Thüringer helfen Leseraktion: Mehr Solidarität gab es nie

Blick nach vorne: Christoph Rehberg und seine Tochter. Archivfoto Quelle: Unbekannt

Rund 2,1 Millionen Euro hat "Freies Wort hilft" seit seiner Gründung Ende 1998 gesammelt und an Menschen gegeben, die unverschuldet in Not geraten sind. Doch noch nie war die Leser-Solidarität mit einer Familie größer als im Fall des Geisterfahrer-Opfers der A 73.

 
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Im April berichtete diese Zeitung über die erste Begegnung von "Freies Wort hilft" mit Christoph Rehberg. Dem 35-jährigen Vater dreier Kinder aus Waffenrod bei Eisfeld begann da erst die fürchterliche Zäsur im Leben der Familie klar zu werden - Tage nach der verheerenden Nachricht über den Unfalltod seiner Ehefrau Verena am 28. März .

Die größten Aktionen in 21 Jahren "Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander"

Rund 2,1 Millionen Euro hat "Freies Wort hilft" seit seiner Gründung Ende 1998 gesammelt und an Menschen gegeben, die unverschuldet in Not geraten sind. Dahinter stehen hunderte Maßnahmen, die bei Schicksalsschlägen, Bränden, Krankheiten halfen. Die fünf größten:

Flut Erlln (2002) 520.942 Euro

Das kleine sächsische Dorf nahe Grimma wurde über Nacht von den Fluten der Mulde regelrecht überrollt. Suhler THW-Leute befreiten die kaputten Häuser und Wege von den Schlammmassen, die Zeitung kam vor Ort, berichtete und löste eine unglaubliche Welle der Solidarität aus. Mit mehr als einer halben Million Euro ist die Spendenaktion bis heute unerreicht. An 37 Familien konnten Zuschüsse für den Wiederaufbau ausgereicht werden. In Erlln wird man Südthüringen nie mehr vergessen.

Flut Südwestthüringen/Ostthüringen/Westsachsen (2013) 252.575 Euro

Dieses zweite große Hochwasser mit Sintflut-Regen traf vor allem die Region um Gera, aber auch Teile Südthüringens, etwa Schmalkalden. Eine Viertelmillion Euro kamen zusammen, die rund 40 Familien aus dem Gröbsten heraushalfen.

Erdbeben Haiti (2010) 138.681 Euro

Ein apokalyptisches Beben zerstörte weite Teile des bitterarmen Karibik-Landes, auch die Schule im Dorf Palmiste-à-Vin. Die Zeitung sammelte gemeinsam mit dem Ilm-Kreis, flog hin, berichtete: Ein neuer Schulbau und eine sichere Trinkwasserversorgung sind das dauerhafte Ergebnis.

Tsunami Sri Lanka (2005) 124.000

Die Monsterwelle, die an Weihnachten halb Südostasien flutete, zerstörte auch Seenigama im Südwesten Sri Lankas. Dank der Leser-Spenden und der persönlichen Vor-Ort-Hilfe der Zeitung steht in dem Ort nun eine hochwassersichere Siedlung mit 40 neuen und 20 reparierten Häusern.

Familie Rehberg, Waffenrod 93.250

"Meine vier, haltet immer zusammen!" Ein Vermächtnis, das Ersthelfer des Geisterfahrer-Crashs auf der A 73 überbrachten. Die erlebten mit, wie das Leben aus der jungen Frau wich, auf die man zur Feierabendzeit daheim gewartet hatte. Kurz zuvor hatte ein Falschfahrer mit seinem Audi den Familien-Pkw zertrümmert, in dem sich Verena aus Suhl kommend auf den Feierabend freute.

Der ersten auf beiden Seiten noch unsicheren Begegnung mit der Hinterbliebenen-Familie und der Frage, wie und wo das Zeitungshilfswerk am schnellsten helfen könne, folgten viele vertrauensvolle Begegnungen. Und Spendenaufrufe, die letztlich mit insgesamt 93 250 Euro das in den 21 Jahren des Hilfswerks höchste Einzel-Spendenergebnis erbrachten.

Dazu kamen geldwerte Sachunterstützungen, so durch ein Heizungsbauunternehmen, schneller Ersatz für den zerfetzten Familienkombi, ein gesponserter Ferienaufenthalt für die beiden jüngeren Geschwisterkinder Anna und Florian und so weiter. Die Anteilnahme und Lesersolidarität auch jenseits der vielen Geldüberweisungen war enorm.

Und beispielhaft für das satzungsgemäße Hilfevereins-Wirken: Für unschuldig in Not geratene Menschen. Zumal das zögerliche Agieren des Haftpflichtversicherers des eindeutigen Unfallverursachers zusätzlich an den Kräften der Familie zehrte. Kräfte, die in den Folgemonaten dem Vater rar zu werden schienen. Dann, wenn er wieder und wieder mit seinem juristischen Beistand um sein gutes Recht zu kämpfen hatte, die Gegenseite aber blockierte.

Zeiten, in denen die drei Kinder nur schwer verstanden, warum die Tötung ihrer Mama lange so derart konsequenzlos blieb. Dazu stapelweise Bürokratie-Abläufe auf dem Küchentisch des Hauses; eines alten, großen Hauses. An dessen Sanierung hatte sich das Ehepaar einst - mit viel Mut - nur wagen können, weil Vater und Mutter als Schichtarbeiter ihr solides, wenn auch nicht üppiges Einkommen hatten.

Bis zu jenem 28. März, nach dem für die Familie nichts mehr war wie zuvor. Auch wenn sie die Kraft der Südthüringer Solidarität von Woche zu Woche mehr zu spüren bekam. Die freilich Schmerz, Trauer und den Nimmer-Wiedersehens-Verlust der Mama und Ehefrau nach der großen Bestattungsfeier in der Eisfelder Kirche nicht zu nehmen vermochte. Die aber die existenziellen finanziellen Sorgen minderten, die nach dem tragischen Unfalltod auf die Hinterbliebenen zukamen.

Immer wenn abendliche Ruhe im Hause Rehberg einzieht, merkt Familienvater Christoph, wie die doppelt hohe Last des Tages allmählich von ihm abfällt. Wie die Trauer aufsteigt.

Mit drei Kindern allein in einem alles fordernden Alltag, zu dem seit September auch gehört, den Großen zu seiner Berufsausbildung bei Coburg zu fahren. Christoph spürt dann wieder, wie viele ähnlicher Aufgaben in Händen seiner berufstätigen Verena lagen. Und dann nimmt er wieder und wieder die wenigen Fotos aus glücklichen Zeiten mit ihr und den Kindern zur Hand.

Dann kämpft er gegen den Gedanken an, dass Stress und Aufgabenfülle als Vater "und Mutter" die immer wieder aufsteigende Trauer ein wenig im Zaum hält und übertüncht. uhu

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