Ukrainische Kriegsflüchtlinge Landrätin Petra Enders: „Wir können bald nicht mehr!“

Berit Richter
Flüchtlinge - Symbolbild. Foto: dpa

Landrätin Petra Enders fordert den Freistaat auf, endlich Verantwortung bei der Unterbringung von ukrainischen Kriegsflüchtlingen  zu übernehmen. Der Landkreis habe bald keine Möglichkeiten mehr. Zudem häufen sich Probleme in den Sammelunterkünften.

 
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"Wir können bald nicht mehr – Städte und Landkreise stehen vor dem Kollaps.“ Es ist ein dramatischer Hilferuf, den Landrätin Petra Enders (pl.) am Dienstagvormittag in einer Pressekonferenz an die Landesregierung richtet.  Just zur gleichen Zeit wird in Ilmenau ein weiterer Bus mit ukrainischen Flüchtlingen erwartet. 50 Menschen, die nun zunächst in der Ilm-Sporthalle Unterkunft finden werden. So wie schon 109 vor ihnen. Damit wäre die Kapazität von 160 Plätzen ausgeschöpft. Nächste Woche muss der Landkreis dann auch die   Turnhalle der Berufsschule in Arnstadt belegen, die man schon vor einigen Monaten als Notunterkunft vorbereitet hat. „In zwei Wochen wissen wir dann nicht mehr, wohin mit den Leuten“, ergänzt Beigeordneter Kay Tischer (SPD).

Rund 1200 ukrainische Flüchtlinge sind mittlerweile im Ilm-Kreis registriert worden, etwa tausend von ihnen blieben bisher auch hier. Hinzu kommen seit Januar circa 700 Asylsuchende aus anderen Ländern, die   ebenfalls betreut und untergebracht werden müssen. Für die kommenden Wochen sind vom Freistaat 250 weitere ukrainische Flüchtlinge angekündigt, plus 35 aus anderen Ländern. „Jede Woche ein Bus mit 50 Personen“, sagt Enders und spricht von einer „mehr als angespannten Lage“.

Die Unterbringung sei „eine logistische Meisterleistung, die wir nur  unter sehr großen Mühen und beträchtlichem persönlichen Einsatz unserer Mitarbeiter sowie durch die breite Unterstützung der  Bürger im Ilm-Kreis erreicht haben“, ergänzt sie. So habe der Landkreis mittlerweile 319 Wohnungen angemietet, von denen 214 belegt sind. 109 Wohnungen harren noch der Sanierung und Herrichtung.  Notwendige Handwerker seien aber kaum zu bekommen, erklärt Enders. Man mache mittlerweile vieles in Eigenleistung, zum Beispiel mit den Hausmeistern der Schulen oder der Hilfe von Vereinen, habe quasi eine eigene Wohnbauabteilung gegründet.  In dem ganzen stecke auch viel sozialer Sprengstoff, denn schon jetzt sei   der verfügbare Wohnraum für  Menschen mit kleinen Einkommen knapp.

Mitarbeiter fallen aus

Auch im Landratsamt fordert die Flüchtlingskrise die Mitarbeiter, unter anderem im Sozialamt und der Ausländerbehörde.  Am Montag hatte das Landratsamt aus „personellen Gründen“ reduzierte  Sprechzeiten im Sachgebiet Aussiedler- und Ausländerwesen des Sozialamtes vermelden müssen. Nun bestätigt Kay Tischer auf Nachfrage unserer Zeitung, dass es zunehmend Ausfälle gäbe, weil sich Mitarbeiter wegen Überlastung krank melden. „Wer bisher 100 Prozent gegeben hat und nun dauerhaft 200 oder 300 Prozent arbeiten muss, das geht auf Dauer nicht gut“, so Tischer. Hinzu kämen Ausfälle wegen Corona oder den Ferien. Ersatz an notwendigen Fachkräften sei aber nicht zu bekommen, der Markt leer,  und die Krise für die Beschäftigten mittlerweile zum Dauerzustand geworden. Man habe ja schließlich auch noch eine Pandemie.

„Inzwischen sind wir  an der Grenze der Belastbarkeit angekommen. Wir können nicht mehr!“,  sagt Petra Enders und fordert das Land auf, Verantwortung zu übernehmen. In einem offenen Brief an den Ministerpräsidenten, den Minister für Migration, Justiz und Verbraucherschutz sowie den Landesverwaltungspräsidenten prangert sie zudem die aktuellen Zustände an. „Wir appellieren an das Land Thüringen, endlich selbst Verantwortung zu übernehmen und die Unterbringung und Betreuung der Menschen, die vor Krieg und Vertreibung geflüchtet sind, zentral und nicht ausschließlich dezentral zu gewährleisten und sie nicht weiter in die kreisfreien Städte und Landkreise zu bringen!“, sagt Enders und weiß dabei ihre Kollegen in den anderen Landkreisen wie auch den Thüringer Landkreistaghinter sich.

Land soll Liegenschaften nutzen

„Wir befinden uns in einer Krise, die wir nur gemeinsam lösen können. Es ist Zeit, dass die Verantwortlichen im Land Thüringen endlich die Augen öffnen und nach Lösungsmöglichkeiten für ein Problem suchen, das Kommunen und Landkreisen immer mehr über den Kopf wächst“, so Petra Enders weiter.  „Die Organisation zur Unterbringung der ukrainischen Menschen, die im Land Thüringen Schutz suchen, muss neu strukturiert werden! Diese Aufgabe sehen wir bei der Landesregierung. Wieso werden die ehemaligen Erstaufnahmeeinrichtungen, Liegenschaften in Eisenberg und Hermsdorf, nicht vollständig für eine zentrale Lösung genutzt? Wieso werden Kommunen und Landkreise mit der Logistik, sozialen Betreuung und Unterbringung der Flüchtlinge allein gelassen?“ Sie selbst habe wegen der leer stehenden Jugendarrestanstalt in Arnstadt angefragt, sei da beim Land aber abgeblitzt. Der Wohnungsmarkt sei mittlerweile leer gefegt.

Weitere Turnhallen zu

Flüchtlingsunterkünften umzubauen, lehne sie ab. Zum einen fehle es dort an der Logistik und auch Duschcontainer bekomme man mittlerweile nicht mehr, zum anderen müsse man aber auch an die Kinder und Jugendlichen denken, die zwei Jahre lang kaum Sportunterricht und Vereinssport hatten. Eigentlich  müsse man zum nächsten Schuljahr die Hallen wieder räumen, findet Petra Enders.  Zumal sich die Massenunterkünfte zunehmend als Problemfall erweisen.

Probleme mit Großfamilien

In der Ilm-Sporthalle spitzten sich seit dem Zuzug „von Roma-Familien in großen Familienverbänden die Konflikte“ zu. Vermehrt sei es zu Bedrohungen und Einschüchterungen von Mitarbeiterinnen gekommen, und auch zu Zerstörung von Einrichtungsgegenständen, Beschaffungskriminalität „und anderem menschlichen Fehlverhalten“. Dies zeige, „dass Turnhallen und Heime keine geeignete Unterkunft für diese Personengruppe sind. Wir sehen Eskalation im Zusammenleben wie im unmittelbaren sozialen Umfeld.“

Darüber hinaus blockiere man  Freizeiteinrichtungen wie das SFZ in Ilmenau und das Freizeitheim in Dörnfeld. welche „die Kinder gerade in den Sommerferien dringend benötigen“.  Auch wenn man nun eine Lösung fand, die zumindest eine teilweise Nutzung der Einrichtungen für Ferienfreizeiten – in Ilmenau werden die Kinder zum Beispiel in Zelten untergebracht – fand, eine Dauerlösung können der Aufenthalt der Geflüchteten dort nicht sie.

Wie der Landkreis reagieren wird, wenn das Land den Hilferuf nicht erhört und in zwei Wochen die Unterkünfte ausgehen,   weiß Petra Enders im Moment auch nicht. Sie hoffe, dass das Land nun endlich reagiere und die Nöte der Landkreise ernst nehme, sagt sie.

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