Frühchen-Station GBA-Chef zeigt sich unnachgiebig

Werden die kleinsten Frühchen künftig noch in Suhl behandelt? Dazu diskutiert der Petitionsausschuss. Foto: picture alliance / dpa

Mit aller Macht dringen Krankenkasse und der Gemeinsame Bundesausschuss auf die Umsetzung der Mindestmengen-Regel in der Geburtsmedizin. Am Donnerstag hörte der Petitionsausschuss mehrere Experten zum Thema.

 
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Eines macht Josef Hecken gleich zu Beginn klar: „Ich strebe die Mindestmengen nicht an, um damit auch nur einen Cent zu sparen“, sagt der Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) am Donnerstag in Erfurt im Gespräch mit dieser Zeitung. Hecken ist an diesem Tag in seiner Funktion als GBA-Vorsitzender vor den Petitionsausschuss des Landtages geladen, der an diesem Abend noch tagen soll. Es geht um die aus Südthüringen angestoßene Petition zum Erhalt der Level-1-Perinatalstation am SRH Zentralklinikum Suhl. Im Januar schon hatte der Ausschuss die Petenten gehört, an diesem Abend nun sollen Vertreter von Krankenkassen, Mediziner und eben auch Hecken zu Wort kommen. Schließlich ist die Festlegung des GBA die Grundlage dafür, dass Suhl der Verlust des Status eines Level-1-Zentrums droht.

Der GBA ist das höchste Entscheidungsgremium des deutschen Gesundheitswesens. In ihm sind die Krankenhausgesellschaft, Ärzteverbände, Fachgesellschaften und auch Patientenverbände organisiert, um Leitlinien für das deutsche Gesundheitswesen abzustecken. Und diese haben dann bindenden Charakter. Wie etwa die Festlegung des GBA auf eine Mindestmenge für Level-1-Zentren. Diese sind auf die Versorgung von besonders frühen Frühgeburten spezialisiert, die bei der Geburt unter 1250 Gramm wiegen. Mindestens 25 solcher Fälle pro Jahr soll ein solches Zentrum betreuen, um auch künftig bei den Krankenkassen abrechnen zu dürfen. Eine Zahl, die Suhl in den vergangenen Jahren nicht erreicht hat. Schon in diesem Jahr, in dem noch eine Mindestmenge von 20 Geburten gilt, arbeitet Suhl nur mit einer Ausnahmegenehmigung der Kassen und des Landes.

Hecken macht deutlich, dass er von der Vorgabe der 25 Geburten pro Jahr nicht abrücken wird. Das werde er auch dem Ausschuss erklären. Es gehe ihm dabei aber nicht ums Geld. Wie schon gesagt, sparen will er keinen Cent. Sein Antrieb ist die Qualität, die Steigerung der Überlebenswahrscheinlichkeit der Frühchen, die oft nicht einmal so viel wiegen wie ein Karton Milch. „Es gibt einen direkten Zusammenhang zwischen der Behandlungshäufigkeit und der Mortalität deser Frühgeborenen“, sagt Hecken. Steigt die Zahl der Behandlungen pro Jahr zehn Fälle an, so sinkt die Sterblichkeit auf alle Fälle an diesem Zentrum betrachtet um fünf Prozent. Das sei eine Größenordnung, die man nicht ignorieren könne.

Die Festlegung auf 25 Geburten im Jahr sei kein Zufall, sondern das Ergebnis aufwendiger Berechnungen. Und sie liegt unter der Mindestmenge, die der GBA vor Jahren schon einmal festgelegt hatte. Damals lag sie bei 30, doch zahlreiche Krankenhausbetreiber hatten gegen die Festlegung geklagt. Am Ende habe das Bundessozialgericht aber nicht die Mindestmenge an sich infrage gestellt, sagt Hecken, sondern die regionalen Auswirkungen als zu hart empfunden. Es wären zu viele Standort weggefallen.

Nun habe der GBA neu gerechnet, mit allen Mindestmengen zwischen zehn und 50 im Jahr. Herausgekommen sei die 25 als bester Kompromiss aus Steigerung der Qualität durch eine höhere Behandlungsroutine und der regionalen Erreichbarkeit. In einem Papier hatte der GBA einmal vorgerechnet, dass auch nach der Umsetzung der Mindestmenge die durchschnittliche Entfernung zu einem Level-1-Zentrum in Deutschland 24 Kilometer betrage. Ein Wert, der in Südthüringen schon heute nur selten Realität ist. „Viel entscheidender ist aber die Fahrzeit“, sagt Hecken. Und bei 25 Geburten im Jahr blieben eben so viele Zentren in Deutschland übrig, dass nur ein Prozent der werdenden Mütter mit Fahrzeiten von mehr als 75 Minuten zu rechnen habe. Das sei hinnehmbar, findet Hecken, denn nur rund fünf Prozent dieser extrem kleinen Frühchen kämen als Notfall zur Welt, mehr als 95 Prozent der Mütter befänden sich mindestens 24 bis 48 Stunden vor der Entbindung in der Klinik. „Manche sogar schon Wochen vorher, weil ja alles versucht wird, um das Baby so lange wie möglich im Mutterleib zu halten, damit es sich weiterentwickeln kann“, sagt Heckel. Daher gelte die Versorgung dieser Frühchen als planbarer Eingriff, der durch Mindestmengen geregelt werden könne.

Die AOK Plus und der Verband der Ersatzkassen haben berechnet, was eine Schließung der Level-1-Station in Suhl für die Südthüringer bedeuten würde. Die größten Auswirkungen hätte sie für die Menschen in Schmalkalden. Für sie würde die zu erwartende Fahrzeit um 32 Minuten ansteigen. Von aktuell 42 Minuten nach Suhl auf dann 74 Minuten nach Erfurt, wo dann das nächste Level-1-Zentrum wäre. Angesichts der geringen Fallzahlen von um die 15 Geburten in Suhl pro Jahr hält Rainer Striebel, Vorstandsvorsitzender AOK Plus, das für vertretbar. „Was vor Ort aktuell als Katastrophe begriffen wird, das ist anderswo in Deutschland seit Jahrzehnten Realität“, sagt Hecken. In seiner Heimat, dem Westerwald, habe die Fahrzeit zum nächsten Level-1-Zentrum schon immer mehr als 60 Minuten betragen.

Wobei alle Experten, die an diesem Abend noch vor dem Ausschuss sprechen sollen, immer wieder betonen, dass es ihnen nicht darum gehe, die Arbeit der Mitarbeiter in Suhl zu diskreditieren. „Dort wird engagiert und gut gearbeitet“, sagt Striebel. Tatsächlich weisen aktuelle Vergleiche für Suhl sogar bessere Werte aus als für Jena. In der Gesamtheit allerdings schneiden Häuser mit hohen Fallzahlen besser ab als solche mit niedrigen Fallzahlen. Aber, auch das betonen die Experten: es gehe nicht darum, die Geburtsmedizin in Suhl im ganzen zu schließen. „dafür ist Suhl für die regionale Versorgung viel zu wichtig“, sagt Mario Rüdiger, Leiter des Fachbereiches Neonatologie und Pädiatrische Intensivmedizin am Uniklinikum Dresden. Auch er ist als Experte geladen. Unter anderem auch, um von seinen Erfahrungen in Sachsen zu berichten. Dort habe dieser Prozess der Zentralisierungen von extremen Frühgeburten schon stattgefunden, berichtet er. Entstanden sei ein leistungsfähiges Netzwerk mit einem Level-1-Zentrum in Dresden und einem Netz aus Level-2- und Level-3-Zentren im Umkreis. Inzwischen funktioniere auch die Vernetzung unter den Kliniken sehr gut, sei es selbstverständlich, dass Kliniken bestimmte Patientinnen nach Dresden verweisen. Sein Haus käme so auf etwa 150 Fälle im Jahr von Geburten mit einem Gewicht von 1250 Gramm. Im internationalen Vergleich sei das immer noch wenig. Kämen ausländische Kollegen zu Besuch, dann würden sie ihn fragen, wie sie mit einem so kleinen Zentrum zurecht kommen, so Rüdiger.

In dem Netzwerk sei klar, dass Dresden die Erstversorgung der kleinsten Frühchen übernehme, diese aber an die wohnortnäheren Level-2-Häuser abgebe, sobald die kleinen Patienten und ihre Mütter stabil genug dafür seien. Genau eine solche Rolle sei auch für Suhl denkbar: Die Versorgung von Frühgeburten mit einem Geburtsgewicht über 1250 Gramm und die Nachsorge bei kleineren Frühchen, wenn sie den entsprechenden Zustand erreicht hätten.

Entscheiden muss am Ende die Politik. Im Einvernehmen mit den Krankenkassen. So sieht es das Sozialgesetzbuch vor. Kliniken können einen Antrag auf Ausnahme von der Mindestmenge stellen und müssen diesen begründen. Kommen Gesundheitsministerium und Kassen dann ebenfalls zu dem Ergebnis, dass sie die medizinische Versorgung im Bereich der kleinsten Frühgeborenen in einer Region als gefährdet ansehen, wenn ein Level-1-Zentrum geschlossen wird, dann können sie eine Ausnahme für ein Jahr erteilen. Erteilen sie diese Ausnahme nicht, dann kann der Klinikbetreiber gegen diese Entscheidung klagen. Am 6. August ist der Stichtag, bis zu dem die Level-1-Zentren in Thüringen ihre Prognosen abgeben müssen. Dann geht die Diskussion weiter.

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