Vor diesem Hintergrund fordert Christian Tischner eine Abkehr von der früheren Reform. Dafür sprächen pädagogische Gründe, aber auch Gründe des Kindeswohls. Überforderte Schüler seien demotiviert, zudem werde die Lernqualität der gesamten Klasse beeinträchtigt. "Wiederholen ist nichts Schlimmes", sagt der Politiker, der selbst Lehrer war. Womöglich hat der fehlende Leistungsdruck weitreichende Folgen: Dem jüngsten Bildungsmonitor zufolge schafften 9,2 Prozent der Thüringer Schulabgänger keinen Abschluss, im Bundesdurchschnitt sind es 6,6 Prozent.
Tischner steht mit seiner Forderung nicht allein. Auch der Thüringer Lehrerverband ist dafür, die bisherige Regelung abzuschaffen. "Die hat sich überhaupt nicht bewährt, im Gegenteil", sagt Verbandschef Rolf Busch. Allerdings betont er, dass allein mit einem Wiedereinführen des Sitzenbleibens niemandem geholfen sei. Vielmehr müsse es für lernschwache Schüler einen individuellen Förderplan geben.
Auch die Bildungsgewerkschaft GEW fordert, dass wieder in jeder Klassenstufe in Regelschule und Gymnasium eine Versetzungsentscheidung getroffen wird, allenfalls eine Ausnahme nach Klasse 5 ist für sie denkbar. Viele Lehrer hätten sich aufgrund von negativen Erfahrungen mit der bedingungslosen Versetzung gegen die bisherige Praxis ausgesprochen. "Der Einfluss auf die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler (also die Steigerung) durch eine Versetzungsentscheidung ist nicht unerheblich und fördert letztlich eine bessere Lernatmosphäre der Schülerin/des Schülers und auch der ganzen Lerngruppe/Klasse", so die GEW.
Nach Informationen unserer Zeitung drängen weitere Gewerkschaften sowie der Landeselternverband das Bildungsministerium zum Wiedereinführen des Sitzenbleibens in allen Klassenstufen. Bildungsminister Helmut Holter (Linke) will jedoch an der bisherigen Regelung festhalten. Sein Ministerium teilte auf Nachfrage mit: "Das Bildungsministerium strebt nach wie vor keine Abkehr von der bisherigen etablierten und pädagogisch sinnvollen Praxis der Doppeljahrgangsstufen an."