Das „Arkestra“ in Jena Der Sonderling vom Saturn

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Eine mit Obskurem und Superlativen gespickte Gruppe: Das Sun Ra Arkestra tritt am 17. August bei der Kulturarena in Jena auf. Foto: Sibylle Zerr/PR

Man weiß gar nicht, wo man anfangen soll – so viel Beispielloses umgibt das Sun Ra Arkestra, das bald bei der Kulturarena in Jena gastiert. Und dann ist da auch noch dieses „böse“ Wort.

 
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Von Thoralf Lange

Herman Poole Blount, im Jahr 1914 in Birmingham im US-Bundesstaat Alabama geboren, war ein aufgewecktes und zugleich irgendwie komisches Kind. Er fing schon vor dem Teeniealter an zu komponieren. Zeit seines Lebens von einer Hodenkrankheit geplagt, wuchs sich seine Andersartigkeit im Laufe seines Lebens aus.

In seiner Frühphase trug der Pianist und spätere Keyboarder ab 1952 plötzlich Kostüme im altägyptischen Stil und behauptete, er komme vom Planeten Saturn. Er nannte sich fortan Sun Ra, nach dem ägyptischen Sonnengott Ra. Alle biografischen Daten seines Geburtsdatums stritt er zudem von da an konsequent ab. Seine Stücke trugen zunehmend Titel mit Wörtern wie „Planet“, „Interstellar“, „Cosmic“ oder „Asteroid“. Und doch schälten sich aus diesem kruden Klangkosmos ein paar Hits heraus, die weit über die Jazzszene hinaus Anerkennung fanden, „Space ist the place“, beispielsweise. Sun Ras Werk kann nur als unübersichtlich bezeichnet werden, lässt sich aber sehr grob einteilen: in seine Anfänge mit Bigband-Swing in den 1940ern, seine experimentelle Phase in den 1960ern und seine Jazz-Periode, die bis zu seinem Tod anhielt. Der Komponist und Bandleader veröffentlichte Hunderte Alben: oft auf Kleinstlabels, die heute extrem teure und schwer gesuchte Raritäten sind. Und – neu für diese Zeit – auf seinem eigenen Label El Saturn. Das Internetportal Discogs listet allein unter „Sun Ra“ 175 Veröffentlichungen und unter „Sun Ra Arkestra“ weitere 240 Werke. Ungezählte professionelle Biografen und Internet-Blog-Betreiber pflegen das Werk des kultisch verehrten Jazzers.

Sun Ra starb 1993, übrigens in seinem Geburtsort, den der „Außerirdische“ bis zu seinem Tod bestritt. Das musikalische Erbe, das der Pianist, Organist, Bandleader und Komponist von Tausenden Stücken hinterlässt, wird von der Rezipienten-Gemeinde zwiespältig bewertet. Die einen sehen in Sun Ra ein Genie – die anderen einen Scharlatan.

Und doch zählt Sun Ra unbestreitbar zu den Wegbereitern des Free Jazz... Huch! Jetzt ist das böse Wort gefallen. Manche Mitmenschen empfinden diese Art Musik schlichtweg als kakofonisch – unhörbar. Aber keine Angst: Was das „Arkestra“ sich an eruptiven „Ausrastern“ leistet, hält sich erstens in engen Grenzen und ist zweitens sehr wohl strukturiert – und damit live absolut genießbar. Apropos Arkestra – das Wort ist noch so ein Novum. Das Wörterbuch bietet hierfür nicht mal eine Übersetzung an – obwohl der Sinn-Zusammenhang auf der Hand liegt. Wer vom Saturn stammt, spielt schließlich nicht in einem ordinären Orchester.

Was Sun Ra in seinem Todesjahr – wohl sehr zu seinem Leidwesen und zu unserem großen Glück – nicht mit auf die weite Reise zum Saturn nehmen konnte: das Arkestra selbst. Denn seine bestens eingespielte Combo existiert natürlich weiterhin, erneuert sich immer wieder aus sich selbst heraus und bespielt bis heute die großen Bühnen und Festivals dieser Welt.

Und da sind wir bereits beim nächsten Verrückten: Der Bandleader des Arkestras, der Saxofonist Marshall Allen, befindet sich in seinem 100. Lebensjahr. Seit den 1950ern spielt er mit Sun Ra zusammen, von dem er das Orchester erbte. Sein unglaubliches Alter hält Allan nicht davon ab, mit seiner Bigband um den Erdball zu reisen – und mit der 15-köpfigen Truppe um Sängerin Tara Middleton am 17. August zur Kulturarena auf dem Theatervorplatz in Jena zu landen. Selbstverständlich können dann alle „Hits“ in bester Bigband-Manier erleben werden. Und noch einmal wird es bemerkenswert: Die Show in der ostthüringischen Universitätsstadt wird die einzige in Mitteleuropa sein!

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