Thüringer helfen Das unfassbare Glück nach dem Unglück

Klaus-Ulrich Hubert
Drei Monate nach dem tragischen Tod der Familienmutter: Die Rehbergs aus Waffenrod stehen zusammen und können auch wieder ein wenig lächeln: Vater Christoph und die Kinder Dennis, Anna und Florian (von links). Foto: uhu

Glück hat viele Facetten. Auch für die Hinterbliebenen der beim A73-Geisterfahrer-Unfall Ende März getöteten Verena Rehberg. Drei Monate nach dem entsetzlichen Unglück gibt den Rehbergs die Mitmenschlichkeit Kraft.

 
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An diesem Freitagabend in diesem heißen Frühsommer lässt die brütende Tageshitze nur langsam nach. Auch hier in Waffenrod, hoch über Eisfeld. Anna, 9, die jüngste Tochter der Rehbergs, sie kuschelt sich an einem schattigen Plätzchen unter Sträuchern mit dem Kopf unter Papas angewinkeltem Ellenbogen hindurch. So, als ob sie ihm helfen möchte.

Ihm, Christoph Rehberg. Ihm, der Witwer ist seit dem furchtbaren Tag, an dem seine Verena von einem Geisterfahrer getötet wurde. Nun findet er seinerseits trefflichere Worte als nur das schnell dahin gesagte "Dankeschön!" - für die fast drei Monate anhaltende Leser-Solidarität und knapp 100 000 Euro an Spendenaufkommen zugunsten seiner schlimm betroffenen Familie.

"Unsere Herzen sind so sehr, wirklich so sehr, übervoll mit Dankbarkeit. Es ist aber nicht so einfach, das angemessen auszudrücken", sagt der Vater; streichelt dabei über Annas strohblonden Haarschopf.

"Fast daran zerbrochen"

Sie und ihre Brüder Florian (12) sowie Dennis (15) haben lange gebraucht, das Trauma und das Entsetzen über den Tod ihrer erst 36-jährigen Mama begreifen und kindgemäß hinnehmen zu können. Das ist selbst dann noch nicht zu übersehen, wenn sie an diesem Abend in der Abendsonne über ihrem Dorf auch wieder mal fröhlich lachen.

"Papa war aber bald jedes Lachen verloren gegangen", sagt Dennis, der Große. Der Teenager strahlt so etwas wie jugendliche Coolness plus Früherwachsensein aus. Soeben hat er seine schriftlichen Schulabschluss-Prüfungen geschafft, und nun wird er nach den Ferien ganz in der Nähe seine Ausbildung zum Industriekaufmann starten.

Doch manchmal zweifelt der Junge ebenso wie sein Vater als auch dessen Suhler Anwalt schon arg an der Mitmenschlichkeit und Korrektheit mancher Menschen und Firmen. "Heute sind unsere Bemühungen um einen ersten Gesprächstermin bei der Versicherung des Todesfahrers wieder mal geplatzt",sagt Christoph Rehberg. "Es geht um die Haftungsfragen. Die laufen immer noch ins Leere. Und dabei: Wie lange ist der Unfall jetzt her?" Unterdessen wird bei den Rehbergs der Stapel mit behördlichen Anträgen und viel zäh verlaufendem Klärungsbedarf beispielsweise in Sachen Halbwaisenrente und Familienversicherung nach wie vor höher.

Christoph gesteht: "Angehörige und Freunde erzählen mir, dass sie erleben, dass es angesichts der vielen Spenden auch Angiftungen und Neider gibt. Solche Hinweise sind gut gemeint - aber sie ziehen mich um so tiefer runter. Auch in Richtung "Freies Wort hilft" gibt es solche, die fragen: Wozu unser Spendengeld? Finanzielle Hilfe sei "schließlich pure Versicherungssache", so sagen diese Leute. Das ganze leider auch bis hin zu "örtlichen Observationen, die’s wohl überall auf‘m Dorfe gibt. Setze ich mich beispielsweise mal mit dem Nachbarn auf ein Bierchen hin, ist man schon Alki oder Kindes-Vernachlässiger. Wohlbemerkt, nachdem ich mit den Kids Abendbrot gemacht und verdrückt habe, ihnen vor dem Schlafengehen ein Stündchen Fernsehen erlaubt habe."

Anna hört zu. Die Neunjährige ist ihrer Mama Verena wie aus dem Gesicht geschnitten. In diesem Augenblick kann selbst die Kleine so richtig schön über das "Vernachlässiger"-Wort ihres Vaters lachen, während ihre Brüder in Rufweite "Männerangelegenheiten bereden".

Die Anwürfe, das Gerede, das Alles wisse er inzwischen einzuordnen - wenn auch mit dem nicht versiegenden, unauslöschlichen Schmerzgefühl, sagt Christoph Rehberg. Anders als in der ersten Woche nach der irrwitzigen Todesfahrt, die seine Frau Verena unverschuldet auf ihrer Feierabend-Heimfahrt aus Zella-Mehlis in den Tod gerissen hatte.

"Daran wäre ich in der ersten Woche nach dem Unfall nämlich doch fast zerbrochen. Ich hatte es damals nur nicht so hart preisgeben wollen. Und wegen unserer Kinder auch nicht können."

Das Begreifen des Unbegreiflichen, der Schmerz, die Trauer bleiben noch lange in der jungen Familie gegenwärtig. "Und dabei muss ich trotzdem für meine Kinder aufrecht und voller Gesamtüberblick da stehen, wie der Fels in der Brandung, dem das alles nicht wirklich was anhaben kann. Das sagt man doch so, oder?"

Christoph fingert sich eine Zigarette aus der Packung: "Jetzt kann ich es ihnen ja sagen: Dieses Unfall-Video, das im Internet kursierte, hat mich eben doch unglaublich aufgewühlt. Autoinsassen, die ihr Handy einfach drauf gehalten hatten auf der Gegenfahrbahn zur Richtung meiner Verena. Diese Sensations-Filmer dürften gleich darauf die Trümmerteile unseres Autos über sich fliegen gehabt haben. Und dann haben sie trotzdem ganz rasch ihr Umfeld mit ihren Horrorbildern versorgt ...

Gesprächspause. Schweigen. Dann mehrere, stumme und tiefe Züge Christophs an seiner Zigarette.

Mal die Frage "an Sie als Journalisten, ob denn das MDR-Fernsehen unser lesbares Auto-Nummernschild am Unfallort hätte zeigen dürfen?" Sicher nicht. "Gemacht haben die es aber. Doch keiner will dort heute noch die entsprechende Filmsequenz auffinden können."

Nur noch Erinnerungen

So habe Christoph durch Fernsehen und Internet sowie erst dann durch Polizei und Notfallseelsorge erfahren, dass "meine Kids und ich künftig ohne unsere Verena allein weiter leben müssen. Nur noch mit Erinnerungen einschließlich der auf schönen Urlaubsfotos.

"Apropos; meine drei hier, die wünschen sich so sehr, dass sie mal alles hier zwei Wochen lang ganz weiter hinter sich lassen könnten. Ähnlich wie die kürzlich erfolgte dankenswerte Einladung von Florian und Anna zu einer Sorglos-Ferienwoche ins Suhler Feriendorf Waldfrieden auf dem Friedberg."

Beim Anbrennen der nächsten Zigarette kommt Christophs schwaches Lächeln dann aber doch teilweise zurück. Dann nämlich, als er, abgesehen von der Freude über den immer noch unfassbaren Supererfolg der Spendenaktion, "so was wie meine positive Habenbilanz" aufzählt - und dabei nicht mit den Fingern einer Hand auskommt.

Es baue ihn sehr auf, dass sein Arbeitgeber im Konzern von DSD (Duales System Deutschland) überaus großzügig agiert. Auch, dass der "oberste Chef aus Köln" am Telefon mit mir nicht nur eine 10 000 Euro-Unternehmensspende zusagte. Besonders aber, dass überall Aushänge des Gesamtbetriebsrates zu weiterer Kollegen-Solidarität aufrufen. Ganz toll; riesig so etwas. Dank für all das!"

Der gelte auch den "Eltern und anderen Angehörigen, die gern und oft zur Hilfe in unserem Alltag von Eisfeld hoch gebrummt kommen."

Verenas Eltern wohnen in Meiningen. Waffenrod ist zu weit weg für die alten Herrschaften, die nicht nur vom Kummer um ihre Tochter krank sind. "Sie hatten sich als Zugezogene für ihr Kind und dessen Familie so sehr eine schöne, sichere Zukunft hier bei uns in Südthüringen erhofft, sagt Christoph. "Die tun mir so unendlich leid!"

Sagenhaft mitmenschlich

Als Christoph im Freien, hoch über dem Dorf am Parkplatz neben der "Waldbaude" mit ihrer wundervollen Fernsicht die "letzte Aufregungs-Zigarette", wie er sie nennt, anzündet und diesbezüglich Besserung gelobt, holt er bei der Aufzählung einiger wichtiger Habenpositionen weiter aus.

Dass die Heizungsbaufirma Malter aus Neustadt bei Coburg "schon mehrfach, auch mit Zollstock und ihren Plänen, hier war", das nicht zu fassen!" Ebenso, dass nun alle reduzierten Preise für den neuen, modernen Brennwert-Ölkessel festgeschrieben sind. Die Rabatte addieren sich indirekt zur Spendensumme an "Freies Wort hilft" , die inzwischen auf beeindruckende 91 650 Euro angewachsen ist.

"Und zu alledem die sagenhaft mitmenschliche Leistung, dass Ende Juli die Mitarbeiter des Heizungsbauers alles sozusagen als Subotnik, also ohne Anrechnung von Lohnkosten, installieren werden: Ich fasse es ebenfalls echt nicht!"

Und die Haftpflichtversicherung des Geisterfahrers? "Wann die sich denn bei mir und den Kindern mal melden wird? Nicht vor nächstem Jahr", kalkuliert Christoph Rehberg aus bitterer Erfahrung. "Aber es passieren ja manchmal vielleicht auch noch Wunder und Zeichen", sagt der 35-jährige Witwer süßsauer.

Dann zupft er ("aber nun echt meine letzte hier!") noch die verbliebene Zigarette aus der Packung. Hochkant, am Filter zwischen Daumen und Zeigefinger drehend :

"Sie werden es mir sicher kaum glauben: Aber ein Rechtsanwalt der Angehörigen des Unfallverursachers hat über meinen Anwalt Oskar Steiger um Kontaktaufnahme zu meiner Familie gebeten. Der Todesfahrer ist ja inzwischen auch verstorben."

Christoph startet das neue - aus Leserspenden finanzierte - Familienauto. "Na endlich, Papa, wir wollen noch Abendbrot zusammen machen!", rufen die jüngeren Geschwister Lena und Florian, als sie sehen, dass es Richtung Zuhause geht. "Auch das werden Sie vielleicht kaum verstehen, wenn ich das so formuliere", sagt der 35-Jährige nachdenklich. "Aber die Angehörigen des Todesfahrers können einem auch so richtig leidtun in ihrer Lage."

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