Bach hingegen bleibt. 26 Jahre sind es zu diesem Zeitpunkt. Am Schluss werden es 32 sein. Prädikat seiner Amtszeit: unauffällig. Dieses Urteil mag hart erscheinen. Des klangvollen Namens wegen. Aber Vetter Bach in Leipzig spielt in einer anderen Liga. Immerhin gibt es Berührungspunkte, wie sich noch zeigen wird.
Kunst und Kultur spielen im Herzogtum Sachsen-Meiningen von Anfang an eine bedeutsame Rolle, seit Bernhard I. Die Gründe sind vielfältig: Erholung für Körper und Geist, Zeitvertreib, Aus- und Weiterbildung, Prestige. Nicht zu vergessen der Wettbewerb mit den Nachbar-Familien in Coburg, Gotha oder Weimar. Mein Schloss, mein Reitpferd, meine Hofkapelle. Keine zehn Jahre ist das Ensemble alt, als es sich zum ersten Mal als Wendepunkt im Leben von Johann Ludwig Bach erweist.
Kaum hat der junge Mann den Abschluss in der Tasche, streckt die Meininger Kirchenbehörde die Fühler aus, gewinnt ihn als Eleven für die Hofkapelle. Man sieht Potenzial in dem frischgebackenen Absolventen. Aus Gründen. Zeigt Bach sich doch nicht nur als Spieler von Musikinstrumenten talentiert, der später als Bläser, am Klavier sowie als Dirigent brilliert und am Puls der Zeit komponiert. Johann Ludwig besticht auch durch seinen frommen Glauben. Und das kommt nicht von ungefähr. Frömmigkeit wird großgeschrieben am Gymnasium in Gotha. Damals Kaderschmiede reiner evangelischer Lehre. Pietismus hat Konjunktur, das heißt auch Feindlichkeit gegenüber Körper und Sinnen. Theater ist Sünde, ebenso wie Musik, Kartenspiel, Tanz und alle nicht-geistliche Kultur. Schüler werden infiltriert, malträtiert, Gegner schon mal suspendiert. Das barocke Universum auf Schloss Friedenstein soll ein Hort des Sittenverfalls sein. Von den Vormündern des Gothaer Herzogs wird dies mit Argwohn betrachtet. Beide sind Hardliner in religiösen Fragen, einer davon sitzt Meiningen – es ist Herzog Bernhard I. Für den Schüler Johann Ludwig aus Steinbach bleibt Gotha zeitlebens Programm. Mit der Vorliebe für Pastelltöne statt für strahlende Farben. Zum Meininger Hofkapellmeister aufgestiegen, ist er zeitlebens mehr Kantor geblieben als Künstler. Bach rechnet sich den Geistlichen zu.
Obolus fällig
Heilfroh ist Vater Jakob über die Meininger Offerte für seinen Sohn. Der Wasunger Kantor ist sozial prekär aufgestellt. Nach dem Tod von Johann Ludwigs Mutter erneut liiert, wird er noch mehrfach Vater. Mit elf wohnt die Halbwaise Johann Ludwig in Gotha beim Onkel, Hutmacher Schmidt. Als für den Jugendlichen dort ein Obolus fällig wird für Kostgeld, brennt förmlich die Hütte. So knapp geht es zu. Der Schulabschluss ist nur mit Unterstützung möglich.
Als Eleve der Hofkapelle kommt der junge Bach zunächst über die Runden. Wohnt im Meininger Schloss, wird dort verpflegt. Allerdings bezweifelt der Vater, dass Lakaien der richtige Umgang für den Jugendlichen seien. Disziplinlos, streitlustig und trunksüchtig sollen sie sein. Zudem rüde Umgangsformen pflegen. Doch Johann Ludwig stellt sich geschickt an. Er fällt auf, seine weitere Qualifikation wird befürwortet. Also wird er nach Salzungen delegiert, wo er an Kirche und Lateinschule assistiert. Studiosus heißt das später. Für ein Studium der Theologie in Erfurt, Halle oder Leipzig reicht es jedoch nicht. Drei Jahre später geht es zurück. Versetzt an die Schlosskirche, wie er selbst formuliert. Als Sachsen-Meininger Kantor und Pageninformator mit Salzunger Sporen – das hat Tradition. Nun ist Bach sogar verantwortlich für die Lakaien.
Suche nach Perspektiven
Abhalten soll er die Kollegen von Alkoholmissbrauch und Beleidigung. Anleiten zu Arbeit und Artigkeit. Das Salär reicht zum Leben. Aber für keine noch so kleine Familie. Residenzgründer Bernhard stirbt nach drei Jahren. Bei einer neuen Herrschaft scheint Vorsicht geboten im Kulturbereich. Der alte Kapellmeister geht, und auch Johann Ludwig sucht neue Perspektiven. Sein Vater Jakob hat stets sozialen Aufstieg im Blick. Und formuliert für den Ältesten eine Bewerbung um das gut dotierte Kantorat in Eisenach. Diesmal allerdings umsonst. Im Wettbewerb um Eisenach siegt kein Bach. Die Nase vorn hat ein Konkurrent aus Sachsen-Weimar. Damit steht fest: Bach bleibt, wo er ist. Und steigt weiter auf.
1711 wird der Kapellinspektor erst Kapelldirektor in Meiningen, dann Schwiegersohn vom Bauinspektor. Es folgt der Umzug in die eigenen vier Wände dem Schloss gegenüber. Rosig ist das Leben dennoch nicht. Aus einem weiteren Brief an Anton Ulrich ist zu erfahren: Mit der Entlohnung des Maestro hapert es seit Jahren. Wegen unpünktlicher Zahlung muss er öfter etwas pumpen. Auch in Sachen Wohngeld, Fisch, Wild und Kerzen lassen sich die Herrschaften länger schon lumpen. Mit Prämien sieht es mau aus. Bach ist genervt. Gefühlt ständig muss er fürs Theater komponieren, früh, mittags und abends zu den Mahlzeiten präludieren.
Auch an Geburts- und Namenstagen von Herzog Ernst Ludwig I., dessen Frauen Dorothea Marie und Elisabeth Sophie und wenn Gäste kommen. Nie sieht er was extra. Auch nicht als Tastenknecht; dabei plagt er sich und alle Fürstenkinder regelmäßig mit Klavierunterricht.
Zuspruch erhält Bach aus Leipzig. Vetter Johann Sebastian ist dort Thomaskantor seit zwei Jahren. Interessiert sich schon länger für die Kantaten des Verwandten. Fertigt Abschriften an, ist gewillt, sie aufzuführen. Das stachelt wohl den Ehrgeiz an, kurz vor seinem 50. Johann Ludwig gibt sein Bestes bei der Trauermusik zum Tod von Herzog Ernst Ludwig. Heraus kommt ein Werk voller Ambition, mit wirklich schönen Stellen, besonders für die zwei Chöre. Ein geschäftstüchtiger Sammler kauft nach Bachs Tod von der Handschrift eine Abschrift. Der Markt für geistliche Werke ist groß. Und der zierliche Name gereicht zur Ehre: Bach. Komplimentiert, manipuliert, retuschiert und spekuliert wird danach. 100 Jahre lang halten Leute vom Fach die Trauermusik von 1725 sogar für einen echten Johann Sebastian Bach. Kein Wendepunkt, aber immerhin eine späte Würdigung.
Die Musik- und Theaterwissenschaftlerin Dr. Maren Goltz ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an den Meininger Museen.