Zella-Mehlis - Bücher zum Fall der Mauer gibt es im zwanzigsten Jahr nach dem historischen Ereignis viele. Zeitzeugen schauen zurück auf die friedliche Revolution, erinnern sich an die Tage der Freude, der Angst, der gemischten Gefühle. Einer von ihnen ist Günter Wriedt, heute Mitarbeiter im städtischen Haupt- und Ordnungsamt.

In den Tagen der Wende war der 58-Jährige für 70 Tage Bürgermeister. "In einer Funktion, die sich wohl in solchen Zeiten keiner wünscht - auch ich nicht", bekennt Wriedt. Diese Zeilen schreibt er in den Vorbemerkungen zu seinem Buch, das den Titel "Im Wechselbad der Gefühle" tragen und im Frühjahr nächsten Jahres - mit Unterstützung des Fördervereins Stadtarchiv und des Geschichts- und Museumsvereins - im Zella-Mehliser Heinrich-Jung-Verlag erscheinen soll.

Es ist die Sicht eines Zeitzeugen, der nicht nur mittendrin war in diesem Prozess, sondern auch in Verantwortung stand. Ob er sich auch an den Computer gesetzt hätte, wenn ihn der Förderverein Stadtarchiv nicht gedrängt hätte, das Erlebte aufzuschreiben? Günter Wriedt weiß es nicht. Sicher weiß er nur, dass er vor fünf oder zehn Jahren nicht bereit gewesen wäre, sich intensiv an die Tage vom Herbst 1989 und die Wochen und Monate danach zu erinnern.

Morddrohungen erhalten

Vor zwei Jahren begann der ehemalige Sekretär des Rates der Stadt mit dem Schreiben. Es sind sehr persönliche Eindrücke, die Günter Wriedt aufgezeichnet hat. Dabei fällt der Blick zurück nicht leicht. Auch er hat Anfeindungen erlebt, Morddrohungen erhalten. Das erging nicht wenigen damals so, die Mitglied der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) waren oder auf verschiedensten Ebenen den Staat DDR mitgetragen haben.

"An dem Buch zu arbeiten, war für mich auch ein Stück Aufarbeitung meines Lebens. Ich hätte es nie ohne Emotionen schreiben können. Das wäre dann eine Aneinanderreihung von Fakten gewesen", sagt der Autor. Trotz des eigenen Erlebens war Günter Wriedt nicht mehr jeder Moment in jenen Tagen gegenwärtig, in denen so viel passierte.

Viel freie Zeit verbrachte er mit Recherchen im Internet, in Zeitungen, darunter Freies Wort, verfolgte Rundfunk- und Fernsehsendungen zum Thema "Wendezeit". Die Ergebnisse dieser akribischen Arbeit sind auch im Manuskript nachzulesen. Was sich in Zella-Mehlis oder in der Nachbarstadt Suhl ereignete, ist schließlich nicht losgelöst von den Geschehnissen in Berlin oder Leipzig zu betrachten.

Weg zur Städtepartnerschaft

Wriedt lässt den Leser wissen, was er empfunden, als sich am 3. November die erste Demonstration in Zella-Mehlis formiert, als der Runde Tisch am 1. Dezember 1989 tagt, als die Stadtverordnetenversammlung am 30. Januar mit 200 Gästen stattfindet. . . Ein großes Kapitel widmet er dem Weg zur Städtepartnerschaft mit einer Kommune in den alten Bundesländern. Mit Meinerzhagen, Gemünden und Andernach bewarben sich am Ende drei Städte um eine engere Verbindung nach Zella-Mehlis. Darüber entschieden wurde in der Stadtverordnetenversammlung am 22. März 1990. Bekanntlich machte Andernach das Rennen - mit 122 von 218 abgegebenen Stimmen, denn nicht nur die Abgeordneten, sondern auch die Besucher der Sitzung wählten mit.

Rechtzeitig zum 20. Geburtstag der Partnerschaft zwischen Zella-Mehlis und Andernach will Verleger Heinrich Jung auch das Buch auf den Markt bringen und es im März zur Buchmesse in Leipzig vorstellen. Nach vielen Überarbeitungen durch den Autor ist das Manuskript mittlerweile druckreif. Günter Wriedt hat immer wieder verändert, entschied sich für das Weglassen von Namen, wo es ihm geboten schien. "Ich möchte in meinem Buch niemandem wehtun - auch nicht nach zwanzig Jahren", begründet er.

Über die Wendezeit, das Jahr 1990 und die Zeit danach hinaus widmete sich der Wahl-Zella-Mehliser auch den Bürgermeistern, mit denen er zusammengearbeitet hat und gibt sehr persönliche Einblicke in seine Entwicklung. Als Junge, der in Anklam mit einer Behinderung zur Welt kam, der von seinen Eltern mit sehr viel Liebe gefördert wurde, der zu DDR-Zeiten eine gute Ausbildung genoss und an der Fachschule für Staatswissenschaft in Weimar studieren konnte.

Selbstbewusster Blick zurück

Zwanzig Jahre nach der Wende ist einer, der in Verantwortung stand, bereit zu einem selbstbewussten Blick zurück. Das macht die Einmaligkeit der rund 180 Seiten aus. Günter Wriedt: "Die friedliche Wende 1989 und 1990 war ein Verdienst der Bürger der DDR. Und vielleicht ist es an der Zeit, auch einmal hervorzuheben: Dass es eine friedliche Wende wurde, war auch ein Verdienst derer, die zum alten Machtapparat gehörten. Gelegentlich wird das unter den Tisch gekehrt - zu Unrecht."