Friedrich Engelbert nimmt die Hände von der Tastatur des Computers und blickt hinaus in den Garten. Hier, am Fenster kann er das genießen, was er am meisten mag: die Natur draußen und drinnen im Arbeitszimmer die Bücher. Einige davon stammen aus seiner Feder. Es sind Gedichtbände wie "Vor dem Dorfe Avram", aber auch Kurzgeschichten, Anthologien oder Reisebeschreibungen. Derzeit arbeitet er an einer Übersetzung. Vor ihm liegt ein dicker Roman des rumänischen Dichters und Philosophen Lucian Blaga (1895 - 1961). "Luntrea lui Caron" steht auf dem Buchdeckel - "Der Nachen des Charon". Friedrich Engelbert hat den Roman des Dichters aus Siebenbürgen schon vom Rumänischen ins Deutsche übertragen. Nun fehlt noch der Feinschliff.

Engelbert und Blaga sind alte Bekannte. Schon in seiner Magisterarbeit hatte sich der Schleusinger mit dem Rumänen und dessen Roman befasst. Friedrich Engelbert studierte an der Universität in Jena Romanistik, Südslawistik und Südosteuropastudien. Doch er begann damit nicht als junger Mann, sondern als 66-Jähriger. "Ich war der älteste Student an der Uni", erzählt er. Was treibt aber einen Rentner, der eigentlich seinen Ruhestand auskosten könnte, noch einmal in den Hörsaal?

Er wollte schreiben

"Das, was ich über Rumänien wusste, reichte mir nicht, um über Land und Leute zu schreiben", erklärt er. Und schreiben wollte er. Schon als junger Mann war die Literatur seine große Leidenschaft. Doch es waren die Zeit und die gesellschaftlichen Umstände; sie legten ihm immer wieder Steine in den Weg.

Nicht in Schleusingen, im schlesischen Breitenhain bei Schweidnitz erblickt Friedrich Engelbert 1939 das Licht der Welt. Sein Vater hat dort eine Arbeit als Projektant gefunden. Doch es kommt der Krieg und der Vater wird eingezogen. Zum letzten Mal sehen ihn die Kinder im Weihnachtsurlaub 1944. Bald darauf hören sie Artillerieeinschläge. Die Front rückt näher. Die Mutter flüchtet mit den drei Kindern. Das Jüngste ist ein Baby. Sie kehren heim nach Schleusingen. Friedrich Engelbert erinnert sich: "Es war eine schwere Zeit. Wir Kinder mussten auf dem Acker und im Garten helfen, damit wir zu essen haben konnten." Trotzdem schicken ihn die Eltern zur Oberschule. 1957 macht er Abitur.

"Damals faszinierte mich das Radio", entsinnt er sich. Deshalb steht für ihn fest: "Ich studiere Hochfrequenztechnik." Und tatsächlich, an der Technischen Hochschule in Ilmenau erhält er einen Studienplatz. Dann kommt jener verhängnisvolle 13. August 1961. Es sind Semesterferien. Der 22-Jährige hockt vorm Radio, hört Westsender und verfolgt gespannt die Vorgänge in Berlin. Die DDR-Oberen lassen dort die Mauer hochziehen. Von der Neugier getrieben holt er sein Fahrrad aus dem Schuppen und radelt los - Richtung Eisfeld, ins damalige Sperrgebiet. "Ich wollte selbst sehen, was an der Grenze los ist." Soldaten greifen ihn auf, verfrachten ihn mit anderen Jugendlichen auf einen Lkw. Er wird verhört und vor Gericht gestellt. Die Richter werfen ihm versuchte Republikflucht vor. Das Urteil: zehn Monate Haft.

Die Hochschule in Ilmenau exmatrikuliert ihn. Ab jetzt gilt für ihn ein Studienverbot an allen DDR-Unis. "Es war ein Trauma", erzählt der 75-Jährige. "Es hieß: Ab in die Produktion!" Schließlich findet er sich auf der Großbaustelle "Schwarze Pumpe" in der Lausitz wieder. Er macht seinen Facharbeiter als Elektromonteur. Und er schreibt erste Gedichte im "Zirkel schreibender Arbeiter" in Hoyerswerda. "Ich war einsam und hatte Zeit, über mich nachzudenken", erklärt er. Im Zirkel lernt er die DDR-Schriftstellerin Brigitte Reimann kennen.

Zurück in Schleusingen wird er nicht müde, für die Wiederaufnahme seines Studiums zu streiten. Endlich, im Mai 1965 hebt der Rektor der TH Ilmenau die Zwangsexmatrikulation auf. Engelbert schafft die Aufnahmeprüfung. "Nach vier Jahren Pause war das kein Zuckerlecken", entsinnt er sich. Er wird Diplomingenieur für Hochfrequenztechnik und Elektroakustik. "Ich war glücklich", sagt er. Der damalige VEB Robotron in Zella-Mehlis stellt ihn als Entwicklungstechnologe ein.

Aber Engelbert will mehr. Er will Gedichte und Geschichten schreiben, andere an seinen Gefühlen und Gedanken teilhaben lassen. Er wird Mitglied des "Zirkels schreibender Arbeiter" bei Robotron und Gasthörer des Schriftstellerverbandes im Bezirk Suhl. Neben der Arbeit studiert er drei Jahre am Leipziger Literaturinstitut.

Trotz allem hat er es schwer als Autor. "Jene, die damals das Sagen hatten, suchten in meinen Gedichten größeres Lob auf den Sozialismus. Werte wie Freiheit oder Liebe waren mir wichtiger", erklärt der Autor. Dennoch erschienen Gedichte von ihm in namhaften Publikationen wie beispielsweise der "Neuen Deutschen Literatur". "Ich erhielt auch Auszeichnungen und Preise", blickt er zurück.

Eines Tages liegt eine Zeitschrift aus der Bundesrepublik in seinem Briefkasten. Sie kam mit der Post. Als er darin blättert, entdeckt er drei seiner Gedichte. Sie beschrieben Schleusingen. Engelbert sagt: "Ich hatte sie nicht in den Westen geschickt." Was er damals nicht ahnt: Er gerät damit ins Visier der Stasi. Erst als 1999 seine Stasi-Akte vor ihm liegt und er darin liest, begreift er, wie intensiv die Staatssicherheit ihn beschattete. Die Schriftstücke, die die Schlapphüte über ihn sammelten, waren sogar über den Schreibtisch des Suhler SED-Chefs Hans Albrecht gegangen. Weggefährten, auch aus dem Zirkel schreibender Arbeiter, hatten Berichte über ihn verfasst. Für Engelbert ist es ein Schlag in die Magengrube. "Ich war erstaunt und enttäuscht, empfand Leere. Zugleich packten mich aber auch Wut und Ärger." Das Gefühl, dass manches nicht mit rechten Dingen zuging, hatte er immer schon gehabt. "Beruflich ging es nicht recht vorwärts. 15 Jahre war ich Gasthörer im Suhler Schriftstellerverband und hoffte irgendwann Kandidat zu werden. Es gab Differenzen. 1980 berief mich der Verband sogar ab." Gasthörer seien nicht mehr üblich, hieß es offiziell.

Reise nach Siebenbürgen

Ende der 70er Jahre fällt dem Mann ein Buch von Erwin Wittstock in die Hände. Wittstock ist wie Blaga ein Autor aus Siebenbürgen. Engelbert erzählt: "Es machte mich neugierig, die Gegend selbst kennenzulernen." Er beantragt eine Privatreise, setzt sich in seinen Wartburg, fährt nach Rumänien und sucht Wittstocks Söhne auf. Zu ihnen entwickelt sich eine Freundschaft. Von nun an reist der Schleusinger jedes Jahr nach Siebenbürgen, übernachtet in den Dörfern bei Familien und kommt mit den Menschen ins Gespräch. Er schlendert über die bunten Märkte, bewundert altes Handwerk und schaut sich in den mächtigen Kirchenburgen um. Eine Unterhaltung ist kein Problem. Die Siebenbürger Sachsen sprechen deutsch. Das schlichte Leben, die Geselligkeit und Gastfreundschaft inspirieren Friedrich Engelbert. Nun sind diese Menschen die Helden seiner Gedichte und Erzählungen. Siebenbürgen wird seine literarische Heimat. Dort, bis zu 2000 Kilometer von Deutschland entfernt, fühlt er sich überall im Lande zu Hause und anerkannt.

1992 publiziert er seinen ersten Gedichtband im Kriterion-Verlag in Bukarest. Es ist sein Debüt und das erste Debüt eines Deutschen in Rumänien überhaupt. Seine Gedichte erscheinen in der "Neuen Literatur", der Zeitschrift des Rumänischen Schriftstellerverbandes. Er hält Lesungen in Siebenbürgen und ist ständiger Gast bei den Deutschen Literaturtagen in Reschitza. Und seit 20 Jahren ist er Ordentliches Mitglied der Südosteuropagesellschaft.

Student an der Uni in Jena

Doch Engelbert will tiefer in die Geschichte und Literatur Rumäniens sowie des Balkans eintauchen. Dazu gehört das Erlernen der Sprache. Mittlerweile ist er freischaffend als Autor tätig. Mit 66 Jahren - wie es in einem Schlager heißt - fängt für ihn das Berufsleben noch einmal an: im Hörsaal. Er sitzt an der Jenaer Uni mitten unter jungen Leuten, paukt wie sie das große Latinum, lernt Rumänisch, Bulgarisch, dazu Kroatisch, Ungarisch und etwas Italienisch. Heute sagt er: "Es war eine harte Zeit." Seine Frau Sigrid hält ihm derweil zu Hause den Rücken frei. Seit 35 Jahren ist sie seine treue Begleiterin mit zwei erwachsenen Kindern und einem Enkel. Bis zu viermal wöchentlich fährt er zu den Lehrveranstaltungen. Nach sechs Jahren nimmt er mit ihr 2011 seinen "Magister Artium" entgegen.

Doch Blaga und dessen Roman "Luntrea Lui Caron", mit dem er sich in seiner Magisterarbeit auseinander gesetzt hat, lassen ihn nicht los. Er erwirbt von Lucian Blagas Tochter Dorli, die in Bukarest lebt, die Exklusivrechte am Buch. Friedrich Engelbert wagt sich damit als Erster an die Übersetzung des Romans ins Deutsche. Derzeit wird das Buch auch ins Portugiesisch-Brasilianische und ins Französische übersetzt. Engelbert sagt: "Es ist ein großes, vielschichtiges Werk." Für ihn bedeutet es eine gewisse literarische Vollendung einer Leidenschaft, die ihn seit den Jugendtagen nicht mehr losließ.

Buch-Tipp

Friedrich Egelbert stellt seinen Gedichtband "Vor dem Dorfe Avram" auf der Buchmesse in Leipzig vom 13. bis 16. März vor. Anzutreffen ist der Autor am Stand der Thüringer Verlage am 14. März.

Friedrich Engelbert: "Vor dem Dorfe Avram", Lyrikband, erschienen 2013 im Arnshaugk-Verlag, 237 Seiten, 18 Euro.