Einige Wochen vor dem Hinrundenstart am 18. August bricht die Mannschaft von Trainer Ernst Kurth nach Ungarn auf. Zwei Wochen Trainingslager in Budapest. Die Unterkunft ist erstklassig, "richtig schick", erinnert sich Reuter. Eine Hotelanlage für Pferdefreunde; mit großen Koppeln und auch sonst reichlich Annehmlichkeiten, auch Gästen aus dem nicht-sozialistischen Ausland. Vor dem Start der Reise müssen alle Spieler schriftlich versichern, dass es zu keinerlei Kontakten mit Personen aus dem nicht-sozialistischen Ausland kommen werde.
Auch Wolfgang Reuter unterschreibt die Anordnung. Die Reise beginnt. An einem Tag - die Mannschaft genießt gerade ein paar freie Stunden - erscheint eine hübsche Schweizerin auf der Bildfläche. Während der Rest der Mannschaft, die Trainer und die Offiziellen die Zeit nutzen, um sich die Stadt anzusehen, ist Wolfgang Reuter im Hotel geblieben. Er sitzt auf der Terrasse. Der groß gewachsene Fußballer bleibt nicht lang allein. Er kommt mit der schönen Schweizerin ins Gespräch. "Sie sah gut aus; eine attraktive Frau, kurze braune Haare." Reuter und die Schweizerin trinken einen Kaffee, flirten miteinander.
Die Zeit vergeht wie im Flug. Plötzlich kehrt der Suhler Tross aus der Stadt zurück. Reuter wird schlagartig bewusst, dass das kleine Tete-à-tete vermutlich keine gute Idee gewesen ist. Er bleibt dennoch bei der Frau aus dem Ausland sitzen. "Ich habe die Mannschaft ja kommen sehen. Ich hätte weggehen können, aber das wäre ja noch unangenehmer gewesen." Auf der Terrasse angekommen wünscht man Reuter und der Schweizerin einen Guten Tag und lässt die beiden wieder allein.
Wolfgang Reuter ist noch eine halbe Stunde mit der neuen Bekanntschaft vergönnt. Dann gibt es Ärger. "Ich musste rein. Man hat mir ganz klar gesagt, dass das ein Verstoß ist." Eigentlich hätte Reuter nun seine Koffer packen müssen. Doch auch die Club-Bosse wissen, dass sie nicht auf ihren letzten Mann verzichten können. Reuter darf bleiben.
Sportlich ist der Ausflug ein Erfolg: Motor Suhl bestreitet in Ungarn mehrere Testspiele, unter anderem gegen Erstligist Honvéd Budapest. Nationalspieler Lajos Détári, der 1987 zu Eintracht Frankfurt wechseln sollte, ist einer der Gegenspieler. Die Südthüringer verkaufen sich gut, trotz brütender Hitze. 45 Grad sind es im gänzlich leeren Stadion, das sich wie ein Kessel aufheizt. Suhl unterliegt nur 0:1. Auch die weiteren Testspiele verlaufen durchaus positiv. Wolfgang Reuter glaubt, dass man die Ergebnisse vielleicht ein bisschen überschätzt habe. Zum Saisonauftakt wird der Aufsteiger auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Als Tabellenletzter steigt man schließlich sofort wieder ab.
Wolfgang Reuter ist da schon nicht mehr Teil des Kaders. Nach 18 Oberliga-Einsätzen sagt er wieder servus. "Es war die beste Lösung. Ich hatte Riesenprobleme mit dem Trainer Ernst Kurth. Die älteren Spieler, die eine eigene Meinung hatten, mochte der Trainer nicht so. Da gab es immer Differenzen." Dazu kamen wohl auch private Turbulenzen, nachdem Reuters Bruder einen Ausreiseantrag gestellt hatte.
Wolfgang Reuter wird in Suhl nicht heimisch. "Meine damalige Frau hat damals noch in Leipzig studiert. Wenn du alleine dort wohnst, ist Suhl furchtbar. Die Stadt war einfach zu klein. Am nächsten Tag wussten alle sofort, wer wo war und was gemacht hatte." Über Nordhausen und Stendal führt ihn sein Weg wieder nach Eisenach, wo er bis heute lebt. Im Rückblick würde er manches anders machen. Aber Reuter sagt auch: "Wenn man bei vielen Vereinen war, ist man zwar nirgendwo zu Hause, aber man hat viel gesehen." Die Schweizerin, die er im ungarischen Trainingslager kennengelernt hat, sah er übrigens nie wieder. kt
Lesen Sie nächste Woche, wegen welch haariger Angelegenheit Motor-Mittelstürmer Uwe Büchel den Club kurz nach Saisonstart verlassen musste.