Wirtschaft Zwischen Sport und Spaß

Gleichauf wie hier waren Volker Friedrich und Alexandra Paulfranz die meiste Zeit nicht: An Anstiegen zog das E-Bike locker am Mountainbike vorbei, bergab verhielt es sich umgekehrt. Foto: Wunderatsch

Radfahren ist gesund. Aber trifft das auch auf E-Bikes zu, die gerne als Rentner-Drohnen verspottet werden? Ob herkömmlicher Drahtesel oder Hybrid: Für die Kondition kann man mit beidem etwas tun. Wenn man nur will.

 
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Zuerst glaube ich, ich habe mich verhört. Wie bitte? "Ich begleite dich", sagt er noch mal. Das ist keine Frage, das ist eine Erklärung. Und der, von dem sie kommt, begleitet mich sonst gerade noch singend, wenn ich ein Lied summe. Aber keinesfalls auf einem Aktivitätslevel, das über Lippenbewegungen hinausgeht. Wenn ich im Pool meine Bahnen ziehe, fläzt mein Freund auf dem Liegestuhl daneben und liest Zeitung. Maximal beobachtet er mich. Denn seine Lieblingssportart ist: Zuschauen, vor allem beim Fußball. Meine Lieblingssportart: Fahrradfahren im Frühling, Inlineskaten im Sommer, Wandern im Herbst und Schwimmen im Winter. Gerne auch mal durchmischt. Zwar meist nur am Wochenende, aber immerhin regelmäßig.

Es gab eine Zeit, da wollte ich immer 39 sein. Rettungsringe um die Hüften - ein Unding. Noch vor zehn Jahren bin ich täglich mindestens zehn Kilometer über Felder, Wiesen und Auen gejoggt. Kein Berg war zu steil, kein Wetter zu schlecht. Sport stand bei meinen Freizeitaktivitäten an erster Stelle. Natürlich auch Fußball. Als überschaubar talentierter Stürmer war ich in der untersten Klasse unterwegs. Zweimal die Woche beim Training und am Sonntagmittag vor bis zu einem halben Dutzend Zuschauern. Schleichend ist das alles über die Jahre eingeschlafen.

Ein Sonntagmorgen vor ein paar Wochen, sonnig zwar, aber kühle zwölf Grad. "Ich begleite dich." Ein bisschen dauert es, bis ich begreife. Aber warum sollte es nicht funktionieren? Immerhin hat mein Freund neuerdings ein E-Bike. Ich weiß, dass E-Bikes am Berg klar überlegen sind. Dafür könnte ich ihn auf der Geraden wieder einholen, weil sein Fahrrad viel schwerer ist als meins. Gebongt. Und dann stehe ich in kurzer Sporthose, Funktionshemd und mit Fahrradhelm vor meinem Freund. Er in Jeans, Jacke und Herrenhalbschuhen aus Leder. "Frierst du nicht?", ist sein einziger Kommentar. "Ich mache gleich Sport", erkläre ich ihm das, was eigentlich nicht extra erklärt werden bräuchte.

Okay. E-Bike. Mit dem Vornamen Mountain sogar. Ich bin mittlerweile über 50, fühle mich allerdings immer noch wie 39 - mit leichter Tendenz zur Faulheit, was Sport betrifft. E-Biken ist Nordic Walking auf Rädern, habe ich irgendwo mal gelesen. Rentner-Drohnen. Von mir aus. Aber ein bisschen Bewegung ist immerhin besser als überhaupt keine. Abgesehen davon bestimme ich selbst, wie sportlich ich sein will. Motor aus und ich bin nach 200 Metern leicht bergauf so groggy wie früher nach einer halben Stunde Laufen. Denn mein E-Bike wiegt 22 Kilo. Es gehört damit zwar immer noch zu den leichteren seiner Art. Wenn man den Motor ausschaltet, fühlt es sich trotzdem so an, als würde man plötzlich von einem Radweg in eine Sanddüne geraten.

Meine Standardtour umfasst zehn Kilometer, hauptsächlich durch den Wald. Anstiege, Senken, Schotter, Asphalt, Wurzeln - volles Programm. Der Weg von zu Hause bis in den Forst bedeutet für mich normalerweise: Aufwärmen. Ich bin heute etwas langsamer als sonst unterwegs, was an meiner Begleitung liegt. Dazu unterhalten wir uns auch noch. Wäre bei dem Tempo, das ich sonst drauf habe, eher nicht möglich. Als ich mich daran erinnere, frage ich vorsichtshalber: "Kannst du nicht schneller...?" Doch, kann er. Sagt er zumindest. Also düse ich ab. Und lasse meinen Freund weit hinter mir.

Mein Ehrgeiz ist erwacht. Ich will soweit wie möglich Energie sparen, der Motor ist aus. 16 Gänge hat mein Bike. Vorne zwei Ritzel, hinten acht. Wenn der elektrische Antrieb auf Stufe 5 vollen Schub liefert, schalte ich so gut wie nie. Vorne das große Ritzel, hinten das kleinste ist meine Grundeinstellung. Höchster Gang. Einmal kräftig angetreten und das Bike saust an der Ampel los wie von einer unsichtbaren Faust befreit, die es zuvor bei Rot an einem straff gespannten Gummiband festgehalten hat. Jetzt aber schalte ich zwischen den Gängen hektisch hin und her auf der verzweifelten Suche nach einer halbwegs passenden Übersetzung. Dabei ist der Anstieg bis zum Wald, der etwa einen Kilometer vor uns liegt, nun wirklich minimal. Doch bei 15 Stundenkilometern ist Schluss. Mehr schaffe ich nicht. Sie fährt mir davon.

Inzwischen sind wir im Wald. Immer wieder drehe ich mich um, um nachzusehen, wo er bleibt. Ob er überhaupt noch da ist oder ob ich ihn hinter der letzten Kurve verloren habe. Besonders dann, wenn es bergab geht, lasse ich das E-Bike meilenweit hinter mir. "Du bist ganz schön schnell bei den Abfahrten", sagt mein Freund, als er mich auf einem verwurzelten Trampelpfad doch einholt. Und dann hat er die Nase vorne. Denn es geht bergauf. Über zwei, drei Kilometer. "Fahr schon mal vor bis zur Kreuzung", rufe ich meinem Freund zu. Das lässt er sich nicht zweimal sagen. Irgendwann sehe ich nicht mal mehr seinen Rücken. Das motiviert mich und ich trete ein wenig kraftvoller in die Pedale als üblich. Erster Gang, alles leicht, aber schneller muss ich werden, immer schneller, mein Drahtesel. Was nicht so einfach ist, wenn es sich anfühlt, als zöge man einen Lkw hinter sich den Berg hoch.

Auf der Geraden und bergab habe ich keine Chance. Bergab vor allem deshalb, weil ich mich nicht traue, alle Reserven des schweren Rads auszuschöpfen, das viel mehr kann als sein Fahrer. Bei 35 Sachen höre ich auf, in die Pedale zu treten, bremse immer wieder, weil der Untergrund auf dem Waldweg holprig ist. Die Fahrt fühlt sich an wie auf einem riesigen Schüttelbrett mit sich ständig verändernden Wellen. Eigentlich müsste ich mich aus dem Sitz erheben, die Hände locker am Lenker, zwei Finger immer an den Bremsen. Aber mein ganzer Körper ist verkrampft. Normalerweise fahre ich nur auf dem Asphalt. Das ist in etwa vergleichbar mit der Gattin, die jeden Früh die Kinder mit dem SUV in die Schule fährt und an einem Sonntagvormittag ausnahmsweise in einem Steinbruch losgelassen wird. Doch ich sehe sie schon, die lange Steigung. Motor auf Stufe 5, 16. Gang. Hätte ich einen Rückspiegel, würde meine Freundin jetzt immer kleiner.

Es geht natürlich weiter bergauf, durch zentimetertiefen Kies und verrottendes Laub vom vergangenen Herbst. Von weitem sehe ich an der Kreuzung meinen Freund, lässig die Arme auf den Lenker gelehnt, auf dem Handy herumtippend. Und ich japse nach Luft. Als er mich entdeckt, zeige ich mit dem Arm nach rechts, damit er weiß, wohin es weitergeht. Er fragt mich etwas. Ich kann kaum antworten, so sehr brauche ich jedes bisschen Sauerstoff, das ich kriegen kann. Dann zischt er in Nullkommanix an mir vorbei. Immer weiter geht es nach oben. Wieder das Gleiche: Er wartet am Ende des Weges, bis ich ihn einhole. Und sagt: "Du hast eine ganz schöne Kondition." Irgendwie wirkt es ironisch, so wie ich da schnaufe. Aber er meint es ernst. Ich erkläre: "So ist das halt, wenn man trainiert."

E-Biken ist Einstellungssache. Auch im wahrsten Sinne des Wortes. Ein paarmal am Schalter getippt und aus Sport wird Spaß und umgekehrt. Wobei Sport selbstverständlich auch Spaß machen kann. Wer ein Tor schießen will, für den ist der 50-Meter-Sprint zum Ball sicher nicht so erquicklich wie der Schuss. Aber wenn der Ball im Netz zappelt, ist die Freude umso größer. Man muss sich manchmal quälen, um hinterher nur glücklicher zu sein. Auf jedem Weg wartet die Verführung. Im Leben wie beim Sport. Beim E-Bike lässt sie sich aus der Steckdose sogar abzapfen.

Den Rest der Strecke bis nach Hause geht es bergab. Der Lohn für den Einsatz vorher. Durchatmen, Lungen beruhigen, Puls herunterfahren lassen. Ich bin ganz durchgeschwitzt. Von wegen frieren. "Merkst du eigentlich irgendwas? Hast du dich angestrengt?", frage ich meinen Freund, als ich mein Tempo gedrosselt und ihn mit seinem klobigen Elefanten auf zwei Rädern neben mich gewinkt habe. "Nicht so richtig", sagt er. Unglaublich. Ich freue mich aber ein bisschen. Denn nach dem Sport kommt das Schönste: Dieses Kribbeln in den Beinen und ein Gefühl von Glück.

Wir werden solche Fahrten künftig öfter machen. Bis dahin werde ich noch ein wenig trainieren. Und den Akku einfach mal zu Hause lassen. Das spart Gewicht und die Verführung hat keine Chance mehr.

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