Erfurt "Die demokratische Kontrolle darf nicht außen vor bleiben"

Eike Kellermann
Astrid Rothe-Beinlich. Quelle: Unbekannt

Astrid Rothe-Beinlich ist neue Chefin der Grünen-Landtagsfraktion. Sie warnt: Auch in der Ausnahmesituation der Corona-Krise darf der Landtag nicht entmachtet werden.

 
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Erfurt - Auch wenn in dieser Krisenzeit, in der die Regierungen massiv in das Leben der Bürger eingreifen, es anders scheinen mag: Der Souverän ist nach wie vor das Volk, für das stellvertretend die gewählten Repräsentanten in den Parlamenten die Entscheidungen treffen. Doch die Parlamente sind wegen der Virus-Epidemie lahmgelegt. Im Thüringer Landtag finden vorerst bis zum 19. April keine Sitzungen mehr statt.

Einstimmig gewählt

Astrid Rothe-Beinlich wurde am Mittwoch von der fünfköpfigen Grünen-Fraktion einstimmig zur Fraktionschefin gewählt. Die 46-Jährige ist Nachfolgerin von Dirk Adams, der Justizminister wurde. Schon 2009 hätte sie, die damalige Spitzenkandidatin, den Posten nach dem Wiedereinzug der Grünen in den Landtag gern gehabt. Doch sie und Adams blockierten sich, so dass Anja Siegesmund lachende Dritte war. Nach deren Wechsel 2014 an die Spitze des Umweltministeriums übernahm Adams. Zur neuen parlamentarischen Geschäftsführerin wurde jetzt die Ilmenauerin Madeleine Henfling gewählt, ebenfalls einstimmig. ek

Ein Zustand, der die neue Grünen-Fraktionschefin Astrid Rothe-Beinlich beunruhigt. "Wir müssen aufpassen, dass die demokratische Kontrolle nicht außen vor bleibt", sagt sie im Gespräch mit unserer Zeitung. Sie beobachte mit "großer Sorge", dass demokratische Gremien ausgesetzt würden. Weil zur Eindämmung des Virus auch die Abgeordneten nicht mehr zusammenkommen sollen, hätten Fachausschüsse zumindest per Telefon- oder Videokonferenz getagt, begrüßt die Grünen-Politikerin. Die nächste Landtagssitzung Anfang April wurde im Einvernehmen der Fraktionen jedoch abgesagt.

Aber sind - bei allen jetzt schnell zu treffenden Entscheidungen - nicht weiterhin auch politischer Wettbewerb und Meinungsstreit nötig? Schließlich schränken die Regierungen das Leben der Bürger erheblich ein. Zudem sind Nothilfspakete und Nachtragshaushalte zu beschließen, was nur die Parlamente dürfen. "Die notwendigen Debatten müssen geführt werden", betont Rothe-Beinlich.

Man dürfe sich in dieser Ausnahmesituation nicht nur auf einen starken Ministerpräsidenten verlassen, sagt sie. Lobenswert sei, dass das Bildungsministerium die fachlich zuständigen Abgeordneten an den Entscheidungen beteilige. Beim Agrarministerium klappe das nicht so gut. So hätten die Bauern zu Recht darauf hingewiesen, dass sie als Lebensmittel-Erzeuger für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung ebenso wichtig seien wie Ärzte oder Polizisten und sie daher auch einen Anspruch auf Notbetreuung ihrer Kinder haben müssten.

Die Sitzungspause im Thüringer Landtag wird vermutlich nicht schon am 19. April zu Ende sein - jedenfalls nicht nach den Erfahrungen in China bei der Eindämmung der Epidemie. Vor diesem Hintergrund dringt Rothe-Beinlich darauf, dass die für Mitte Mai angesetzte Plenarsitzung stattfindet. In welcher Form das geschieht, müsse jetzt vorbereitet werden.

Denkbar ist ein großer Saal mit ausreichend Abstand zwischen den 90 Abgeordneten, damit sie sich nicht anstecken. Denkbar ist eine Videokonferenz. Auch über ein "Notparlament" werde nachgedacht, sagt Rothe-Beinlich. In dieses würden die Fraktionen einige Vertreter entsenden. Ob das verfassungsrechtlich zulässig ist, ist eine der vielen unbeantworteten Fragen.

Der Corona-Ausbruch fällt in eine ohnehin schwierige Phase der Landespolitik, die gerade eine Regierungskrise hinter sich hat. Nun wollen die rot-rot-grüne Minderheitskoalition und die oppositionelle CDU zusammenarbeiten - bis zur Verabschiedung des Haushalts für 2021. Ob der Zeitplan und damit auch die für April 2021 geplante vorgezogene Neuwahl zu halten sind, wird mit jedem Tag Corona-Krise ungewisser.

Die neue Grünen-Fraktionschefin ist dennoch optimistisch, dass die vier Parteien neben dem Haushalt weitere Vorhaben auf den Weg bringen werden. "Nur verwalten wäre uns nicht genug", sagt sie. So wolle man in praktische Politik umsetzen, was mit dem "Schulfrieden" als Ziel vereinbart wurde. Dazu gehöre, dass niemand mehr ohne Abschluss die Schule verlässt. Dass statt drei nun sogar vier Parteien beteiligt sind, "macht es komplizierter", sagt Rothe-Beinlich. Um zu Kompromissen zu kommen, müssten sich nun alle aufeinander zubewegen.

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