Anlässlich eines Symposiums der Meininger Theaterfestwoche im April haben wir unter dem Titel "Die Magie der Performance" einen Beitrag von Maren Goltz zu den sogenannten "Meininger Prinzipien" der Theaterkunst veröffentlicht. Beim Museumstag am vergangenen Sonntag hat die Musik- und Theaterwissenschaftlerin das Thema erneut aufgegriffen - in Form einer Zeichnung von Herzog Georg II. Die Skizze zeigt, wie der Theaterherzog Angaben aus einer wissenschaftlichen Publikation kombiniert und dramatisiert, um eine überwältigende szenische Wirkung zu erzielen. In einem "überwältigenden Gesamtkonzept" sieht Maren Goltz ein wesentliches Prinzip der Meininger Theaterkunst der Herzogszeit. Wir fragten sie nach Reaktionen.

Frau Goltz, am Meininger Theater war man wenig amused über Ihren Diskussions-Beitrag. Gab es noch andere Reaktionen?

Ich habe viel positive Resonanz in Form von Nachrichten und Gesprächen erhalten. Auch der Intendant des Theaters, Ansgar Haag, hat ja in seinem Leserbrief meine Ausführungen durchaus gewürdigt, nur hatte er das Gefühl, Alfred Erck in Schutz nehmen zu müssen. An sich eine nette Geste. Auf dem Symposium war die Atmosphäre freilich deutlich angespannter und Alfred Erck hat wiederholt eine öffentliche Entschuldigung gefordert.

Das haben Sie nicht getan. Warum?

Zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass ich eine kritische Hinterfragung von Forschungspositionen in einem als Diskussionsbeitrag gekennzeichneten Artikel nicht als "Herabwürdigung" verstehe. Alfred Erck hat zahlreiche Verdienste um die Meininger Kulturgeschichte, die ich ausdrücklich anerkenne und wertschätze. Das bedeutet jedoch nicht, dass seine Arbeiten - ebenso wie die sämtlicher Wissenschaftler - nicht immer wieder auf den Prüfstand gehören. So geht Wissenschaft und das ist ihre Aufgabe.

Ihr Beitrag und das Symposium beschäftigten sich mit zwölf "Meininger Prinzipien", mit denen verschieden Autoren die Theaterkunst Herzog Georg II. erklären. Sie melden deutliche Kritik daran an. Warum?

Eine kritische Hinterfragung ist in mehrfacher Hinsicht zwingend erforderlich. Es lässt sich nämlich beobachten, dass diese sogenannten "Prinzipien" zunehmend als von Herzog Georg II. und seinen Vertrauten im 19. Jahrhundert aufgestellte Leitideen einer "Theaterreform" betrachtet, verabsolutiert und instrumentalisiert werden. Und hier muss ganz klar gesagt werden: Dem ist nicht so. Wie Alfred Erck noch in seiner Publikation von 1999 so treffend formuliert, wurden die "Meininger Prinzipien" von ihren Schöpfern nie theoretisch-systematisch dargestellt. Folglich stellten die von ihm im Anschluss aufgestellten zwölf Thesen nur einen Versuch dar, ich zitiere, "auf der Grundlage des heutigen Wissensstandes die ‚Meininger Prinzipien‘ auf möglichst einfache Weise zusammenzufassen". Dies war damals sicherlich ein wichtiger Beitrag, aber Versuche, zumal auf einer begrenzten Forschungsgrundlage, sind keine Gewissheiten und schon gar keine unumstößlichen Dogmen.

Aus Ihrer Sicht leistete das Symposium also keine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Thesen. Wurde damit eine Gelegenheit vergeben?

Da bereits das Symposiums-Programm erahnen ließ, dass die Gelegenheit einer Problematisierung der Thesen ungenutzt verstreichen würde, habe ich den Anstoß zum kritischen Überdenken in einer längst überfälligen Debatte unternommen. Wie dringend notwendig dies war, hat das viertägige Symposium, das in der ansonsten künstlerisch überaus vielfältigen Festwoche stattfand, eindrucksvoll unterstrichen: Denn hier fand diese Debatte - obwohl es genau der richtige Ort gewesen wäre - nicht statt. Sie war überhaupt nicht vorgesehen. Bereits die Einladung zum Symposium erfolgte unter der reichlich unreflektierten Prämisse, dass "die ‚Meininger Prinzipien‘ aus dem 19. Jahrhundert" auf ihre "Aktualität", "Langlebigkeit" und "Zukunftsfähigkeit" befragt werden sollten, obwohl doch eigentlich erst einmal hätte geklärt werden müssen, ob und inwieweit diese "Prinzipien" überhaupt einer kritischen Prüfung standhalten.

Tun sie es aus Ihrer Sicht?

Die theaterwissenschaftliche Forschung hat längst gezeigt, dass zumindest einzelne der formulierten "Prinzipien" einer kritischen Prüfung nicht standhalten. Das scheint aber bei einigen vor Ort mit der Thematik betrauten Personen nicht anzukommen bzw. mit Ignoranz und Schweigen gewürdigt zu werden.

Was genau hat Sie - aus dem Blickwinkel der Wissenschaftlerin - am Symposium gestört?

Da gibt es mehrere Punkte, aber um einmal konkret zu werden: Während des Symposiums kursierten allein vier verschiedene, z. T. gravierend voneinander abweichende Versionen der "Prinzipien", ohne dass dies auch nur im Ansatz von den Verantwortlichen thematisiert worden wäre: Erstens die Fassung von Alfred Erck und Volker Kern, Leiter des Theatermuseums, aus der Publikation "Die Meininger kommen!", zweitens die hiervon leicht abweichende Version von Volker Kern aus dem "Meininger Stadtlexikon", drittens eine noch stärker modifizierte, nicht publizierte Version, die von Florian Beck während des Symposiums kommentarlos und ohne Quellenangabe ausgelegt wurde. Und schließlich die vierte, wiederum abweichende Fassung, die als jeweilige Titel für die Programmpunkte und Vorträge des Symposiums Verwendung fand. Unglücklicherweise basierte gerade die letzte, besonders fragwürdige Fassung offenkundig auf dem Wikipedia-Eintrag "Meininger Prinzipien". Unter diesen bedenklichen Voraussetzungen wurden Gelder erfolgreich beantragt sowie Referenten, Hörer, Presse und hochrangige Gäste eingeladen. Auf dieser textlichen Basis fand jegliche Diskussion statt. Das lässt einen an Wissenschafts- und Kulturvermittlung ernsthaft Interessierten sprachlos zurück.

Abgesehen davon. Sie kritisieren die zwölf Prinzipien auch inhaltlich. Erklären Sie doch mal, was für Sie unhaltbar ist!

Um ein besonders drastisches Beispiel für die erstaunliche Variationsbreite der historischen "Meininger Prinzipien" herauszugreifen: "Prinzip" Nr. 11 reicht von "Theaterfinanzierung - Pflicht für alle" (Erck/Kern), über das schon eingeschränkte "Einen Beitrag zur Theaterfinanzierung zu leisten, ist die Pflicht Aller" (Kern) bzw. nur noch "Theaterfinanzierung" (Beck) bis zum auf dem Symposium formulierten "Theaterfinanzierung ist Pflicht der Gesellschaft". So erfreulich Letzteres wäre, das ist als Prinzip eines höfischen Theaters des 19. Jahrhunderts schlichtweg absurd.

Was beschreiben denn die "Prinzipien" in Ihren Augen?

Die "Meininger Prinzipien" in ihrer bisherigen Form können gleich in welcher Fassung nur bedingt etwas zur Erklärung der historischen Bedingungen des Kulturschaffens der Meininger im 19. Jahrhundert beitragen. Aber ist es nicht auch Aufgabe von Wissenschaft und Museen einer breiteren Öffentlichkeit Geschichte verständlich zu vermitteln? Ich denke, ja. Wenn Sie heute ins Theatermuseum gehen, dann stehen Sie vor dem großartigen Bühnenbild zum "Sommernachtstraum" von 1910/11, das auf den ersten Blick zwei Aspekten den "Meininger Prinzipien" widerspricht: Es ist nicht der von Shakespeare vorgesehene Raum im Palast des Theseus, sondern eine - im Übrigen auch stilistisch eigentlich nicht passende - antike Säulenhalle. Und das Bild ist in der Zentralperspektive gehalten, was ja nach den "Prinzipien" unbedingt zu vermeiden gewesen wäre. Was soll der geneigte Besucher jetzt davon halten? Kurzum: Die Prinzipien gehören auf den Prüfstand. Und vor allem muss deutlich werden, dass es Annäherungen an die Theaterkunst der Herzogszeit sind, keine in Stein gemeißelten, unverrückbaren Grundsätze.

Wenn eine Diskussion auf wissenschaftlicher Grundlage, wie Sie sagen, kaum stattfindet, was erhoffen Sie sich von Ihrer Intervention?

Wenn die Debatte dazu führen würde, in eine offene, wirklich interdisziplinäre und institutionenübergreifende Diskussion über die Meininger Theater- und Musikgeschichte einzutreten, wofür ich seit Jahren plädiere, diese für die Gegenwart und Zukunft des Meininger Kulturlebens fruchtbar sowie in vielfältigen Formen für ein breites Publikum sinnlich und intellektuell erfahrbar zu machen, so dass die Meininger und ihre Gäste, gleich ob allgemein Interessierte oder Spezialisten, mit Freude und Begeisterung am Kulturleben teilnehmen, dann wäre viel gewonnen. Interview: Peter Lauterbach