Wenn das geschafft sei, dann sei auch wieder mehr möglich, so Priesemann. Sie und ihr Team schreiben in ihrer vorab veröffentlichten Studie über langfristige Strategien für ein Leben mit Corona, dass unter diesen Umständen sogar wieder Veranstaltungen mit bis zu 100 Teilnehmern möglich wären. Offene Kneipen und Restaurants sowieso. Immer mit der Maßgabe, dass Menschenansammlungen bei denen das Virus breit gestreut werden könnten, im Anschluss konsequent nachverfolgt würden. Hätten die Gesundheitsämter freie Kapazitäten, dann sei das auch wieder möglich.
Langfristig hält sie ein Leben mit Corona für möglich, wenn die Menschen ihre sozialen Kontakte um 40 Prozent im Vergleich zu ihrem Leben vor der Pandemie reduzieren. Das ist in etwa das, was aktuell durch die Schließung von Gastrionomie und Kultureinrichtungen erreicht wurde. Und wie wir sehen, reicht das nur, um die Fallzahlen stabil zu halten, aber nicht, um sie zu senken.
Wären die Fallzahlen aber erst einmal wieder deutlich gesunken, dann würden die 40 Prozent ausreichen. Diese Zahl war es übrigens auch, die die Bundesregierung und die Ministerpräsidenten dazu veranlasste, die Maßnahmen für Dezember noch einmal zu verschärfen. So heißt es in der Beschlussvorlage der Regierungschefs: „Das Helmholtz-Institut hat nach jüngsten Erkenntnissen aus den ermittelten Daten feststellen können, dass durch die Maßnahmen, die nun seit drei Wochen in Kraft sind, die Kontakte um 40 Prozent reduziert worden sind. Dies hat das exponentielle Wachstum gebremst.“
Doch aktuell braucht Deutschland mehr. Priesemann und ihr Team kommen in ihren Berechnungen zu dem Ergebnis, dass es mit den von den Regierungschefs nun beschlossenen Maßnahmen ab dem 1. Dezember gelingen könnte, die tägliche Fallzahl wieder auf 2500 zu drücken. Das wäre fast wieder ein Wert, wie wir ihn aus dem Sommer kannten. Eine Woche mehr strenge Kontaktbeschränkung könnte dann zum Durchbruch verhelfen.
Wenn die Gesundheitsämter dann wieder das Infektionsgeschehen nachverfolgen können, ließen sich die 40 Prozent Kontaktreduzierung bereits durch vergleichsweise milde Kontakt-Einschränkungen erreichen, so die Wissenschaftler. Allein die Zahl der Teilnehmer an Großveranstaltungen auf hundert Personen zu beschränken, führe laut einer Studie dazu, dass es in der Bevölkerung rund 35 Prozent weniger Ansteckungen gäbe. Reduziere man die Gruppengrößen auf unter zehn, erreiche man rund 45 Prozent Reduktion. Häufiges Lüften, Abstand halten und Maske tragen könne das Infektionsrisiko zusätzlich verringern, sodass anderweitig mehr Kontakte möglich wären.
Und die Alternative? Würde Deutschland einfach so weitermachen wie in den vergangenen drei Wochen, dann würden aus Sicht der Forscher die Infektionszahlen bei rund 20 000 pro Tag stagnieren. Dann müssten wir uns immer weiter mit Schließungen von bestimmten Teilen des gesellschaftlichen Lebens abfinden. Mit der Folge, dass die Zahl der Toten, der Erkrankten und der Menschen, die sich gerade in Quarantäne befinden, viel, viel höher ausfallen.
Quelle: Sebastian Contreras, Jonas Dehning, Sebastian B. Mohr, F. Paul Spitzner and Viola Priesemann: Towards a long-term control of COVID-19 at low case numbers.