Rohr - In der Vergangenheit soll die Zukunft liegen

Die Handwerkskammer Südthüringen will ihr BTZ in Rohr zu einem Kompetenzzentrum für Agro-Technik ausbauen. Um die Bildungsstätte zukunftsfest zu machen, besinnt sich die Kammer damit auf die Ursprünge in Rohr.

 
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Rohr - Der Wirtschaftsminister hat ein breites Grinsen auf dem Gesicht, als er die Trittleiter des dunkelgrünen Traktors hinuntersteigt. Gerade eben hat Wolfgang Tiefensee (SPD) das riesige Gefährt mit 600 Pferdestärken eine Runde über das Gelände des Berufsbildungs- und Technologiezentrums der Handwerkskammer Südthüringen in Rohr bewegt. Ein High-Tech-Gerät, wie Roberto Schmidt immer wieder betont. Er ist bei der Kammer für das Thema Digitalisierung zuständig. Versucht seit gut einem Jahr, Unternehmen das Thema Handwerk 4.0 näher zu bringen. Und er treibt den Umbau des BTZ in eine moderne Bildungsstätte voran. Digitalisierung spielt dabei natürlich auch eine Rolle.

Doch die Südthüringer Handwerker wollen sich dabei einem Feld zuwenden, an das man nicht sofort denkt, wenn es um Digitalisierung geht. Die Landwirtschaft. "Ich könnte von meinem Tablet aus die Daten des Mähdreschers auf der Rohrer Stirn abrufen, wenn wir dort gerade ernten würden. Ich könnte sehen, wie viel Kraftstoff er gerade verbraucht, wie trocken oder feucht das Getreide ist, das wir gerade ernten. Und wenn der Mähdrescher abends wieder ins Depot kommt, dann wüsste ich schon, welche Servicearbeiten bis zum nächsten Tag zu erledigen sind, damit die Ernte weiterlaufen kann", erzählt Schmidt dem Minister, der auf seiner Sommertour in das Dorf an der Autobahnabfahrt Meiningen-Nord gekommen ist.

Netz an jeder Milchkanne

Digitalisierung, sie ist in der Landwirtschaft keine Zukunftsmusik, sie ist längst Alltag. Vollautomatische Kuhställe, die aus der Ferne per Computer überwacht werden können, Landmaschinen, die mit GPS-Unterstützung die optimalen Fahrwege über die Felder vorgegeben bekommen. Um Kraftstoff zu sparen, aber auch, um die Erträge zu maximieren. Entsprechend groß war die Entrüstung auch unter Südthüringer Landwirten, als Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) vor gut zwei Jahren erklärte, der neue Mobilfunkstandard 5G sei wohl nicht an jeder Milchkanne nötig.

Genau das Gegenteil scheint der Fall. Zumindest lässt sich das ableiten aus dem, was Roberto Schmidt erzählt. Und vorführt. Denn natürlich ist der Traktor vollgestopft mit all dieser modernen Technik. Technik, an der die Handwerkskammer künftig ihre Meisterschüler aus den landwirtschaftlichen Berufen in Rohr unterrichten möchte. "Bisher haben wir uns da mit dem beholfen, was wir im Kfz-Bereich haben", sagt Manuela Glühmann, Hauptgeschäftsführerin der Handwerkskammer. Die angehenden Meister haben also an Pkw gelernt, wie sie möglicherweise ihren Traktor reparieren können. Das sei kein Zustand. Und das soll sich ändern.

Die Handwerkskammer will ihr BTZ zu einem Kompetenzzentrum für Agro-Technik ausbauen. Der Begriff ist laut Schmidt bewusst gewählt. Denn es soll um mehr gehen als Landmaschinen. Also um mehr als Traktoren und Mähdrescher. Sondern auch um Drohnen, um hochmoderne Stalltechnik. Um die Digitalisierung in der Landwirtschaft eben. Die Kammer kehrt damit zurück zu den Ursprüngen des BTZ. Denn einst war Rohr eines der Zentren der Ausbildung in der Landwirtschaft. Und genau da will die Kammer wieder hin. Rohr, Südthüringen, soll neben dem niedersächsischen Lüneburg das deutsche Zentrum für die moderne Ausbildung in der Agro-Technik werden.

Und natürlich haben Schmidt und Glühmann dem Minister den dunkelgrünen Traktor nicht einfach nur für eine Spritztour hingestellt. Nein, sie wollen Tiefensee zeigen, was sie brauchen, um ihre Pläne umsetzen zu können. Damit die angehenden Landmaschinenmechanikermeister nicht mehr an Pkw herumschrauben müssen, leiht sich das BTZ aktuell moderne Traktoren beim Raffeisen-Technik-Center im nahen Untermaßfeld aus. Zwei der leitenden Mitarbeiter dort haben selbst in Rohr ihren Meister gemacht. Kennen also die Situation.

"Aber die Traktoren haben wir immer nur auf Abruf. Mitten in der Ernte kann es auch mal passieren, dass wir ihn wieder abliefern müssen", erzählt Schmidt. Egal, ob in Rohr gerade Seminarteilnehmer in der Werkstatt stehen oder nicht. Daher will die Kammer eigene Traktoren haben. Am besten von drei oder vier der großen Hersteller. Doch allein die 600-PS-Maschine, die an diesem Tag auf dem Hof steht, kostet 290 000 Euro. "Und alle drei Jahre ändert sich die Technik, müssen wir also neue Fahrzeuge anschaffen", beschreibt Schmidt die Herausforderung.

Der Fahrzeugpark fehlt

Kontakt zu den Herstellern hat er längst aufgenommen. Die seien aber höchstens bereit, dem BTZ Prototypen oder Vorserienmodelle hinzustellen. Denn im Landmaschinenbau werde schon lange nicht mehr auf Halde produziert, sondern exakt nach Kundenwunsch und nur aus Bestellung. "Ein Prototyp oder eine Vorserie, die so nie in der Realität herumfahren, bringen uns aber nichts", sagt Schmidt.

Tiefensee vernimmt die Botschaft. "Das ist ja einer der Gründe, warum wir bei unserer Digitalisierungsstrategie immer von Wirtschaft 4.0 sprechen und nicht von Industrie 4.0", sagt der Minister. Der Zugang zu Fördertöpfen soll allen Branchen möglich sein. Daher sieht Tiefensee kein Problem, auch für die Landwirtschaft eine Lösung zu finden. Vielleicht als Außenstelle der Zentren, die bereits in Erfurt entstanden sind? Der Minister will diese Frage von seiner Sommertour einmal mitnehmen nach Erfurt.

Wenn alles klappt, dann könnte Rohr neben Lüneburg der Anziehungspunkt für Meisterschüler aus der Landwirtschaftstechnik werden. "Der Bedarf ist da", versichert Glühmann. Und auch das Interesse am Standort Rohr sei groß. Zum Beispiel im benachbarten Bayern. Rohr hat in der Landwirtschaft eben noch immer einen Ruf. Hinzu kommt die zentrale Lage mitten in Deutschland. Fehlen nur noch die Traktoren. Drei oder vier Stück, jeweils um die 600 PS unter der Haube.

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