Suhl Die geteilte Corona-Republik

Der Streit um länderspezifische Corona-Regeln hat einen klaren Grund: Deutschland ist in Sachen Infektionslage geteilt.

 
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Suhl - Bayern und Baden-Württemberg ganz oben, Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern als Schlusslichter: Das ist das typische Tabellen-Bild, wann immer es um den Vergleich von Wohlstandsdaten in Deutschland gibt. Erstaunlich ähnlich sieht der Ländervergleich bei der Corona-Statistik aus - nur dass in diesem Fall die Rollen bei Freude und Leid vertauscht sind.

In Bayern nahm die Corona-Pandemie in Deutschland ihren Ausgang, und gemeinsam mit Baden-Württemberg haben die südlichen Nachbarn am meisten mit der Gefahr zu kämpfen. Mit mehr als 400 Fällen pro 100 000 Einwohner liegt die Infektionsrate zweieinhalb mal so hoch wie in Thüringen und beträgt mehr als das Sechsfache der Rate in Mecklenburg-Vorpommern. Auch die relative Anzahl der Todesfälle liegt in den beiden Süd-Ländern am höchsten, hier sind die Unterschiede zu den weniger betroffenen Ländern sogar noch größer.

Während sich das Virus in Bayern zuletzt etwas langsamer ausbreitete, ist die Dynamik in Baden-Württemberg besonders hoch. Weit überdurchschnittlich viele Neuinfektionen gab es in vorige Woche auch in Nordrhein-Westfalen, Berlin, Rheinland-Pfalz und Hamburg.

Besonders krass treten die Unterschiede im Infektionsgeschehen bei der Zahl der aktiven Fälle hervor, also bei den bundesweit knapp 17 000 Covid-19-Patienten, die weder gestorben sind noch als genesen gelten. Zwei Drittel dieser als potenziell und aktuell infektiös geltenden Menschen wohnen in den großen West-Bundesländern, also in Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Niedersachsen. Demgegenüber wirken Zahlen wie die für Thüringen (99) geradezu geringfügig, und die noch viel niedrigeren Werte in Mecklenburg-Vorpommern lassen den Schluss zu, dass das Virus im äußersten Norden wenig Chancen hat. Dazu passt, dass Schleswig-Holstein das einzige West-Bundesland in der ansonsten rein ostdeutschen Gruppe auf den letzten Plätzen der Infektions-Rangliste ist.

Auch Sachsen-Anhalt und Sachsen haben weit unterdurchschnittlich viele aktive Fälle. Neben Thüringens Bodo Ramelow gehören denn auch Reiner Haseloff (Sachsen-Anhalt), Michael Kretschmer (Sachsen) und Daniel Günther (Schleswig-Holstein) zu den Ministerpräsidenten, die für eine weichere Linie bei den Corona-Regeln eintreten. Allen Ländern im unteren Drittel der Infektionsstatistik ist gemeinsam, dass sie nicht nur in der Summe seit Beginn der Pandemie, sondern auch aktuell niedrige Zahlen vorweisen. Es scheint sich also nicht um eine Momentaufnahme, sondern um eine verfestigte Situation zu handeln. An Thüringen geht der seit zwei Wochen bundesweit registrierte Wieder-Anstieg weit gehend bei; mit nur drei Neuansteckungen pro 100 000 Einwohner in einer Woche liegt der Freistaat weit unter dem bundesdeutschen Durchschnitt von derzeit zehn.

Belastbare Analysen zu den genauen Gründen des Süd-Nord- und West-Ost-Gefälles gibt es nur wenige. So gehen laut Robert-Koch-Institut (RKI) derzeit rund 40 Prozent der neuen Fälle auf Infektionen im Ausland zurück, also auf Reiserückkehrer. Besonders viele Infizierte waren in den Balkanländern, etwa in Bosnien, Kroatien, Bulgarien, in der Türkei oder im Kosovo. Es handelt sich offenbar vor allem um Reisende auf Heimatbesuch, die sich vor Ort angesteckt haben. In den besonders betroffenen deutschen Bundesländern leben überdurchschnittlich viele Menschen mit Wurzeln in Südosteuropa oder der Türkei. Auch die Altersstruktur ist eine Ursache. Es infizieren sich vermehrt Jüngere zwischen 15 und 34 Jahren, also eine Gruppe, die im Osten schwächer vertreten ist. Dieses Alter wiederum ist typisch für Partytouristen, die es bekanntlich in den zurückliegenden Ferienwochen nicht immer so genau mit den Corona-regeln nahmen. Feiernde Gruppen und dicht zusammen lebende Familien gelten als typische Einfallstore für das Corona-Virus.

Im Inland bieten zudem Großstädte wesentlich mehr Angriffspunkte für das Virus als der ländliche Raum, der im Osten dominiert. Dort kommen enge Situationen wie in vollen Bussen, Bahnen und Geschäften selten vor, und das Abstandsgebot ist generell im Alltag mangels Gelegenheit leichter einzuhalten.

Wie stets gilt auch bei diesem Aspekt der Statistik: Registriert wird nur, wer positiv getestet ist. Die tatsächliche Zahl der Corona-Infizierten liegt höher. er

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