Besonderer Gottesdienst Alltag zwischen Angst und Aggressionen

Anica Trommer
Katrin Oertwig-Mengering, Monika Stief (mit Mikro) und Christiane Brzinski (von links) berichten über ihren Arbeitsalltag in Corona-Zeiten. Foto: frankphoto.de

Im Gottesdienst am Sonntag standen ganz besondere Menschen im Fokus. Nämlich jene, die die Corona-Pandemie in ihren Pflege- und Medizinberufen erleben. Es war der Auftakt für eine lose Reihe ähnlicher Veranstaltungen.

 
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Suhl - Die Schilderungen ähneln sich. Denn die Corona-Pandemie hat viele Mitarbeiter in Medizin- und Pflegeberufen gleichermaßen hart getroffen. Sie sprechen von Unsicherheiten, Ängsten und Aggressionen und von Problemen, an Schutzbekleidung zu kommen. Sie erzählen von fehlender Nähe zu Patienten und Klienten, von der Ohnmacht der Angehörigen und immer wieder auch von ihrer Sorge um die Liebsten zu Hause. Und trotz ähnlicher Erlebnisse ist es die individuelle Sicht auf das Erlebte, dass die Erzählungen so spannend macht. Bei einem besonderen Gottesdienst sind jüngst jene zu Wort gekommen, die die Pandemie als Pfleger und Krankenschwestern, als Ärzte, Einrichtungsleiter oder als Seelsorger erleben.

Zunehmend aggressiver

Eine davon ist Krankenschwester Christiane Brzinski. Ihre Station sei zu einer Festung umgebaut worden, erinnert sie sich an die ersten Wochen der Pandemie. So sollten die schwerkranken Patienten geschützt werden. „Wir hatten zum Teil demente Patienten, die nicht verstehen konnten, warum sie auf dem Flur einen Mundschutz tragen müssen“, sagt sie. Die Patienten seien zunehmend aggressiver geworden.

Als sie einen Tag auf der Corona-Station ausgeholfen habe, habe sie sich selbst infiziert. „Die Quarantäne waren die schlimmsten 14 Tage des Jahres“, erinnert sich die Krankenschwester. Zu den Schwiegereltern, die im gleichen Haus leben, bestand nur noch telefonischer Kontakt. Freunde kauften für Christiane Brzinski und ihre Familie ein. Und im Hinterkopf habe sie stets das Wissen gehabt: Du fehlst jetzt an der Arbeit. Ihr Glaube habe ihr in all den schweren Stunden Kraft geschenkt. Diese Liebe wolle sie nun an die Kollegen weitergeben.

Die Hoffnung, das normale Leben zurückzubekommen, hat Monika Steif, Oberärztin am SRH-Zentralklinikum Suhl, noch nicht aufgegeben. Die Impfung scheint die Lösung zu sein, dass nun alles eine positive Wendung nehme, sagt sie. Sie vermisse vor allem den persönlichen Kontakt zu den Patienten. „Wir waren vorher schon daran gewöhnt, mit Schutzbekleidung zu arbeiten, aber das nun 24 Stunden am Stück zu tun, ist anstrengend“, so die Ärztin.

Emotionale Belastungsprobe

Katrin Oertwig-Mengering, Leiterin des Lutherhauses in Schleusingen und ihre Kollegin Melanie Böttcher geben seit März vergangenen Jahres ihr Bestes, neben den Dienstplänen auch die Besuchsregeln immer wieder anzupassen. „Für die Bewohner unserer Senioreneinrichtung, die zum Teil dement sind, war es schwer, keinen Besuch mehr zu bekommen“, erzählen sie beiden. Später durften sie Verwandte und Freunde immerhin hinter eine Plexiglasscheibe sehen. Die Kontakte zu verhindern und zu kontrollieren, sei auch für die Mitarbeiter eine emotionale Belastungsprobe gewesen.

Im November 2020 sei der erste Corona-Fall im Seniorenpflegeheim aufgetreten, binnen kürzester Zeit waren 80 Prozent der Bewohner infiziert. Mitarbeiter fielen aus „und wir auch“, erzählt Melanie Böttcher und ist sich sicher: „Die Krise ist noch nicht vorbei.“

Schnell zu handeln sei nach wie vor das Wichtigste. Dass sie Verordnungen der Landkreise aber stets sehr spät kämen, mache es ihnen schwer. „Wir können nicht sofort reagieren, sondern müssen immer erst auf den Verordnungstext warten und schauen, was drinsteht“, sagt Melanie Böttcher.

Virus rottet Indianerstämme aus

Was eine Pandemie bedeute, habe er auf einer Reise nach Chile Ende der 90er Jahre vor Augen geführt bekommen, berichtet der Intensivpfleger im SRH-Zentralklinikum, Dirk Rabatschin. Ein Grippevirus habe dort vier Indianerstämme ausgelöscht. Dass so etwas auch in Europa passieren könne, habe er vermutet, dennoch kam es überraschend. Sein Anliegen sei immer gewesen, sich und andere bestmöglich zu schützen. „Ich hatte immer Sorge, es in meine Familie zu tragen“, sagt er. Nach der ersten Welle, in der viele Patienten aus Seniorenheimen gepflegt werden mussten, entspannte sich im Sommer 2020 die Lage etwas. „Der Hinweis, dass es im Herbst eine zweite Welle geben wird, wurde von den Verantwortlichen nicht wahrgenommen“, kritisiert der Intensivpfleger.

Der Winter sei die schlimmste Zeit gewesen, blickt er zurück. Viele Mitarbeiter seien ausgefallen, viele kündigten, um in anderen Bereichen zu arbeiten. „Wir haben 200 Patienten betreut, 100 haben nicht überlebt“, nennt er erschreckende Zahlen. Das Fruststationslevel bei denen, die Kranken eigentlich helfen wollen, es aber nicht können, stieg. Seit diesem Frühjahr seien es vor allem Ungeimpfte, die auf Station betreut werden müssen, sagt Dirk Rabatschin.

Er ist immer wieder Angriffen und Anfeindungen ausgesetzt, wenn es um das Impf-Thema geht. „Langjährige Freundschaften sind daran kaputtgegangen“, bedauert er. Rückhalt findet Dirk Rabatschin in der Familie. „Ich bin Opa geworden und meine Tochter hat mitten in der Pandemie geheiratet. Das gibt mir Energie, weiterzumachen,“ sagt er.

Vor den Schnelltests gedrückt

Abstände einzuhalten sei in ihrem Beruf nahezu unmöglich, sagt Edith Ströher von der Sozialstation der Diakonie. Sie betreuen 180 Patienten in ihren eigenen Wohnungen. Lange hätten sie und ihr Team sich davor gedrückt, Schnelltests zu machen: „Was tun wir, wenn einer symptomlos, aber positiv ist?“ Genau dieser Fall trat schließlich ein. Zum Jahreswechsel waren acht Kollegen positiv, drei Fachkräfte sicherten den Betrieb ab. Viele Angehörige hätten die Versorgung ihrer Angehörigen durch die Diakonie-Mitarbeiter abgesagt, aus Angst vor dem Virus. „Corona wird Bestandteils des Lebens bleiben“, vermutet Edith Ströher.

Dass er in der ersten Welle als Seelsorger nicht vor Ort sein durfte, quasi rausgeworfen worden sei aus dem Klinikum, habe Thomas Schumann stark belastet, schildert der Klinikseelsorger der SRH-Zentralklinikums. „Ich konnte nicht da sein, wo mehr Herz schlägt. Das entsprach nicht meinem Selbstverständnis“, sagt er und betont: „Ich laufe nicht einfach weg, wenn es schwierig wird.“ Den Kontakt zu den Patienten, die seine Unterstützung brauchten, hielt er in dieser Zeit nur telefonisch.

Krankheit war eine Katastrophe

Als er wieder arbeiten durfte, infizierte er sich mit dem Virus – trotz Maske und Vollschutz. Für ihn und seine gesamte Familie sei die Krankheit eine Katastrophe gewesen. „Ich stand kurz vor der Einlieferung ins Krankenhaus“, sagt Thomas Schumann. Bis heute spüre er die neurologischen Langzeitfolgen und verliere in Gesprächen immer mal wieder den Faden. „Ich arbeite daran, dass sich das bessert“, sagt er.

Man müsse die Krankheit ernstnehmen. „Abstandhalten ist immer noch der beste Schutz“, so der Seelsorger. Auch müsse man begreifen, dass sich dieses Kapitel nicht mehr herausstreichen lasse aus dem Leben.

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