Steinbach Kirmesradio statt Festzelt

Susann Eberlein

In diesen Tagen würde in vielen Orten gefeiert, wenn das Coronavirus nicht wäre. Die weltweite Pandemie hat die Veranstaltungen in diesem Jahr lahmgelegt. Doch es gibt Ideen, die Tradition dennoch zu pflegen.

 
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Steinbach/Tiefenort/Möhra/Sünna - Kein Zelt, keine Fahrgeschäfte, kein Süßigkeitenstand: Der Festplatz in Steinbach (Wartburgkreis) ist leer. Die Kirmes in Steinbach, die in diesen Tagen stattfinden sollte, ist dem Coronavirus zum Opfer gefallen. Die Steinbacher wären aber nicht die Steinbacher, wenn sie darauf keine Antwort hätten. "Steinbach ohne Kirmes, das ist ein echter Einschnitt. Wir können die Situation aber nicht einfach so abnicken, sondern müssen das Beste daraus machen", sagt der Vorsitzende des Traditions- und Kirmesvereins Steinbach, Sebastian Malsch.

Um Stimmung in das Bergdorf zu bringen und die Tradition zu pflegen, schallt seit Donnerstagnachmittag das Kirmesradio durch die Häuser und Wohnungen auf der Frequenz 90,8. Dafür sind die rund 50 Vereinsmitglieder unter die Radiomacher gegangen. Sie haben sich die nötigen Genehmigungen bei der Bundesnetzagentur und der Gema eingeholt und Musik zusammengestellt. "Das Programm, das wir für die Kirmes geplant hatten, wird ins Radio verlegt. Am Donnerstag gab es Blasmusik, am Freitag- und Samstagabend ist Tanzmusik angesagt, und am Sonntag ertönt wieder Blasmusik zum Frühschoppen. Es ist wie im Zelt, auch mit den Rufen der Platzmeister", erklärt Malsch.

Es gibt jedoch nicht nur Kirmesmusik auf die Ohren, sondern auch Wissenswertes rund um das Festwochenende, die Vorbereitung oder die Bands, die auf der Bühne im Bergdorf spielen. "Wir haben viele Interviews geführt, zum Beispiel mit Joachim Malsch, der bei der Gründung des Vereins dabei war, oder mit Franz Malsch, der über die Tradition der Kirchweih spricht", zählt der Vereinsvorsitzende auf. Mithilfe der Expertise und Technik der Veranstaltungsagentur Torsten Möller aus Barchfeld kann über vier Tage ein abwechslungsreiches Programm gesendet werden, wenngleich es mit viel Arbeit verbunden war. "Allein in der vergangenen Woche saßen wir jeden Tag acht Stunden zusammen", sagt Sebastian Malsch.

Musik im ganzen Dorf

Hat sich diese Sisyphusarbeit gelohnt? "Ich habe bisher nur positive Reaktionen erhalten. Auch von den älteren Dorfbewohnern, die aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zur normalen Kirmes gehen können", sagt der Kirmeschef nach den ersten zwei Tagen des Projekts. Auch für das Umspiel am heutigen Samstag hat sich die Kirmesgesellschaft etwas einfallen lassen. Die Musiker der Viernauer Blaskapelle ziehen nicht von Haus zu Haus, sondern spielen - in Absprache mit dem Gesundheitsamt - an neun verschiedenen Standorten. "Dank der geografischen Lage Steinbachs stehen sie erhöht und die Musik wird im ganzen Dorf zu hören sein", sagt er.

Am gleichen Wochenende wie Steinbach feiert auch Tiefenort (Wartburgkreis) seine Kirmes - und wurde vom selben Schicksal der Absage getroffen. "Es hat uns sehr geschmerzt und ist bis heute schwer in Worte zu fassen", sagt die Vorsitzende der 1994 gegründeten Kirmesgesellschaft Tiefenort, Christine Thiel. Sie hatte noch keine Verträge abgeschlossen, muss also zum Glück weder Honorare noch Vertragsstrafen zahlen, wenngleich hier der Fall "höhere Gewalt" eintreten könnte. "Für uns steht aber auch nicht das Wirtschaftliche im Vordergrund, sondern die Tradition, das persönliche Miteinander", sagt sie.

Vor einigen Jahren stand die Kirmes schon einmal auf der Kippe, weil nach dem Bau des Seniorenheims kein Platz mehr vorhanden war für das Festzelt. Innerhalb von vier Wochen wurde mit Hilfe vieler Firmen und fleißiger Helfer ein neuer Platz gebaut "Ich sehe noch den Zeitungsartikel vor mir: ‚Ohne Kirmes geht es nicht’ hieß es da", erinnert sich Christine Thiel. In diesem Jahr muss es wohl oder übel ohne gehen. Nachdem die Verantwortlichen zunächst über deutlich kleinere Veranstaltungen wie einen Frühschoppen im Freien nachgedacht haben, haben sie sich jetzt gegen so gut wie alle typischen Aktionen am Kirmeswochenende ausgesprochen. Es wird weder eine Kirmestanne aufgestellt noch ein Umspiel stattfinden. "Dadurch könnte es zu größeren Menschenansammlungen kommen. Das wollen wir vermeiden. Das gebietet die Vernunft", so Christine Thiel.

Denn: Je mehr Menschen zusammenkommen, vielleicht sogar von außerhalb, desto höher ist die Gefahr, sich mit dem Virus anzustecken. "Tiefenort soll kein Hotspot werden. Wir haben einen Kindergarten, zwei Schulen und ein Seniorenheim hier. Die Eltern haben schon ein schreckliches Jahr hinter sich. Wir wollen Verantwortung dafür tragen, dass sie eine solch belastende Situation nicht noch einmal durchmachen müssen", sagt sie.

Kein Schnäpschen

Der Kirmesgottesdienst ist hingegen nicht abgesagt. Wenn die Kirmesgesellschaft in ihrer Tracht in der Kirche sitzt und Pfarrer Thomas Volkmann lauscht, betet sie vielleicht für ein besseres Jahr 2021. Sollte in zwölf Monaten eine normale Kirmes möglich sein, werden die Menschen laut der Vereinschefin auch wieder zum Feiern kommen: "Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass sich alle nach Normalität sehnen und Kirmes feiern würden."

Darauf hofft auch der Kirmesverein Möhra, der lange um sein Kirmeswochenende gebibbert hat. Wäre das Veranstaltungsverbot Ende August aufgehoben worden, wäre der Moorgrund-Ort einer der ersten gewesen, der Gäste hätte begrüßen können. "Wir hatten damals schon Bedenken, ob wir nicht vielleicht überrannt werden, weil alle wieder feiern wollen. Und dass wir das nicht steuern und die Auflagen nicht stemmen können", sagt Vereinsmitglied Florian Ortmann.

Letztlich wurde das Veranstaltungsverbot verlängert, was das offizielle Aus der Kirmes bedeutete. Ein Novum für den Ort. "Bis auf die Kriegsjahre und einige wenige Ausnahmen in der DDR-Zeit ist die Kirmes in Möhra nie ausgefallen. Selbst kurfürstliche Verbote hat die Möhraer nicht davon abgehalten, Kirchweih zu feiern", sagt er. Wenngleich die Absage für den Verein keinen wirtschaftlichen Schaden bedeute, sei sie ein großer emotionaler Verlust: "Es fehlt die Tanzveranstaltung, der Höhepunkt, im Jahr."

"Das Dorf allein zu lassen", kam für die 45 Mitglieder jedoch nicht in Frage. Sie setzten auf das Umspiel. "Das genehmigt zu bekommen, war richtig schwer. Das traditionelle Schnäpschen war nicht erlaubt, um kein Risiko einzugehen", sagt Florian Ortmann. Die Kirmespredigt, die er mit Andreas Walther hält, wurde auf den Lutherplatz, verlegt. "Es war anders. Das Publikum war verhaltener. Ich würde sagen, es hat eher nach innen gelacht", sagt er. Wie passend, dass die Kirmestanne, die der Verein aufstellte, sinnbildlich für das verkorkste Corona-Jahr 2020 stand. "Die Idee ist in einer Bierlaune entstanden. Wir haben die hässlichste, dürrste Tanne aus dem Wald geholt. Sie ist ein Symbol für die Veranstaltungsbranche, die in diesem Jahr zum Erliegen gekommen ist", erklärt Florian Ortmann.

Komplett absagen oder eine kleine Veranstaltung auf die Beine stellen? Vor dieser Frage stand auch die Kirmesgesellschaft Sünna (Wartburgkreis). Vier Wochen vor dem Termin im September haben sich die Verantwortlichen für eine kleine Open-Air-Veranstaltung auf dem Festplatz starkgemacht und diese, untermauert mit einem Hygienekonzept, genehmigt bekommen.

Viel Bürokratie

"Es gab keine Kapelle, sondern Musik vom Band und Bier aus der Flasche. Es war ein gemütliches Beisammensein mit Abstand", sagt die stellvertretende Vorsitzende der Kirmesgesellschaft Sünna, Emma-Luise Lahs. Doch: Die Veranstaltung war mit viel Bürokratie verbunden. Die Anzahl der Besucher war auf 150 begrenzt, es gab separate Ein- und Ausgänge, und die Daten von jedem Gast mussten erhoben werden.

Emma-Luise Lahs hofft, dass das Rhön-Dorf im kommenden Jahr an die Kirmesfeiern der Vorjahre anknüpfen kann. "Von mir aus könnten ein paar Hygienemaßnahmen beibehalten werden. Das macht in der Grippesaison ja Sinn. Aber wenn sie wieder ausfällt, werden sich viele Vereine nicht retten können. Eine Kirmesgesellschaft braucht einen Höhepunkt, auf den sie hinfiebern kann. Sonst schläft sie ein."

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