Die Stillen sind schuld. Schuld daran, dass auf jeder Familienfeier jemand mit Krücken oder Gipsbein angehumpelt kommt. Die Stillen: So würden in einer DDR, die bis heute überlebt hätte, Autos mit Elektroantrieb heißen. Der inzwischen kapitalistische Staat unter Führung der Partei hätte eine Elektrokratie errichtet, um den reichen Ölscheichs das Geschäft zu verderben. Denn der Strom zum Antrieb der Autos hingegen, der käme ja aus der DDR selbst. Von hölzernen Windkraftanlagen erzeugt.

Z umindest in der Fantasie von Thomas Brussig. Und die kennt weder Grenze noch Mauer. Eine Parodie auf eine Autobiografie soll es sein, dieses "Das gibts in keinem Russenfilm", aus dem der Berliner Autor am Dienstag in der Stadtbücherei Suhl einige Passagen vorlas. Und die Zuschauer kicherten und glucksten bei der trockenen Beschreibung den Szenarien, die sich in einer DDR im Jahre 2014 abspielen könnten. Dazu der gekünstelt dümmlich-naive Tonfall, mit dem Brussig seine Geschichten beim Vorlesen würzte. Als einen leisen Rebell sieht er offenbar die Romanfigur Thomas Brussig, die zumindest zur Beruhigung ihres Gewissens tut, was sie kann: Gegen die Tesla-Boxen pinkeln, an denen die Akkus für die E-Autos ausgetauscht werden - um zu zeigen, dass Windräder, die den Strom dafür liefern, das System der Unfreiheit zementieren. Weil sie es sind, die die DDR ökonomisch aufrechterhalten.

Echt oder unecht

Aufgehört hat der fiktionale Brussig damit erst, als er sich einen Stromschlag geholt hat. Für einen Witz obendrauf reicht es ihm aber noch: Als er an jenem Abend zu seiner Frau ins Bett gekrochen sei, habe er ihr gesagt: "Heute wirst du aufleuchten wie ein Spielautomat."

Brussig auf der Bühne, Brussig im Buch: Wie viel vom echten Thomas Brussig steckt denn da eigentlich drin in dieser Geschichte? Freilich: Ruhig und zurückhaltend wirkt der Autor, der da in Stadtbibliothek leicht erhöht vor den Zuschauern thront. "Wie ein Märchenonkel", wie er selbst meint. Und sich dabei wahrscheinlich ein wenig unwohl fühlt. Sehr, sehr ähnlich kommt der Brussig im Buch rüber. Ein bisschen scheu, doch im Inneren kampfeslustig.

Aber, und das betont wiederum der echte immer wieder: Bis 1989 gleichen sich die Lebensläufe von Autor und Romanfigur zwar tatsächlich weitgehend. "Und nur, weil dann die Geschichte falsch abbiegt - nein: eine andere Richtung nimmt - fangen die fetten Lügen an."

Den Thomas Brussig im Buch, sagt der echte, habe er von Anfang an wie eine literarische Figur behandelt. Damit sei die perfekte Autobiografie entstanden, weil in diesem Genre - so meint der Autor - eh nur geschummelt werde. Da würden Ereignisse aus dem eigenen Leben unverhältnismäßig aufgebauscht und über anderes hinweggehuscht.

Schummeln, dazu allein bräuchte Brussig nicht das Genre der Autobiografie vorzuschieben. Wenn er Sahra Wagenknecht in die Rolle einer Nachrichtensprecherin für die Aktuelle Kamera versetzt, Richard David Precht zum Leiter des Literaturhauses Heidelberg macht oder es mit der Eitelkeit eines Hermann Kant auf die Spitze treibt, dann ist das witzige Unterhaltungsliteratur, dann wischen sich die Leute im Publikum Lachtränen aus den Augen.

Der Macht bewusst

Auf die Frage eines Zuschauers, wie denn die betroffenen Prominenten reagieren, wenn sie Gegenstand der Fantasie eines Thomas Brussig werden, wird der Autor ganz ernst. Seiner Macht als Schriftsteller ist er sich durchaus bewusst. Und genau deswegen habe er sich selbst die Regel aufgestellt: "Der Depp bin immer ich." Und wenn ein eitler Hermann Kant sich beschweren würde, dann könne er ihm nicht helfen, sagt Brussig. Abgesehen davon: "Ich gehe so behutsam mit den Prominenten um, dass sie sich nach der Lektüre wohl die DDR wieder wünschen."

Als der Autor am Ende seines Buchs die Realität zur Fiktion macht, ja, da fühlt es sich schon ein wenig so an, als sei das Deutschland, in dem wir tatsächlich leben, auch nicht viel mehr als das Hirngespinst eines Schriftstellers.

Oder mit den Worten des Roman-Brussigs: "Wie kann man sich bloß so einen Käse ausdenken?"