Nach dem mutmaßlich rechtsmotivierten Angriff auf drei Männer in Erfurt streiten Politiker und Juristen über den Umgang mit den Tatverdächtigen – im Zentrum dieser Auseinandersetzung steht Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD). Die zuständige Staatsanwaltschaft hat nämlich die Kritik Maiers an ihrem Umgang mit den Tatverdächtigen zurückgewiesen. Mit ungewöhnlich deutlichen Worten wirft der Sprecher der Behörde Maier dagegen nun vor, die Rechtslage nicht zu kennen und damit eine Forderung erhoben zu haben, für die es keinen Rechtsgrundlage gibt.

Die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Erfurt, gegen keinen der Tatverdächtigen einen Haftbefehl zu beantragen, sei richtig gewesen, erklärte der Sprecher Staatsanwaltschaft Erfurt, Hannes Grünseisen, am Montag in Erfurt. „Wer das Recht und die Akte kennt, kann die am Samstag getroffene Entscheidung der Staatsanwaltschaft aus sachlichen Gründen nicht kritisieren“, sagte er. Es sei klar gewesen, dass es bei keinem der Beschuldigten einen Haftgrund gebe. Deshalb habe die Staatsanwaltschaft auch keine Haftbefehle beim zuständigen Amtsgericht beantragt. „Haftgründe sind Fluchtgefahr, Wiederholungsgefahr und Verdunklungsgefahr, das schreibt die StPO so vor.“ Die Abkürzung StPO steht für Strafprozessordnung; jener Gesetzestext, in dem festgeschrieben ist, was in Deutschland im Zuge eines Strafverfahrens erlaubt ist und was nicht.

In der Nacht zu Samstag waren im Erfurter Plattenbaugebiet Herrenberg im Südosten der Stadt drei Männer aus Guinea angegriffen worden; insgesamt zwei von ihnen wurden verletzt, einer schwer. Der Zustand des 21 Jahre alten Schwerverletzten war nach Angaben eines Polizeisprechers zwischenzeitlich kritisch. Ob er auch in Lebensgefahr schwebte, ist bislang unbekannt.

Maier hatte die Entscheidung, keinen der insgesamt zwölf Tatverdächtigen des Angriffs in Haft zu nehmen am Sonntag bei Twitter verurteilt. „Die Nazi-Schläger von Erfurt laufen alle wieder frei rum“, hatte Maier geschrieben. „Ich weiß, dass es mir nicht zusteht, die Justiz zu kritisieren. Aber für die Opfer und die Menschen am Herrenberg ist das eine Katastrophe.“ Ähnlich hatten sich auch andere Politiker geäußert, jüngst zum Beispiel der SPD-Bundestagsabgeordnete Carsten Schneider. Er schrieb ebenfalls bei Twitter: „Es reicht. Der Staat muss durchgreifen! Dass die Täter freigelassen wurden, ist ein weiterer Schlag für die Opfer. Den Nazis müssen Grenzen aufgezeigt werden.“

Grünseisen sagte, die Staatsanwaltschaft ermittele nach dem Übergriff wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch im besonders schweren Fall. Auch zu den Hintergründen des Angriffs werde weiterhin intensiv ermittelt. „Nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen gehen wir nach wie vor davon aus, dass es sich möglicherweise um einen ausländerfeindlich motivierten Angriff gehandelt hat“, sagte er. Gleichzeitig wies der vor allem im Internet kursierende Forderungen zurück, die Staatsanwaltschaft solle in dem Fall wegen versuchten Totschlags ermitteln – wodurch es für sie grundsätzlich einfacher wäre, Haftbefehle zu beantragen. Es gebe für einen solchen Tatvorwurf derzeit keinen Anhaltspunkt, sagte Grünseisen. Ohnehin seien Haftbefehle im Rechtsstaat nicht so einfach zu erwirken. Dazu brauche es einen dringenden Tatverdacht gegen eine einzelne oder mehrere Personen, denen ein „konkreter Tatbeitrag“ genau zugeordnete werden müsse.

Erst vor wenigen Tagen hatte es in der Innenstadt von Erfurt einen Angriff auf eine Gruppe von Menschen direkt vor der Thüringer Staatskanzlei gegeben, an der mehrere polizeibekannte Rechtsextreme beteiligt gewesen sein sollen. Diejenigen, die nun im Verdacht stehen, an dem Angriff auf die drei Afrikaner beteiligt gewesen zu sein, sind nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen nicht diejenigen, die verdächtigt werden vor der Staatskanzlei zugetreten und zugeschlagen zu haben. Auf die Frage, ob es personelle Überschneidungen zwischen den bislang ermittelten Tatverdächtigen beider Angriffe gibt, sagte Grünseisen: „Nein.“

Das Haus, vor dem sich der Angriff auf die drei Männer aus Afrika ereignet hat, gilt seit Langem als Treffpunkt der rechtsextremen Szene in Erfurt. Die Neonazis verstecken sich in dem ehemaligen und zunehmend verfallenden Einkaufszentrum nicht einmal. An dem Gebäude prangen an der Außenseite Logos der Rechtsextremen. Dort sollen in der Vergangenheit auch bereits Kampfsporttrainings von Neonazis stattgefunden haben; auch mit Kindern und Jugendlichen.