Schmalkalden - Musik kann mehr als Worte: „Wind of change“ - Felix Schliewenz spielte den Scorpions-Wendehit auf seinem Saxofon. Und in den Köpfen kehrte die „Magie des Augenblicks“ zurück - „The magic of the moment on a glory night“ - Klaus Meine hatte sie in dem Song perfekt beschrieben. 31 Jahre später gelang es dem Hochschulpräsidenten Gundolf Baier zur Festveranstaltung am 3. Oktober im Audimax der Hochschule die Emotionen von einst ins Gedächtnis zurück zu rufen. Seine Worte bewegten, waren klug gewählt und prägten sich dem Auditorium ein. Baier hinterfragte die Aktualität des Tages und die damit verbundenen Emotionen. Natürlich könne man den 3. Oktober nicht ohne sein „Drumherum“ betrachten. Und möglicherweise würden die Erinnerungen daran schon bruchstückhafter. Und trotzdem schaffte es der Präsident der Schmalkalder Hochschule, die Anwesenden ins Jahr 1990 zu entführen. Als er das damalige Lieblingswort der Deutschen „Wahnsinn“ nannte, ging ein Raunen durchs Publikum. „Der Tag hat den Lauf der Geschichte positiv verändert, einen Beitrag zum Frieden und zum Wohlstand geleistet“, stellte Baier heraus und wies auf millionenfache Veränderungen von Lebensläufen hin. Er selbst wohnte damals im sogenannten Zonenrandgebiet – in Hünfeld. Die deutsche Frage und die deutsche Teilung habe er zu jener Zeit als lästig empfunden. Hünfeld liegt 15 Kilometer von der einstigen Grenze entfernt. „Das andere Deutschland war für uns in Greifweite, aber auch unendlich weit entfernt“, sagte er. Paradoxerweise wohnte er damals in der Thüringer Straße. Wobei zur damaligen Zeit in Hünfeld ein neues Viertel entstanden sei mit Geisaer und Vachaer Straße, Wartburgring und eben der Thüringer Straße – für Baier im Rückblick ein politisches Statement. Und trotzdem sei die Deutsche Einheit zu seiner Jugendzeit utopisch gewesen. Dann aber seien sie eingetreten, die „glücklichen Umstände“. Und mit ihnen agierten die Persönlichkeiten, die die Macht hatten. Natürlich seien die einstigen DDR-Bürger die treibende Kraft gewesen. Ihre Wünsche nach Freiheit, ihre Unzufriedenheit, ihr Mut. Auch Gundolf Baier fieberte einst mit, war elektrisiert, von Gänsehaut geschüttelt durch die Bilder, die im Fernseher gezeigt worden waren. Leipzig im Herbst 1989, der Alexanderplatz im November, die Maueröffnung, die Rede Helmut Kohls vor den Trümmern der Frauenkirche in Dresden. Mit diesen Worten schaffte es Baier, die Emotionen von einst ins Schmalkalden von 2021 zu holen. Sie stellten sich ein, ganz leicht. Für Gundolf Baier wurde der Osten nach dem Studium in Darmstadt zum Zuhause. Seine erste Stelle trat er an der TU in Dresden an, danach arbeitete er 17 Jahre lang als Professor in Zwickau und jetzt ist er seit dem 17. Januar 2020 Präsident der Hochschule in Schmalkalden. Seiner Ansicht nach ist die vollendete Einheit eine Sache, die Generationen braucht. Und alles, was quer liege, immer nur mit Ost und West erklären zu wollen, sei nervig. Aber: „Es lebt sich leichter mit Vorurteilen – wir halten gerne daran fest, es ist schwer, sie auszurotten“, meinte er. So wünsche er sich, diese Ost-West-Vergleiche würden nicht mehr so oft strapaziert werden. Wichtig für die deutsche Einheit seien die jungen Menschen, die immer weniger in Ost und West einteilen würden. An der Festveranstaltung nahm wie üblich eine Delegation der Partnerstadt von Schmalkalden, Recklinghausen, teil. Dessen Bürgermeister, Christoph Tesche, stellte heraus: „Wir sind als Städte nie in einen Wettbewerb getreten und freuen uns an den Erfolgen des jeweils anderen.“ Schmalkaldens Stadtchef Thomas Kaminski sagte: „Es ist wichtig, dass wir uns begegnen, im Gespräch bleiben und uns erinnern.“ Mit dem Audimax der Hochschule habe man den Ort der Festveranstaltung bewusst in eine moderne Einrichtung gelegt, eben weil man den Gästen auch diese Seite Schmalkaldens nicht vorenthalten wollte. Die Partnerschaft der beiden Städte zeichne sich durch viele Begegnungen aus. Mindestens einmal im Jahr kommt man zusammen. Das Stadtfest bietet die passende Gelegenheit. Momentan ist in Recklinghausen die Ausstellung „Überland – 100 Jahre Kunst in Thüringen“ zu sehen. Zum Weihnachtsmarkt plant man eine neuerliche gemeinsame Sache. „Wir brauchen nicht nur ein Verständnis in der Politik, wir müssen es auch in die Bevölkerung tragen“, erklärte Kaminski. Die Festveranstaltung, an der auch Landrätin Peggy Greiser, Bundestagsmitglied Gerald Ullrich und Stadträte aus Schmalkalden und Recklinghausen teilnahmen, wurde musikalisch von Felix Schliewenz (Saxofon) und Lara Böhm (Gitarre und Gesang) umrahmt. Ein weiterer Höhepunkt war die Unterzeichnung der Kooperationsvereinbarung der TGF Schmalkalden mit dem Massachusetts Institute of Technology. Mehr dazu demnächst.