Digital-Ausstellung Was beherbergt die Göttinger Schädelsammlung?

Markus Brauer/
Die Blumenbachsche Schädelsammlung befindet sich im Zentrum Anatomie der Universitätsmedizin Göttingen. Die Sammlung wurde im 19. Jahrhundert von Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) begründet. Sie ist damit die älteste Schädelsammlung Deutschlands (Archivbild). Foto: picture-alliance/dpa/Frank May

In zwei Sammlungen lagern an der Universität Göttingen über 1000 menschliche Überreste, die meist zu Kolonialzeiten erbeutet wurden. Eine Ausstellung beleuchtet die Sammlungen.

 
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Mit der digitalen Sonderausstellung „Unpacking Colonialsm“ will das Forum Wissen in Göttingen die Schädelsammlungen der Universität Göttingen beleuchten. An der Hochschule befinden sich in zwei umfangreichen Sammlungen – der Anthropologischen Sammlung und der Blumenbachschen Schädelsammlung – mehr als 1000 menschliche Überreste, die meist zur Kolonialzeit unrechtmäßig in den Besitz der Georg-August-Universität in Göttingen gelangt sind.

Georg-August-Universität Göttingen: Das Forschungsprojekt „Sensible Provenienzen“ will Wege für eine Rückführung menschlicher Überreste in ehemalige Kolonialgebiete eröffnen. Foto: Swen Pförtner/dpa
Dieser Schädel stammt aus der Schädelsammlung des Anthropologen (Archivbild).  Foto: Universitätsmedizin Göttingen/Zentrum Anatomie

„Unpacking Colonialism“

Die Ausstellung „Unpacking Colonialism“ soll sich mit der Frage befassen, wie mit dem Raubgut umgegangen werden soll, wie das Forum Wissen mitteilt. Sie wird am Montagabend (25. März) offiziell im Forum Wissen eröffnet.

Bereits vor der Eröffnung der Ausstellung sollen am Montagnachmittag Gebeine an die Republik Palau zurückgegeben werden. Neben menschlichen Überresten aus den Sammlungen der Universität Göttingen sollen auch ein Schädel, eine Gipsbüste sowie eine Haarprobe aus den Staatlichen Ethnographischen Sammlungen Sachsen überreicht werden. Eine Delegation des Inselstaates aus dem Pazifik soll die Gebeine entgegennehmen.

Die Gastwissenschaftler Tarisi Vunidilo (links) von der University of Hawaii at Hilo und Te Herekiekie Herewini vom Museum of New Zealand Te Papa Tongarewa stehen in der Blumenbachschen Schädelsammlung im „Forum Wissen“ der Universität Göttingen. Foto: dpa/Swen Pförtner

Gebeine lagern in Kartons

An der Universität Göttingen lagern die Gebeine in Kartons. Seit Sommer 2020 untersuchen Göttinger und internationale Wissenschaftler im Projekt „Sensible Provenienzen“ die menschlichen Überreste auf ihre koloniale Vergangenheit. Die meisten wurden nach Angaben der Universität gegen den Willen der einheimischen Bevölkerung entwendet – etwa durch Wissenschaftler oder Händler. Dabei sei es auch zu Raub und Grabplünderungen gekommen.

Bei „Unpacking Colonialism“ kommen internationale Gastwissenschaftler des Forschungsprojektes in englischsprachigen Kurzfilmen zu Wort. Die Forscher aus den Herkunftsländern der Gebeine sprechen dabei unter anderem über ihre Forderungen im Umgang mit den menschlichen Überresten.

Die Universität Göttingen hat seit Beginn des Forschungsprojektes im Jahr 2020 bereits mehrfach Gebeine an Herkunftsländer zurückgegeben, unter anderem an Hawaii und Neuseeland. Die meisten Gebeine stammten aus dem späten 18. Jahrhundert oder der Zeit davor.

Raubgut aus der Kolonialzeit

Bei den Gebeinen handelt es sich hauptsächlich um Schädel aus Asien und Ozeanien, die meist in der Kolonialzeit nach Europa gelangten.

Kolonialherren raubten damals Gebeine, aber auch Schmuckstücke oder Werkzeuge und brachten sie etwa nach Deutschland. Die Forschung und Lehre mit den menschlichen Überresten aus kolonialen Zusammenhängen ist an der Universität Göttingen verboten.

Woher stammen die Gebeine?

Die Aufgabe der Forscher besteht darin, genau herauszufinden, woher die einzelnen Gebeine stammen, die Teil der Blumenbachschen Schädelsammlung und der Anthropologischen Sammlung der Universität Göttingen sind. Denn nicht immer ist die Herkunft gut dokumentiert.

„Das Ziel ist es die richtigen Schädel in die richtigen Länder zurück zu geben“, betont der Chef des Rückführungsprogramms von Neuseeland, Te Herekiekie Herewini.

Info: Anthropologische Sammlung der Universität Göttingen

Sammlungen
Die Anthropologische Sammlung und die Blumenbachsche Schädelsammlung der Universität Göttingen verfügen über eine Vielzahl menschlicher Schädel und Skelette. Ob diese unrechtmäßig erworben wurden, aus ehemaligen Kolonien stammen und wie mit ihnen umzugehen ist, untersuchen seit dem Jahr 2020 Wissenschaftler im Forschungsprojekt „Sensible Provenienzen. Menschliche Überreste aus kolonialen Kontexten in den Sammlungen der Universität Göttingen“. Im Rahmen dieses Forschungsprojektes werden auch Teile der Sammlung aus der Historischen Anthropologie untersucht.

Anthropologische Sammlung
Die Sammlung der Historischen Anthropologie gehört zu den vergleichsweise jungen Sammlungen der Universität Göttingen. Der Grundstock wurde in den 1950er-Jahren mit einen Sammlung menschlicher Schädel gelegt, die vom Hamburger Völkerkundemuseum überlassen wurden. In den 1970er Jahren kam eine Primatenschädelsammlung dazu, später wurden aus Forschungsprojekten der Abteilung neue Teilsammlungen aufgebaut, darunter zum Beispiel die Sammlung histologischer Präparate der Knochenmikrostruktur. Die Anthropologische Sammlung untergliedert sich in sieben Teilsammlungen.

Academisches Museum
Die Sammlungen des Academischen Museums der Universität Göttingen wurden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf die Universitätsinstitute verteilt, die für die sich ausdifferenzierenden wissenschaftlichen Fachdisziplinen entstanden. Objekte aus dem Academischen Museum und aus den 1840 für das Museum angekauften Privatsammlungen Blumenbachs befinden sich heute in verschiedenen, in der Regel nicht öffentlich zugänglichen Göttinger Lehr- und Forschungssammlungen.

Blumenbachsche Schädelsammlung
Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) war ein deutscher Anatom und Anthropologe. Er gilt als Begründer der Zoologie und Anthropologie als wissenschaftliche Disziplinen. In seinen anatomischen Studien konzentrierte ich Blumenbach auf den menschlichen Schädel als den Teil, den er für die Beschreibung der Verschiedenheiten als besonders geeignet ansah.

Anatomie
Nach Blumenbachs Tod wurde die Sammlung – mit einem Bestand von mindestens 230 Schädel – von der Universität angekauft und von Blumenbachs Nachfolgern in der Göttinger Anatomie ständig erweitert; heute umfasst die Sammlung insgesamt 840 Sammlungsstücke und ist die älteste und größte universitäre Schädelsammlung der Welt.

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