Thüringen Und die Chöre singen für dich

Südthüringen hat am Wochenende die wahrscheinlich größte Chorprobe seit langem erlebt: 1500 Stimmen vereint in einem Saal - und dabei war das nur das grandiose Ende des 1. Südthüringer Chorfestivals.

 
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Buchstaben sind an dieser Stelle eigentlich fehl am Platz, um das Folgende zu beschreiben. Die Sprache, die am Samstagabend im Suhler Congress Centrum gesprochen wurde, war eine, die man nicht nur in den Grenzen eines einzigen Landes versteht. Man versteht sie überall. Es war die Sprache der Musik. Sie verbindet Menschen - selbst wenn etwa die Gruppe auf der einen Seite erst ein Jahr alt ist und die auf der anderen bereits 150 Jahre auf dem Buckel hat.

Suhl, 30. September, 16.25 Uhr: Noch 35 Minuten bis zur Premiere des 1. Südthüringer Chorfestivals. 1500 Menschen werden gleich auf den Rängen vor der CCS-Bühne Platz genommen haben. Lampenfieber bei so manchem, der eher kleinere Rahmen gewohnt ist? Den Männern vom G esangverein Liederkranz Rohr ist nichts anzumerken. Das Licht in ihrer Garderobe ist ein bisschen schummrig. Man hat sich rund um den Tisch in der Mitte aufgestellt, hin und wieder dreht sich einer der alten Männer zum großen Spiegel, um am Anzug noch einmal nach dem Rechten zu sehen. Letzte Stimmbildungsübungen, sagt die Leiterin des Männerchors, Ute Stockmann. Die Frau mit den knallroten Pumps ist die erste überhaupt in der langen Chorgeschichte. Seit 20 Jahren liegen ihr die Männer zu Füßen, was sie ihr später noch beweisen werden.

Und just als Ute Stockmann und ihre Männer von der 150-jährigen Geschichte ihres Chores, vom Tod eines Mitglieds vor vier Wochen, der heute eigentlich hätte dabei sein sollen, erzählen und sich darüber ärgern, wie oft der Musikunterricht an deutschen Schulen ausfallen muss, drängt sich ein Lied vom Flur durch die Tür hinein in die Garderobe, das ein bisschen als Antwort verstanden werden kann.

Eine Tür weiter bringt sich der Chor der frisch gegründeten Gemeinschaftsschule Schalkau mit dem Karat-Klassiker "Über sieben Brücken musst du gehn" auf Betriebstemperatur. 36 Kinder in einem Raum - von der zweiten bis zur neunten Klasse. Chorleiter Marcus Heß muss sich nach dem Ende des Songs erstmal Gehör verschaffen und drückt ein paar Tasten auf dem extra aufgebauten Keyboard. Heß ist Musiklehrer, ein Exemplar von jener "ganz selten aufzufindenden" Spezies, wie er bestätigt. "Den Chor, so wie er heute auf der Bühne steht, gibt es erst seit diesem Schuljahr. Heute ist unser zweiter Auftritt", sagt der 37-Jährige.

Heß hat die bunte Schülerschar gut im Griff. Weil, wie er sagt, die Kinder merken, dass da ein richtiger Musiker vor ihnen sitzt. Heß spielt selbst in einer Band, den Malibu Stixx. Dann geht's raus Richtung Bühne. Noch 15 Minuten bis zur Premiere. Im Vorraum lässt Heß seine Schüler in Zweierreihe Aufstellung nehmen, so, wie sie gleich auch auf der Bühne stehen werden.

Singen im Chor bedeutet zuallererst nicht gemeinsam singen. Es bedeutet Gemeinschaft. Diesen Satz hört man am Samstag immer wieder. "Es ist das Geheimnis eines Chores", ist Robert Grunert überzeugt. Das ehemalige Mitglied des Thomanerchores Leipzig dirigierte beim Chorfestival gleich zwei Chöre, die Suhler Singakademie und den Suhler Knabenchor. Grunert sagt: "Wer singt, ist angstfreier, hat weniger soziale Probleme und ist sogar intelligenter!"

In Hildburghausen verbindet ein Jugendchor gleich drei Schulen, weil das Lehrerehepaar Schäl, das den Chor einst gründete, in verschiedenen Schulen unterrichtete. Roland Schäl auf dem Gymnasium Georgianum, Gudrun Schäl auf der Regelschule "Dr. Carl Ludwig Nonne". Heute ist noch eine dritte Schule, die Regelschule "Joliot-Curie", mit an Bord bei Schoolvoices HBN³.

Für Dominique Lacasa, die zusammen mit Michael Kraus von der Rhön-Rennsteig-Sparkasse durch den Abend führte, ist das die "magische Seite der Musik". "Man wird überall verstanden", sagt die Tochter von Schlagersänger Frank Schöbel und Chansonette Aurora Lacasa. Weil die Musik sich ihren Weg vom Herzen über die Lungen aus dem Mund zum Gegenüber bahne. Michael Kraus erreichte mit der Musik gar das Herz der Frau, mit der er heute noch verheiratet ist. Sie besuchte das Landesgymnasium für Musik in Wernigerode, sang wie er im Chor. Bei einer Veranstaltung im Leipziger Gewandhaus lernen beide sich kennen - auf der Bühne zu Johannes Brahms' "All meine Herzgedanken".

Wernigerode, jene Stadt im Harz mit der berühmten Schule für Musik, hat einige Südthüringer Biografien mitgeschrieben. So wie die von Yvonne Unger. Einst sang die Chorleiterin von Cocktail a cappella selbst im Rundfunk-Jugendchor Wernigerode, heute tut genau das ihre Tochter Julia - so auch am Samstag, als einer der renommiertesten Jugendchöre der Republik auf der Suhler Bühne stand. Erst gut eine Dreiviertelstunde alleine, dann mit den 1500 anderen Stimmen im Saal. Und wieder wurde natürlich gesungen. Gemeinsam, versteht sich.

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