Über weite Strecken der Talkshow steht jedoch Weihnachten im Zentrum – und da wird es gleich zu Anfang mal so richtig volkstümlich. Die Schauspielerin Margie Kinsky, eine selbst ernannte „Weihnachtskitsch-Kuh“, hat sechs Söhne und eine 95 Jahre alte Mutter. „Da sind wir alle konform“, schildert sie. „Die Oma hat Vorfahrt – die kriegt ihr Weihnachten.“ Es werde alles so gemacht, „dass sie da ist und sei es hinter der Scheibe“. Motto: „entweder alle Söhne raus, und die Oma kommt rein“ – oder eine Woche Quarantäne im Vorfeld plus ein Test kurz vor dem Fest.
„Die Lebensverhältnisse 2020 nicht ernstgenommen“
Die evangelische Pastorin Ellen Radtke sieht an Weihnachten vor allem bei den vernünftigen Familien „unglaublich viel Sprengstoff“ – gerade da, wo Angehörige schon im Pflegeheim leben, für die es schon ohne Corona vielleicht das letzte Fest ist. Die lesbische Theologin zürnt auch darüber, dass die Regierungschefs nur die Kernfamilie dabei haben wollen, nicht jedoch die Patchwork-Familie oder den Freundeskreis. „Viel Wut“ habe sie schon vernommen, sagt Radtke, weil heutzutage die Familie häufig durch den Freundeskreis häufig ersetzt werde. Diese Lebensverhältnisse im Jahr 2020 habe die Politik „nicht wirklich ernstgenommen“.
Später hat die Seelsorgerin einen seltsam schwachen Moment, als sie den älteren Familienangehörigen zwar zubilligt, sie könnten „wie jeder erwachsene Mensch mitreden“ bei der Gestaltung des Weihnachtsfestes. Aber da müsse nun mal zwischen Liebe (zu diesem alten Menschen) und Vernunft entschieden werden. „Was bin ich denn bereit, dafür aufzugeben? Wer darf denn dann nicht kommen?“
Die Generation der Narzissten tut sich schwer mit Einschränkungen
Dem Wissenschaftsjournalisten Werner Bartens passt es nicht, dass derzeit viel darüber nachgedacht werde, wer noch alles mitfeiern dürfe: Es sei doch ein „Kinderglaube: Solange es nicht verboten ist, ist es sicher“. Das sei wie mit dem „Bohren in der Steckdose“ – auch nicht verboten. „Möglichst wenige, möglichst reduziert“, lautet sein Rat für die Feier unterm Tannenbaum. „Das ist keine Raketenwissenschaft.“
Gerade die „schwer erziehbare und ungesättigte Stones-Generation“, die Jahrgänge von 1950 bis Mitte 1970, hat er sich schon vormals in einem Buch zur Brust genommen. Diese Altersgruppe sei „besonders selbstbezogen und narzisstisch“ und sträubt sich demnach nun gegen die Einschränkungen.
Weil spricht lieber von dem „Teil der Bevölkerung, der nicht hören will“. Ist Friedrich Merz, der Möchtegern-CDU-Chef, auch so ein Egomane, weil er sagt, dass es den Staat nichts angehe, wie er Weihnachten feiere? Der niedersächsische Ministerpräsident hält dagegen: „Der Staat hat die Aufgabe, die Interessen der Gemeinschaft zum Ausdruck zu bringen.“ Sein Wahltipp: aus solchen Äußerungen könne man Konsequenzen ziehen. Der Medizinerin Herold tut es sogar „in der Seele weh“, was Merz gesagt hat – angesichts dessen, dass die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern, „schier Unmenschliches leisten“.
Gottesdienste lassen sich nicht so einfach verbieten
Intensiv wird über die Gottesdienste debattiert, die man doch verbieten müsste, wie Plasberg nachhakt. Weil verweist auf den besonderen Grundrechtsschutz für Religionsausübung. „Darauf muss man Rücksicht nehmen.“ Außerdem hätten die Verantwortlichen der Kirchen in seinem Land ein großes Problembewusstsein. „Die wollen sich nicht vorwerfen lassen, dass ihre Gläubigen einem Problem ausgesetzt werden.“ Er sei sicher, dass die Kirchen gut vertretbare Angebote machen werden. Eine Problemgruppe seien allerdings die Freikirchen und Evangelikalen. „Da müssen wir genau hingucken“, denn vieles finde nicht im Lichte einer Öffentlichkeit, sondern hinter verschlossenen Türen statt.
Pastorin Radtke ergänzt, dass es bisher nicht ein „Spreader-Event“ in den großen Kirchen gegeben hätte. Auch sie hofft: „Gerade an diesen Weihnachten brauchen wir das ,Fürchtet euch nicht!‘ – weil schon so viele Menschen unter der Pandemie gelitten haben“, sagt die Pfarrerin. „Da brauchen wir eine Zusage: Es wird wieder hell werden. Einen Moment der Gemeinsamkeit, der nicht zur Virenschleuder wird, aber dieses Gefühl von Gemeinschaft herstellt und trotzdem die Hoffnung mit sich trägt.“