Abschiedstournee „City“ begeistert im Erlebnisbergwerk

Sibylle Bießmann

Mit der „Götterfunken Hymne“ und der Begrüßung des „handverlesenen musikalisch hoch entwickelten Publikums“, wie Toni Krahl die Fans in Merkers (Wartburgkreis) bezeichnete, startete im „Erlebnis Bergwerk“ eine Tour durch fünf City-Jahrzehnte.

 
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50 Jahre Bandgeschichte liegen hinter der DDR-Rockband City. Der Tod des Mitbegründers Klaus Selmke vor zwei Jahren hat auch das musikalische Ende der Gruppe eingeläutet. „Wir wollten kein neues Kapitel mehr aufschlagen“, verrät Frontmann Toni Krahl im Interview. Noch ein neues Album und eine Bandbiografie. Und doch nimmt die Kultband Ende des Jahres für immer Abschied von der Bühne. Seit 1972 haben sie 2500 Konzerte gespielt und 15 Millionen Tonträger verkauft. Mit ihrer Abschiedstournee „Die letzte Runde“ bescherten die Rocker dem „Erlebnis Bergwerk“ Merkers zwei ausverkaufte Veranstaltungen.

„Unser Kanzler würde jetzt sagen, es ist ein Doppel-Wumms-Konzert“, rief Frontmann Toni Krahl der Menge zu. Mit der „Götterfunken Hymne“ und der Begrüßung seines „handverlesenen musikalisch hoch entwickelten Publikums“, wie Toni Krahl die Fans in Merkers bezeichnete, startete eine Tour durch fünf City-Jahrzehnte. Fritz Puppel, Toni Krahl, Georgi Gorgow, Manfred Henning und Klaus-Selmke-Ersatz Roger Heinrich wurden von der ersten Minute an vom Publikum gefeiert.

Die Playlist zu erstellen, sei ein echter Kampf gewesen, verriet Krahl. Doch egal, was gespielt wurde, von gesellschaftskritischen Songs bis hin zu Liebesballaden – es kam an.

Mit dabei: „Sind so kleine Hände“, ein Song aus den 70ern mit einem Text von Bettina Wegner, der aktueller denn je ist: „In einer Zeit, in der Hasspeitschen knallen, ist es wichtig, Kinder zu mutigen Menschen zu erziehen“, kommentierte Toni Krahl den Text. „Das Traurige ist, dass wir das Lied auch heute hätte schreiben können, es ist so aktuell“, mahnte er.

Bei „Flieg’ ich durch die Welt“ bebt das Publikum, das auch sonst entweder singend, klatschend oder tanzend vor der Bühne die bekannten Songs begleitet. Bei einigen Titeln legt Georgi Gogow immer wieder mal seine Violine ab und wird zum Bassgitarristen. Das Lied „Sag mir, wo die Blumen sind“ verfehlt auch in der Rockversion mit unterlegten tiefen Bässen seine Wirkung nicht.

Auch das Herzstück des neuen Albums, der Titel „Unter der Haut“ aus dem Jahr 1983, wird mit dem neuen Text „Das Blut so laut“ verwandelt. Ein „Update in die neue Realität“, wie Krahl es nennt – und das kommt an. So darf auch das persönliche Lieblingslied „Wand an Wand“ nicht fehlen.

„Es gab auch ein Leben vor ‚Am Fenster‘, manche Lieder sind so alt, dass wir uns gar nicht mehr richtig erinnern können“, meinte Toni Krahl. „Wir haben Wind gesät“, besingt beispielsweise die Klima- und Umweltproblematik. Und auch an ihren ehemaligen Barfuß-Drummer Klaus Selmke, dessen Krebstod vor zwei Jahren ein Schock für die Bandmitglieder war, wurde mit dem Lied „War gut“ erinnert. Nach dieser Hommage an ihren „General“ Selmke, der zusammen mit Gitarrist Fritz Puppel die Band 1972 gegründet hatte und als gute Seele und Organisator der Formation galt, erzählte Toni Krahl, was Selmke seiner Meinung nach wohl gesagt hätte: „Hört auf zu heulen, macht ’ne Flasche auf und schmeißt ’ne Party!“, so der Frontmann.

Direkt in der vorderen Reihe hatten sich Carola Lilienthal und Maike Schneider aus Ebeleben einen Platz ergattert „Es schwingt sehr viel Wehmut mit, wenn man daran denkt, dass es das letzte Konzert von City sein wird, das man besucht“, erzählte Carola Lilienthal. Dabei rollten der 55-Jährigen einige Tränen über das Gesicht. „City hat mich seit der Jugend begleitet. Die tiefgründigen Texte haben mir oft Kraft gegeben.“

Ein Hauch von Melancholie war auch den Akteuren anzumerken. Toni Krahl war die Wehmut genauso anzuhören wie der jubelnden Menge, die das Konzert voll und ganz in sich aufsaugte. Und sogar einige neue Fans konnten die City-Musiker an diesem Abend für sich verbuchen: Eine neunköpfige Geburtstagsgesellschaft aus Kassel.

Und am Ende durfte der berühmte City-Titel „Am Fenster“ aus dem Jahr 1977 natürlich nicht fehlen. Nach zweieinhalb Stunden Hit an Hit, am Sonntag noch dazu ohne Pause, war dann Schluss und Toni Krahl rief der Menge zu: „Danke, dass ihr uns 50 Jahre lang leben lassen habt, ohne euch hätten wir wohl den Proberaum nie verlassen. Danke, dass ihr uns ein Leben in Saus und Braus ermöglicht habt.“

Das Publikum jubelte und jubelte. Einen besseren Konzertabschluss hätten sich die Rocker nicht wünschen können. Und eine Draufgabe hatte Krahl dann auch noch. „Das große Finale folgt am 29. und 30. Dezember in der Berliner Mercedes-Benz-Arena; einige Restkarten gibt es noch – wir sehen uns!“

Während die Fans noch Schlange standen, um sich mit Fanartikeln die Erinnerung an die Band für die Zukunft zu erhalten, wurde es hinter der Bühne still. Toni Krahl konnte trotz großartiger Stimmung im Publikum seine Traurigkeit nicht verbergen. 50 gemeinsame Jahre haben Spuren hinterlassen. Die Band verbindet ein dickes Band. Nach einem Streit im Jahr 1982 war erst mal Schluss. Und doch, trotz schwerer Diskrepanzen kamen 1991 die Versöhnung und ein Comeback. „Mein Vater hat immer gesagt: Pack schlägt sich und Pack verträgt sich“, kommentiert Krahl die Wiedervereinigung. „Das Gute war, dass dieser Bruch ziemlich früh kam und wir schon wieder auf über 30 weitere gemeinsame tolle Jahre zurückblicken können.“ Was nach dem letzten Konzert am 30. Dezember 2022 sein wird, daran habe er noch nicht gedacht. „Wir leben im Moment noch in einem Tunnel und erleben die besten Konzerte aller Zeiten. Wahrscheinlich werden wir eine Woche lang Silvester feiern und besoffen sein“, scherzte der Frontmann.

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