Gera/Erfurt In wenigen Wochen von Null auf Hundert

Eike Kellermann
Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne). Sie stammt aus Gera. Foto: ari

Für das geplante "Deutsche Zentrum Mobilität der Zukunft" bewirbt sich Gera als Außenstelle. Das sorgt für Verwunderung in Ilmenau, wo bereits viel Geld in ein Innovationszentrum gesteckt wurde.

 
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Gera/Erfurt - Im Frühjahr gab Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) bekannt, in München ein "Deutsches Zentrum Mobilität der Zukunft" errichten zu wollen. Von 500 Millionen Euro ist die Rede, die zum Aufbau des Zentrums bereitgestellt werden sollen. Es soll sich etwa mit dem autonomen Fahren, neuen Antriebstechniken und der Vernetzung der Verkehrsträger von Fahrrad bis Flieger befassen. In den Worten der Bundesregierung: Das Zentrum solle "den notwendigen Freiraum schaffen, kreativ, querdenkend, interdisziplinär und innovativ zukunftsweisende Mobilitätskonzepte zu erdenken (Denkfabrik), zu entwickeln (Entwicklungszentren) und in der Praxis unmittelbar zu erproben (Praxiscampus)."

Elektrisiert von der Ankündigung des CSU-Ministers war auch Thüringens Umweltministerin Anja Siegesmund (Grüne). Sie gab eine 24 000 Euro teure Studie in Auftrag, die Gera als weiteren Standort des Deutschen Zentrums Mobilität der Zukunft ins Spiel bringt. Das Konzept "Zukunftsraum Gera" wurde am Mittwoch vorgestellt. Dem Vernehmen nach musste es innerhalb weniger Wochen im Schnelldurchgang erarbeitet werden. Vor allem strukturpolitische Erwägungen sollen Siegesmund (sie stammt aus Gera) angetrieben haben. Abgestimmt war ihr Vorstoß offenbar weder mit Verkehrs-, noch mit Wirtschaftsministerium.

Das Problem: In der sich abgehängt fühlenden 100 000-Einwohner-Stadt in Ostthüringen gibt bisher keine Forschungskompetenz auf dem Gebiet der Mobilität. Braucht man auch nicht, argumentieren die Befürworter. In Gera soll nichts erforscht oder entwickelt werden, sondern das, was andere erforschen und entwickeln, ausprobiert werden - autonomes Fahren, E-Mobilität, smarte Logistik.

Der Berliner Soziologe Andreas Knie, der das Konzept mitentworfen hat, sagt: "Gera lädt die Wissenschaft ein, hier ihre Optionen zu erproben." Im Konzept heißt es: "Der gesamte Stadt-Umland-Raum dient als Experimentierraum für neue technische und soziale Innovationen. (...) Die Region wird damit zu einer Dauerausstellung in einem permanenten Erprobungsmodus."

Bei allem Verständnis für das strukturschwache Gera, selbst Gas geben zu wollen, mutet die Bewerbung doch einigermaßen blauäugig an. Beispielsweise rühmen sich die Initiatoren, im Herbst einen selbstfahrenden E-Bus auf Geras Straßen zu bringen. Laut Verband Deutscher Verkehrsunternehmen laufen jedoch bereits in knapp 40 deutschen Städten entsprechende Projekte. Dass als Treiber der Geraer Bewerbung eine Fahrschule (die E-Autos von Tesla einsetzt), der Studenten-Förderverein oder der städtische Verkehrsbetrieb genannt werden, spricht auch nicht für außerordentliche Expertise.

Stärken stärken

Die ist an anderer Stelle in Thüringen hingegen vorhanden. An der Universität Ilmenau hat die Landesregierung mit rund 30 Millionen Euro das Thüringer Innovationszentrum Mobilität (Thimo) aufgebaut. Dort reibt man sich die Augen, dass Thüringen mit Gera beim Bundesverkehrsminister Eindruck machen will. "Wir wundern uns darüber", sagt der amtierende Rektor Kai-Uwe Sattler. Besser wäre es, Stärken zu stärken, also auf das Innovationszentrum in Ilmenau zu setzen. Der Ilmenauer CDU-Landtagsabgeordnete Andreas Bühl sagt: "Fachlich und sachlich gehört das nach Ilmenau." Der Branchenverband Automotiv Thüringen unterstützt die Bewerbung Thüringens als Außenstandort, mahnt aber an: "Ein ressortübergreifender Strategiedialog kann hierbei Unterstützung leisten."

Das ist ein deutlicher Hinweis an die eigentlich zuständigen Verkehrs- und Wirtschaftsminister, Siegesmund in dieser Angelegenheit nicht autonom fahren zu lassen. Die Umweltministerin indes lässt Zweifel oder Kritik nicht gelten: "Gera ist ein absolut unterschätzter Innovationsstandort", sagt sie. Sie gehe davon aus, dass die Thüringer Forschungseinrichtungen das Gera-Projekt mittragen. Von Absprachen ist jedoch bisher nichts bekannt.

Vielmehr heißt es hinter vorgehaltener Hand aus Branchenkreisen, dass die Bewerbung Geras als Standort des Zentrums Mobilität der Zukunft "nicht wettbewerbsfähig" sei. Strukturpolitisch sei sie verständlich, fachlich und industriepolitisch hingegen peinlich angesichts der Leuchttürme, die es anderswo in Thüringen gebe.

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