer und die Schulkinder kostenlos Bratwürste.

Weil es während der Vorführungen endgültig zu regnen angefangen hatte, setzte man das Fest um 18 Uhr in der "mit Waldesgrün gezierten" Halle im Dorf fort. "Musikvorträge und Tanz bildeten den Schluß der für ländliche Verhältnisse sehr gut arrangierten und verlaufenen Feier." Abends fand "im schön geschmückten Alt'schen Saale" noch ein Festball statt, "woselbst die tanzlustige Jugend noch einige fröhliche Stunden erlebte." Vor gut 100 Jahren war es in Gereuth also wieder wie 100 Jahre zuvor schon im Glasholz. Ein doppeltes rundes Jubiläum!

Jugendbildnis

In der Gastwirtschaft Kaiser im nahen Wüstenwelsberg hing viele Jahre hindurch dieses Amateurportrait (Bild oben).

So etwa wird Rückert ausgesehen haben, als er sich in Agnes Müller verliebte.

Der Maler hat darauf vermerkt: "Jugendbildnis von Friedrich Rückert während seines Aufenthalts auf Schloss Gereuth". pp