Waffenrod "Meine vier, haltet immer zusammen!"

Klaus-Ulrich Hubert
Ein 67-jähriger Falschfahrer auf der A 73 bei Schleusingen nahm der Familie die Mutter: Christoph Rehberg mit einem Foto, auf dem Verena und die gemeinsamen Sprösslinge Florian und Anna zu sehen sind. Samt Sohn Dennis sind es nun drei Schulkinder, um die sich der 35-jährige Witwer im heimischen Haus in Waffenrod bei Eisfeld kümmern muss. Foto: uhu

Eine junge Südthüringerin starb am 28. März durch einen Falschfahrer auf der A 73 bei Schleusingen. Verena Rehberg wurde nur 36. Unsere Zeitung startet eine dringend notwendige Spendenaktion für die Hinterbliebenen: Drei Kinder und Ehemann Christoph.

 
Schließen

Diesen Artikel teilen

Waffenrod - Immer kräftiger bemächtigen sich an jenem verhängnisvollen Donnerstag, daheim in Waffenrod bei Eisfeld, tiefe Sorgen der Kinder und deren Vater.

Schatten über der Unbeschwertheit wachsen bald zu bösen Vorahnungen, dann zur höllischen Gewissheit: "Papa, das hier auf dem Abschleppwagen ist doch unser Auto. Mit dem wollte Mama längst wieder zu Hause sein", sagt ein entsetzter Dennis an jenem 28. März und blickt auf den Bildschirm. Der Große unter den drei Geschwistern hatte gerade im Internet nach Staus oder Unfällen der Region recherchiert.

Dies alles nur wenige Stunden, nachdem sein Vater die Mutter telefonisch gefragt hatte: "Was müsste ich heute heimwärts einkaufen?"

Christoph ist Vierschicht-Anlagenfahrer bei einer Eisfelder Kunststoff-Recycling-Firma. "Sie war doch immer pünktlich hier. Und nun - nicht mal per Handy erreichbar?"

Jetzt, zehn Tage später, bemüht sich Christoph im Gespräch mit dieser Zeitung um Gefasstheit, als er sich an diesen letzten März-Donnerstag erinnert: "Nach unserem morgendlichen Abschied so gegen 5 Uhr das Übliche: Gegenseitige Wünsche für einen angenehmen Arbeitstag und gute Fahrt. ,Also, wir telefonieren dann noch!‘"

Verena bringt die Söhne Dennis (15) und Florian (12) sowie Tochter Anna (9) zum Schulbus, fährt dann zur Arbeit nach Zella-Mehlis. Alles wie immer. Für das kommende Wochenende hat man sich nichts Besonderes vorgenommen. Der Wetterbericht kündigt Sonne an.

Die Rehbergs sind sparsam. Sie müssen es sein, um jeden verfügbaren Euro in den Baumarkt und von dort Material zur Baustelle daheim zu tragen. Auch die Tilgung ihres - wenn auch sehr übersichtlichen - Baudarlehens sowie die letzten Raten für den Familien-Opel sind zu zahlen. Beide sind in Lohn und Brot - kein Problem also.

Da passt es, dass "Mama Verena am Wochenende Sonderschichten in ihrem Betrieb fuhr, ich Frühschicht machen konnte", sagt Christoph und versucht dabei ein süß-saures Lächeln. Das aber hilflos wirkt.

Die damals erlebten Stunden zwischen Himmel und Hölle, zwischen Hoffen und Gewissheit versucht er, auf Distanz zu halten.

"Wir hatten uns früh wie immer alle auf den Weg gemacht. Aber als es 17 Uhr wurde, wuchsen unsere Sorgen, warum Verena noch nicht da war. Immer wieder der Blick aus dem Fenster auf die Straße, von der eigentlich jeden Moment Verena mit unserer blauen Familienkutsche ankommen müsste." Aber zunehmend vergiften Vorahnungen den letzten Optimismus der Art "Wird schon alles seinen Grund haben".

Als er die Bilder von dem Autowrack auf den Online-Nachrichtenseiten sieht, die so sehr an Verenas Wagen erinnern, hält es Christoph nicht mehr in quälender Ungewissheit aus. "Ich also mit meiner alten Kiste zur vermuteten Unfallstelle. Da war ja auch noch diese verwirrende Verkehrsfunkmeldung: ‚Falschfahrer auf der A 73 zwischen Suhl und Coburg!‘ Kurz darauf Entwarnung, der Geisterfahrer habe die Autobahn wieder verlassen, Gefahr vorbei.

Nur wer nicht das Schlachtfeld bei Schleusingen mit den Autowracks vor Augen hatte, konnte sich über die Meldung freuen.

Dazu gehören aber weder die Unfallzeugen, Ersthelfer, Feuerwehrleute, Notfallmediziner und Sanitäter, noch Notfallseelsorger wie Pfarrer Markus Heckert und Uwe Harnisch. Beide betreuen auf der Schleusetal-Brücke Betroffene und Einsatzkräfte.

Christoph weiß heute: "So hart gesotten die Retter sich auch geben, es hat sie zusätzlich schwer getroffen, als ich ihnen später bestätigen muss: Euer Einsatz war so riesig. Aber es reichte letztlich für die Frau doch nicht mehr. Der Tod war schneller."

Mittlerweile ist es 18.30 Uhr an diesem tragischen 28. März . Die Polizei in Hildburghausen bittet Christoph telefonisch, sich unverzüglich an seinem Wohnort einzufinden.

"Zwei Beamte und die Notfallseelsorgerin Anja Bartenstein sowie Pfarrer Heckert erwarteten mich bereits. Dann haben sie mir offiziell die Todesnachricht überbracht. Unser Hoffen war zu Ende."

Der Witwer ist gefasst

Christoph Rehberg und die drei Kinder der getöteten jungen Mutter brauchen nun alle Kraft, die sie auch aus ihrem Glauben als evangelische Christen schöpfen. "Dort, auf der Couch haben wir alle zusammen gesessen und für unsere Verena gebetet", sagt Christoph. Dabei nimmt er ein Familienfoto aus guten Zeiten von der Wand, streicht liebevoll darüber. "Hier: So klein war er damals, unser Dennis, den Verena mit in unsere Ehe gebracht hatte. Und Florian, ein pausbäckiges Baby. Anna war da noch nicht geboren."

Während des Gesprächs mit der Heimatzeitung wirkt Christoph sehr gefasst. Erst, als er sich an diesen einen Moment erinnert, füllen sich seine Augen ungebremst mit Tränen: Während der Rettungsbemühungen hatte sich Notfallseelsorger Markus Heckert nämlich auch einem Ersthelfer gewidmet. Der hörte Verenas letzte, sehr leisen Worte, kurz bevor sie das Bewusstsein verlor und bald darauf auf der Fahrt ins Klinikum starb:

"Meine vier, die sollen bitte immer schön zusammenhalten, sich immer beistehen, auf sich aufpassen."

*

Die Tage danach. Und die Frage: Abschiednehmen im Bestattungsinstitut am offenen Sarg, um das alles zu begreifen?

"Unsere Kinder erlebten das Drama voll mit. Aber sie und ich möchten Verena, so lebendig wie wir sie kannten, in Erinnerung behalten. Bevor wir am Gründonnerstag in der Kirche in Eisfeld Abschied nehmen."

Christoph findet jetzt viele dankende Worte für die Hilfe aus seinem intakten Familienumfeld bis hin zu den Geschwistern und der Meininger Patentante seiner Kinder. "Alle standen uns zur Seite. Eltern, Schwiegereltern, Geschwister. Danke, dass ihr so geholfen habt, die Kinder und mich aufzufangen. Keiner hat uns allein gelassen, als es uns so unerwartet traf."

Und nun? Über Familienleben nur noch in Vergangenheitsform reden?

"Am Unfalltag und dem Morgen danach, da hatte ich nur den Horror vor Augen. Möchte nicht wissen, wie es die Kids ertragen", sagt Christoph. Trauerarbeit. Und hat dabei mit den Handflächen längst wieder seine Augen getrocknet.

"Aber mit den vielen Erledigungen um den Todesfall ... Also seit Freitag und bis jetzt: All mein Grübeln ist auf die Zukunft als Familie gerichtet. Damit bin ich dicht an Verenas buchstäblich letztem Wunsch."

Dennis bestätigt das mit spontanem Nicken. Der 15-Jährige rückt sein Basecap zurecht, erzählt stolz, dass er ab September im Coburger Land einen Ausbildungsplatz als Industriekaufmann hat.

Unter den hilfreichen Geistern im Umfeld auch die Meininger Patentante (47) der drei Kinder. Sie hatte "Freies Wort hilft" kurz nach der Tragödie herzlich um Unterstützung für die Familie ersucht.

Ihre Sorge dabei auch: "Auf der Habenseite des Budgets fehlt plötzlich die Hälfte. Aber die Ausgabenseite explodiert, denn die Kids brauchen ihre nachschulischen Strukturen. Sie benötigen nun ohne ihre Mama Hilfe bei Hausaufgaben, im Alltag. Und ganz sicher auch aufmerksamste Betreuung, damit sie das Trauma ihrer getöteten Mutter verarbeiten."

Denn "wer weiß, ob oder wann die Haftpflichtversicherung des Unglücksverursachers ihrer Pflicht nachkommt", sagt Gerd Braun und winkt ab. Aus Erfahrung. Der Eisfelder Ex-Bürgermeister und Freund der Familie ist als Ehrenamtlicher der Opferhilfeorganisation Weißer Ring zum wiederholten Male bei den Rehbergs.

Lange Ausgabenliste

Die Patentante trifft mit ihrer Bitte an "Freies Wort hilft" punktgenau auf Sinn, Zweck und Ziel dieses Hilfswerks der Südthüringer Tageszeitungen: Unschuldig in Not geratenen Menschen gemeinsam mit den Leserinnen und Lesern Hilfe leisten.

Die spontan gezahlte Soforthilfe von 5000 Euro war ein Anfang, für den der überraschte Witwer herzlich dankte. Allerdings ist die vom Weißen Ring und einem Suhler Rechtsanwalt grob skizzierte Liste unverschuldeter, mitmenschlicher wie finanzieller Hilfsbedürftigkeit der Familie ziemlich lang.

Begonnen beim Komplettausfall vom Einkommen Verenas und dem Ende von Christophs Vierschicht-Job - mit drei Kindern kann er das nicht mehr stemmen. Dazu der Wegfall der Wechselschicht-Zuschläge: "Fast 2000 Euro fehlen plötzlich im Monat", sagt der Witwer.

Auch die bald schon letzten Bau-Kreditraten und verbliebenen 4000 Euro Tilgung für das zerstörte Familienauto lasten nun schwer.

"Unsere monatlichen Einkünfte samt Kindergeld lagen bei rund 3500 Euro netto. Und nun? Was die Kinder nun, da ihre Mama nicht mehr ist, an Zuwendung brauchen, das kostet auch. Und selbst der weitere Sanierungsbedarf an unserem Haus und absehbare Heizungsreparaturen gehen auch ins Geld."

Christoph Rehberg und die um ihre Mutter beraubten Kinder hoffen nun, wie der Vater sagt, "dass die Haftpflichtversicherung des verletzten Unglücksverursachers oder irgendjemand aus dessen Umfeld sich bald erklären und aktiv werden".

Dagegen erscheint die kleinste aller Sorgen diese: "Wir wollen in der Nähe der Unfallstelle ein kleines Erinnerungskreuz für Verena setzen - hoffentlich dürfen wir das".

Lesen Sie hierzu auch: Tragödie auf A 73: Falschfahrt nimmt tödlichen Ausgang und Suche nach den Ursachen der tödlichen Geisterfahrt

Spenden helfen

Der Verein "Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander", das gemeinnützige Hilfswerk der drei Südthüringer Tageszeitungen, nimmt unter der Bankverbindung IBAN: DE39 8405 0000 1705 017 017 bei der Rhön-Rennsteig-Sparkasse Spenden für die Rehbergs mit dem Stichwort "Rehberg" an. Die Spenden sind steuerlich absetzbar.

Bilder