Und der große Rest? 85 Prozent wurden an westdeutsche Unternehmen vergeben, gerade einmal sechs Prozent gingen an Ostbürger – der Rest an ausländische Konzerne. Die Zeit erinnert ein bisschen an die Besetzung durch die Russen nach dem Zweiten Weltkrieg: Die modernsten Maschinen wurden oft aus den Betrieben herausgeholt, diesmal aber in den Westen gebracht. Danach sind die Werke abgewickelt, sprich: geschlossen, worden. Breuel hatte westdeutsche Manager in die Treuhand geholt – ein genialer Schachzug – , die Konkurrenz konnte vernichtet werden. Übrigens waren in den Arbeitsverträgen der Treuhandmitarbeiter diese von jeglicher Verantwortung freigesprochen worden. Das zieht sich bis heute fort, die Akten von damals sind zwar inzwischen zugänglich, aber die Namen wurden geschwärzt und bleiben es, so lange die Betreffenden leben. Im Thüringer Landtag gibt es allerdings seit April diesen Jahres einen Untersuchungsausschuss zur Arbeit der Treuhand, und man darf gespannt sein, was dort herausgefunden wird.
Ausverkauf war nicht zwangsläufig
Fragt sich, welchen Einfluss die Regierung auf das Handeln der Treuhand hatte. Hätte man diesen Ausverkauf nicht verhindern können, ja müssen? Hätte man, ist Katrin Rohnstock überzeugt, wenn man gewollt hätte! Stattdessen stand die Regierung von Helmut Kohl voll dahinter, den Osten als verlängerte Werkbank zu betrachten, die Konkurrenz für die Westkonzerne zu zerschlagen und mit dem Osten neue Absatzmärkte zu gewinnen. Rohwedders Bemühungen, viele DDR-Betriebe zu erhalten, schlugen ins Gegenteil um, und die Entwertung der besetzten DDR zeigte sich, indem aus einem Wirtschaftsgebiet dank der auf allen Gebieten ausgeschalteten Konkurrenz ein Absatzmarkt wurde. Durch die subjektive Kreditvergabe der Banken hatten die ehemaligen DDR-Bürger außerdem kaum eine Chance auf wirtschaftliche Selbstständigkeit – im Unterschied zu mancher zwielichtigen Gestalt aus dem Westen. Auch zu dem Thema gab es an diesem Abend eine besonders lebendige und anregende Diskussion der Teilnehmer in der Kulturbaustelle, die zeigte, dass die Folgen des Wirkens der Treuhand längst nicht verarbeitet und abgehakt sind.
Die Rolle der Gewerkschaften
Alle bezirksgeleiteten Unternehmen (wie zum Beispiel das Bezirkskrankenhaus in Suhl), kam in der anschließenden Diskussion zur Sprache, sollten übrigens auf die Länder übergehen. Aus der Landesträgerschaft heraus fand nicht selten eine Privatisierung statt. Hintergrund war, dass wirtschaftlich gearbeitet werden musste, was zu Ostzeiten in sozialen und kulturellen Bereichen keine Rolle gespielt hatte. Auch die Rolle der Gewerkschaften kam zur Sprache. Die überhöhten Lohnforderungen führten nicht selten zum Konkurs der Ostbetriebe. Andererseits fehlte eine große Gewerkschaft bei den Streiks für die Erhaltung zum Beispiel von Arbeitsplätzen der Kumpel in Bischofferode. Zur Sprache kam auch das Kaufverhalten der in der DDR Lebenden, die lange Zeit die Waren aus dem Westen den Ostprodukten vorzogen.
Die Lehren aus dem unrühmlichen Ende der Industriegeschichte der DDR drückte die Rednerin des Abends aus mit dem Satz: Nur wenn wir wissen, woher wir kommen, wissen wir auch, wohin wir gehen. Jeder, der die Wende bewusst erlebt hat, der ist bis heute durch diese Erfahrung geprägt. Viele mussten eine Entwertung als Fachkraft erleben, haben noch einmal von vorn anfangen müssen. Aus dieser Enttäuschung wird mancher zum Protestwähler. Da nützt es nicht viel, dass Suhler Produkte wie das RG 28 oder die Schwalbe an Ansehen gewonnen haben. Dass die ostdeutschen Länder zu den Nehmerländern im Länderfinanzausgleich gehören, ist exakt dem Umstand der Zerschlagung der DDR-Industrie geschuldet.
Geprägt von dieser Erfahrung sind auch die Gespräche mit den Kindern und Enkeln im Familienkreis. Um diesen Teil deutsch-deutscher Geschichte einprägsam und plakativ zu machen, findet im April 2023 in der Suhler Volkshochschule eine Ausstellung zum Thema Schicksal Treuhand – Treuhand- Schicksale statt, deren Kuratorin Katrin Rohnstock ist.