Thüringen Halbes Jahr Minderheitsregierung: Kommt als Nächstes Rot-Schwarz?

Bodo Ramelow (Die Linke), Ministerpräsident von Thüringen, spricht. Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa

Nach einem Monat Regierungskrise arbeiten Linke, SPD, Grüne und die CDU jetzt schon seit einem halben Jahr per Stabilitätsmechanismus zusammen. Ministerpräsident Ramelow findet, das funktioniert. Ein Experte sieht sogar Chancen für ganz neue Bündnisse in der Zukunft.

 
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Ein halbes Jahr nach dem Start einer Minderheitsregierung in Thüringen sieht der Erfurter Politologe André Brodocz Chancen für ein künftiges Bündnis zwischen der Linken und der CDU. «Ich würde nicht ausschließen, dass wir in Thüringen wieder etwas ganz Neues bekommen, nämlich eine rot-schwarze Regierung», sagte Brodocz der Deutschen Presse-Agentur. Linken, SPD, Grünen und der CDU sei es nach der Thüringen-Krise im Frühjahr sehr schnell gelungen, untereinander Vertrauen zu schaffen.

Seit der Wahl Bodo Ramelows (Linke) zum Ministerpräsidenten am 4. März gibt es in Thüringen eine Minderheitsregierung aus Linke, SPD und Grünen. Im Parlament fehlen den drei Partnern vier Stimmen für eine Mehrheit. Ein Stabilitätsmechanismus mit der CDU sorgt aber dafür, bei wichtigen Vorhaben genügend Stimmen zusammen zu bekommen.

Ramelow kann seiner Minderheitsregierung auch nach sechs Monaten Praxistest noch viel abgewinnen. «Ich finde das Modell einer Minderheitsregierung hochspannend», sagte Ramelow der dpa. Dieser Meinung sei er schon längerer Zeit, habe aber immer nur theoretisch darüber nachgedacht. «Es war mir jetzt vergönnt, es auch praktisch umzusetzen, und ich muss sagen, dass ich damit gut klarkomme.»

Ramelow sagte, gerade in der Anfangszeit der Corona-Krise sei es notwendig gewesen, über Kommunikation ein Vertrauensverhältnis zur CDU zu entwickeln. Der CDU-Fraktionsvorsitzende Mario Voigt sei von ihm in dieser Zeit regelmäßig über die wichtigsten Schritte informiert worden. «Der kommunikative Draht hält bis heute an und funktioniert noch.»

Ramelows Wahl im dritten Wahlgang am 4. März markierte das Ende einer fast einen Monat andauernden Regierungskrise in Thüringen. Auslöser war die überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich am 5. Februar zum Ministerpräsidenten mit Stimmen von AfD, CDU und FDP. Kemmerich nahm die Wahl an, trat aber wenige Tage später zurück und blieb ohne Kabinett und ohne Minister ernannt zu haben bis zur Wahl Ramelows geschäftsführend im Amt. Nach Ramelows Wahl vereinbarten Linke, SPD, Grüne und CDU einen Stabilitätsmechanismus, um für Mehrheiten im Parlament zu sorgen.

Der Politikwissenschaftler Brodocz sagte, dass es vor allem Ramelow und dem neuen CDU-Fraktionsvorsitzenden Mario Voigt gelungen sei, eine konstruktive Basis zu schaffen. Der Experte hält es für möglich, dass sich darauf aufbauen lasse. Dabei könne es, müsse aber nicht zwangsläufig auf eine Koalition hinauslaufen. Möglich seien auch neue Wortschöpfungen, «die etwas unterhalb der Koalition liegen», sagte Brodocz. Denkbar sei etwa eine von Ramelow geführte Expertenregierung, in die die CDU Experten entsende. «Ich glaube, dass es hier noch gewisse Flexibilitäten gibt», sagte Brodocz.

Bei der Landtagswahl im Herbst vergangenen Jahres hatte keines der politisch denkbaren Bündnisse eine Mehrheit erhalten. Ein Parteitagsbeschluss der Bundes-CDU verbietet den Thüringer Christdemokraten Koalitionen mit der AfD oder der Linken. Bislang zeichnet sich nicht ab, dass dieser Beschluss aufgehoben werden könnte.

Brodocz sieht aber die Möglichkeit, dass sich die Thüringer CDU auf Landesebene per Landesparteitagsbeschluss für neue Formen der Zusammenarbeit mit den Linken öffnet. «Man wird sicherlich versuchen, die Bundesspitze zu drängen, dass man dafür einen gewissen Freiraum bekommt», sagte Brodocz. Er könne sich vorstellen, dass sich die CDU vor der nächsten Wahl die nötigen Freiräume schaffe, die dann am Wahlabend möglicherweise gebraucht werden.

Linke, SPD, Grüne und CDU peilen die nächste Landtagswahl für April 2021 an. Voraussetzung dafür aber ist, dass die vier noch in diesem Jahr einen Haushalt und anschließend die Auflösung des Parlaments beschließen. dpa

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