„Meist ist es so, dass sich Eltern phasenweise mal dem einen oder mal dem anderen Kind näher fühlen“, sagt Hartmut Kasten. Das sei nicht weiter tragisch. Selbst wenn ein Elternteil dauerhaft zu einem und das andere Elternteil dauerhaft einem anderen Kind eine engere Beziehung hätte, müsse das die kindliche Entwicklung nicht negativ beeinflussen. „Wichtig ist nur, dass jedes Kind wahrgenommen wird.“
Genau das sei aber auch nicht in allen Familien der Fall, sagt Kasten. Er schätzt, dass in etwa zehn Prozent der Familien ein Kind dauerhaft bevorzugt wird – und zwar nicht nur von beiden Eltern, sondern auch von Großeltern oder dem sozialen Umfeld.
Wie wirken sich Präferenzen von Eltern langfristig aus?
Die Gründe dafür sind vielfältig: Vielleicht ist ein solches Kind besonders attraktiv, hat ein besonderes Talent oder braucht aufgrund einer Krankheit besondere Aufmerksamkeit. „Außerdem haben Eltern bestimmte Vorstellungen und Erwartungen an ihr Kind. Wenn diese der Realität nicht entsprechen, kann es sein, dass dieses Kind benachteiligt wird“, sagt Martina Stotz, Familienberaterin, die ihre Doktorarbeit zum Thema Lieblingskinder geschrieben hat.
Kinder, die in ihrer Familie dauerhaft nicht bevorzugt wurden, haben daran ein Leben lang zu knabbern „Sie fühlen sich weniger geliebt, haben kein gutes Selbstwertgefühl und können sogar suizidale Tendenzen entwickeln“, sagt Hartmut Kasten. Vor allem wirkt sich das aber nicht nur negativ auf die Beziehung zu den Eltern aus – sondern auch auf die zu den Geschwistern.
Damit es nicht so weit kommt, hilft es, wenn Eltern bewusst auch mal Zeit mit nur einem ihrer Kinder verbringen. „Es geht dabei aber nie darum, dass man alle Kinder immer gleich behandeln muss, das ist Unsinn. Wichtig ist, dass die Kinder sich fair und gerecht behandelt fühlen“, sagt Hartmut Kasten.