Thüringer helfen "Liebevoll und mitfühlend auffangen"

Sie sind da, wenn Menschen das äußerste an Schmerz und Leid erfahren: Notfallseelsorger.

 
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In Thüringen gibt es 19 Kriseninterventions-Teams (KIT), die unter verschiedensten Trägerschaften wie Kirchen, Rotem Kreuz, Johannitern, Landkreisen und Vereinen aktiv sind.

Deren zumeist ehrenamtliche Notfallseelsorger müssen nicht nur rund um die Uhr bereit sein, Todesnachrichten an Hinterbliebene zu überbringen - nach Unfällen, Tötungsverbrechen oder Suiziden. Es sind Menschen aus unserer Mitte, die Mitbürger in ihren schlimmsten Momenten und den ersten Stunden danach liebevoll mitfühlend auffangen, wenn die Polizei oder Notärzte oder Bestatter längst weiter mussten.

So wie Anja Bartenstein. Die Frau aus Hellingen (Kreis Hildburghausen), gehörte - neben Polizei und Rettern - zu den Helfern, die am 28. März zu jenem tödlich-tragischen Geisterfahrer-Unfall auf der A 73 bei Schleusingen gerufen wurden, der die Südthüringer so sehr bewegt hat.

Ein Gespräch nach diesem Einsatz, zu dem sie die Hinterbliebenen des Unfallopfers ausdrücklich von ihrer strengen Schweigepflicht entbunden hatten. Wir sprachen mit Anja Bartenstein kurz nach ihrem erfolgreich beendeten Kurs "Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen".

Frau Bartenstein, jeder, der Sie kennt, wundert sich: Ausgerechnet Anja, eine die immer so viel lacht, in solch einem doch recht ernsten Ehrenamt?

Stimmt, aber meine Erfahrung zeigt: Wer andere Menschen in den ersten schwersten Stunden nach Schicksalsschlägen wieder aufrichten soll, muss selbst was zum Zusetzen und eine grundpositive Einstellung haben. Dazu eine gewisse Demut sowie Freude darüber, dass doch jeder Tag ohne schlechte Nachrichten ein ganz wunderschöner Tag ist.

Als ich vor Jahren einige Schicksalsschläge, auch dank meiner Kinder im Rückhalt, überstanden hatte, sagte ich mir: Anja, es gibt Menschen, denen geht es ja doch noch viel schlechter als dir. Auf dem Feld gibt es viel, viel zu tun. So wie es beispielsweise Ihr Hilfswerk zusammen mit den Leserinnen und Lesern der Heimatzeitung seit dem Tod der jungen Mama auf der A 73 tut. Mit solch einem tollen Erfolg. Wie sagte Erich Kästner mal: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es!"

Erinnern Sie sich noch, wie Sie zu dem Ehrenamt bei der Notfallseelsorge kamen, für das die Leute bekanntlich nicht Schlange stehen? Eines, das neben den freiwilligen Feuerwehrleuten und vielen Hospizhelfern zu jenen gehört, bei denen man psychisch und physisch viel zuzusetzen haben muss?

Seit meiner Jugend bin ich bei der Feuerwehr Hellingen, hier im Heldburger Unterland. Vor vier Jahren dann der nächste Schritt hin zum Notfallseelsorge-KIT des Kreises Hildburghausen. Nicht erst nach dem tragischen Tod der 36-jährigen Verena aus Waffenrod liegen beide Ehrenamtsbereiche oft dicht bei dicht.

Die einen schneiden schwer Verletzte, vor Schmerz schreiende Menschen aus ihren Autowracks. Oder Tote. Andere finden bei Bränden manchmal nur noch verkohlte Leichen. Wieder andere, wie wir von den Kriseninterventions-Teams, müssen fähig sein, uns der Einsatzkräfte und Hinterbliebenen nach solchen schlimmen Ereignissen anzunehmen. Nachsorgebetreuung nennen wir das.

Wobei es so ist: Feuerwehrleute geben kaum so schnell zu, dass sie sie nicht aus dem Kopf kriegen: Diese grauenvollen Bilder von Toten und Verletzten bei Einsätzen, wie eben auch am 28. März an der Schleusetalbrücke. Und genau für diese Einsatzkräfte möchte ich eben auch da sein.

Was in den USA als CISM ("Stressbearbeitung nach belastenden Ereignissen") vorangebracht wurde, hat hierzulande viele Facetten, die deutschen Abkürzungen lauten SBE oder PSNV. Stress und Belastung habe ich ja auch beim Platten am fahrenden Auto oder wenn ich meine Kreditkarte verliere. Was, bitteschön, ist in all dem Kürzelwahn dann noch "PSNV"?

Das ist sozusagen der Oberbegriff für alles, was zur "Psychosozialen Notfallversorgung" gehört. Eben auch die Betreuung der Einsatzkräfte. Amtlich steht PSNV für die Gesamtheit aller Aktionen, um Einsatzkräften und betroffenen Menschen - also Patienten, Angehörigen, Hinterbliebenen, Augenzeugen und Ersthelfern - bei psychosozialer Be- und Verarbeitung von Notfällen zu helfen.

Werden Sie wie viele Feuerwehrleute über Funkmeldeempfänger, also diese kleinen, zu jeder Tages- und Nachtzeit griffbereit liegenden Piepser, alarmiert?

Zuerst das, dann rufe ich in der Leitstelle an und frage nach dem Wo, Wie, Was … Beispielsweise waren meine zwei Kollegen an dem verhängnisvollen 28. März beim Unfallgeschehen von der Leitstelle Suhl gerufen worden, wie Ihre Zeitung ja bereits im ersten Artikel nach dem Unfall erwähnt hatte. Ich wurde dann von ihnen nachgeordert, um zusammen mit der Polizei die Todesnachricht in Waffenrod zu überbringen. Und um die Familie dort in den ersten schweren Stunden danach zu betreuen. Wir haben auch eine Art Feinabstimmung unter uns Mitstreitern in unserem Hildburghäuser KIT-Team.

Dann kommt unser schwerer Part der Ersten Hilfe für die Seelen der Betroffenen. Egal, ob die gläubig sind. Und wenn ja: Wie sie das sind, welcher Kirche sie vielleicht angehören. Wir helfen allen, holen sie dort ab, wo sie gleich in ihrem Schmerz zu versinken drohen. Religion spielt hier erst mal keine Rolle. Oder eben die Rolle, die jeder Mensch ihr ganz persönlich zuordnet.

Erlebtes nimmt man dann immer mit nach Hause oder Schalter rum und vorbei?

Auf der Heimfahrt lasse ich alles noch mal Revue passieren. Ich schreibe anschließend meinen Einsatzbericht und somit ist zu 90 Prozent der Einsatz für mich verarbeitet. Die restlichen Prozente bringt es,. eine Nacht drüber zu schlafen oder sich auch selbst was Gutes tun. Bei mir ist es ein langer Spaziergang oder die Gartenarbeit. Ohne auch auf sich zu achten und Einfühlungsvermögen für andere geht’s in unserem Ehrenamt nicht!

Nebensache oder nicht: Dann kommen Sie heim, reden noch mit jemand unter Beachtung ihrer Verschwiegenheitspflicht, schreiben ihren Einsatzbericht und Kilometerabrechnungen? Von Ihrem Dorf bis Waffenrod und zurück sind es ja über 80 Kilometer ...

Das Erstgesagte läuft in etwa so ab. Doch da es sich um rein ehrenamtliche Tätigkeit handelt, tragen wir die Fahrtkosten für Einsätze und sogar zu Weiterbildungen alle selbst, aus eigener Tasche

... was ich aber aus meiner Erfahrung bei genau der gleichen Ehrenamtstätigkeit im Ilm-Kreis anders kannte. Man ist doch im öffentlichen Fürsorgeauftrag unterwegs. Feuerwehren oder Bergwachten gießen doch auch nicht selbst mitgebrachtes Benzin in die Tanks ihrer Einsatzautos!

Nein, aber versichert sind wir über die evangelische Kirche Hildburghausen, falls im Einsatz etwas passieren sollte.

Interview: Klaus Ulrich Hubert

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