Thüringer helfen Der Tag, an dem die Welt zusammenbrach

Gabi Bertram
Der Tag, an dem die Welt zusammenbrach Quelle: Unbekannt

Die Familie ist noch immer fassungslos - aber stark. Wenn das Schicksal zuschlägt und das Leben von einer Sekunde auf die andere völlig verändert, trifft das hart, umso mehr, wenn es um ein Kind geht.

 
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Oma Petra, Tante Martina und Stiefpapa Sandro sitzen am Tisch. Daneben spendet ein Bullerofen tüchtig Wärme. Das alte Haus in Ebenhards haben Christiane und Sandro Nolle vor zwei Jahren gekauft. Seitdem bauen sie Stück für Stück aus und um. Bis zu jenem Tag - dem 17. September 2018 -, als sich ihr Leben von einer Sekunde zur anderen völlig änderte. "Es war der Tag, an dem für uns die Welt zusammenbrach", schreibt Mama Christiane. Keiner kann es bis heute so richtig fassen, und keiner hat eine Erklärung, warum ein 14-jähriger, gesunder Junge einen Schlaganfall bekommt. "Einen Tag vorher", erzählt Tante Martina, "saßen wir alle noch bei herrlichem Sonnenschein auf der Terrasse. Die Oma hatte zum Döner essen eingeladen, und Patrice stand vergnügt an der kleinen Hausbar."

Spenden für Patrice

Freies Wort hilft , das gemeinnützige Hilfswerk der drei Südthüringer Tageszeitungen, nimmt ab sofort Spenden für Patrice unter der nebenstehenden Bankverbindung an. Bitte notieren Sie dazu bei Ihrer Überweisung als Verwendungszweck "Patrice".

Der FSV 06 Eintracht Hildburghausen und der Kreissportbund Hildburghausen haben bereits 773,85 Euro für Patrice gespendet. Die Summe ist ein Teil des Erlöses des alljährlichen Hallenfußballturniers "Kicken für Kinder" in der Kreisstadt. Vom Gesamterlös der Veranstaltung flossen außerdem 600 Euro an das Kinderheim Marisfeld und 500 Euro an das Kinderhospiz Mitteldeutschland Tambach Dietharz.

Einen Tag später ist das Leben der Familie völlig anders, von einer Sekunde auf die andere.

Das war bitterer Ernst

Patrice, Schüler der Nonne-Regelschule in Hildburghausen, hatte sich im Sportunterricht nach einem 800 Meter Lauf kurz ausgeruht. Er lag mit den anderen auf der Wiese. Als seine Klassenkameraden sich wieder erhoben, konnte Patrice sein rechtes Bein und seinen rechten Arm nicht mehr bewegen. Seine Mitschüler dachten erst, es sei ein Scherz, aber als Patrice versuchte, etwas zu trinken und ihm das Wasser aus dem Mundwinkel lief, war den anderen schlagartig klar, dass das bitterer Ernst ist. Der Sportlehrer und die Mitschüler handelten blitzschnell, der Rettungswagen war schnell vor Ort. Patrice wurde in die Neurologie der Helios Fachkliniken gebracht. Als Mutter Christiane informiert wurde, lag nach der Untersuchung im Computertomographen das Ergebnis schon eindeutig vor: Linksseitiger Schlaganfall.

Martina, die in der Pflege tätig ist, hatte es sich an einem freien Tag und auf dem Balkon gemütlich gemacht. Um die Mittagszeit, erinnert sie sich an die Schreckensnachricht, habe es Sturm geklingelt. "Christiane hat nur geweint, es war ein Schock für uns alle." Abends kam noch Oma Sabine aus Sega am Kyffhäuser und kümmerte sich mit um die beiden kleinen Brüder Fabian und Edwin. "Wir saßen die ganze Zeit in der Küche. Keiner konnte ein Auge zutun", sagt Martina. Oma Petra, die zu dieser Zeit ein paar Tage Urlaub machte und tagsüber keinen Handyempfang hatte, erfuhr die schlimme Nachricht erst am Abend.

Tagelang Todesangst

In der Neurologie wurde eine Lyse gemacht. Die Spezialisten arbeiteten Hand in Hand. In Meiningen wurde mit einem Katheder versucht, das Gerinsel aufzulösen, was zum Teil gelang. Am gleichen Abend musste Patrice die linke Schädeldecke entfernt werden, später folgte ein Luftröhrenschnitt. Dazu kamen mehrere Schlaganfälle und eine Einblutung. Patrice wurde nach Jena geflogen.

Für Christiane, Sandro, die Omas, Cousinen, Tanten, die Geschwister und viele Bekannte war das eine Zeit des Horrors. Christianes Cousine Sylvia schreibt auf einer Internetseite: "Der Kampf des eigenen Kindes um Leben und Tod ist das schlimmste, was einem passieren kann. Eine Woche künstliches Koma und immer Todesangst, das ist der schlimmste Albtraum. Christiane saß Tag und Nacht an seinem Bett, und vielleicht war es das, was ihn gerettet hat."

Von Tag zu Tag wird der Junge stabiler. Seit dem 11. Oktober - am 7. Oktober wurde Patrice 15 Jahre alt - ist er in einer Reha-Klinik in Kreischa bei Dresden. Mama Christiane weilt bei ihm, Sandro kommt regelmäßig vorbei, auch Oma Sabine und Christianes Schwester Michaela geben ihm Mut und Halt.

Ein Kämpfertyp

"Wir freuen uns über jeden auch noch so kleinen Schritt, den Patrice zurück ins Leben macht", sagt Oma Petra. Ein Kämpfertyp sei er, und in allem, was er macht, auch ehrgeizig. Alle in der Familie hoffen, dass er es schafft. "Patrice ist so ein munterer, begabter und intelligenter Junge", beschreibt Oma Petra ihren Enkel und erzählt, dass er Saxophon spielt, gern Fahrrad fährt und Talent zum Malen hat. Sandro holt die von ihm gezeichneten Anime-Bilder aus Patrice‘ Zimmer. Ja, wirklich tolle Bilder. Bilder schicken ihm auch seine Freunde und Klassenkameraden, und Mutmacher-Besuch von ihnen hat er auch schon bekommen.

Sylvia lässt im Internet alle Freunde und Bekannten an jedem Stück nach vorn in Patrice Leben teilhaben. "Heute ist ein guter Tag", hat sie erst unlängst geschrieben, "wir haben erfahren, dass alle drei VRE-Tests negativ sind. Patrice hatte diesen VRE-Keim und durfte dadurch beim Essen und für Therapien sein Intensivzimmer nicht verlassen, musste mehrere Wochen fast isoliert leben."

Alles dauert seine Zeit, schreibt die Mama aus der Reha-Klinik, und die solle er auch haben. Alle Zeit der Welt, gesund zu werden. "Patrice muss alles neu lernen, sprechen, stehen, laufen, essen, trinken, schreiben. Sein rechtes Bein und sein Rechter Arm kann er noch nicht richtig bewegen. Aber das Stehen im Stehständer klappt schon super."

Die Reha-Klinik liegt dreieinhalb Autostunden vom Heimatort Ebenhards entfernt. Für Mama Christiane ist es nicht einfach, sie hat noch zwei kleine Jungs, um die sich im Moment die Familie kümmert. Alle halten zusammen, jeder hilft, wo er kann. Sylvia sagt, sie ziehe den Hut vor ihrer Cousine und vor allen Menschen, die genau das gleiche durchmachen müssen. "Der Schmerz ist kaum zu ertragen, die Sorge erdrückend, und doch funktioniert man." Ein paar Wochen wird Patrice noch in der Reha-Klinik bleiben müssen. Zu Heiligabend wird die Bescherung in die Klinik verlegt, und die ganze Familie wird da sein.

Die nächste Operation steht am 10. Januar an. Der Kopf soll mit einer Titanplatte wieder verschlossen werden. Die Familie ist guter Hoffnung. "Hauptsache, er wird wieder gesund. Er wird Zeit brauchen und sicher auch Hilfsmittel", meint Oma Petra.

Spendenaufruf

Im Haus in Ebenhards ist Baustopp. Patrice ist wichtiger. Sollte er im Rollstuhl sitzen müssen, wird eine Menge umzubauen sein. Aber nicht nur ein Treppenlift würde gebraucht, auch entsprechende sanitäre Einrichtungen. "Am besten wäre es", sagt Martina, "wenn wir das alles nicht brauchen würden. Wir wünschen uns nichts sehnlicher, als dass Patrice wieder gesund wird."

Sylvia, die im Krankenhaus arbeitet und täglich mit Schicksalsschlägen konfrontiert ist, hat im Internet einen Spendenaufruf veröffentlicht und an alle mit großem Herz appelliert. "Diese Sammelkasse liegt mir sehr am Herzen, deshalb bitte ich euch, helft mir, Patrice zu unterstützen. Die Familie ist auf Hilfe und Unterstützung angewiesen. Die Kosten für den Umbau des Hauses und andere anfallende Rechnungen kann man im Moment noch nicht abschätzen. Jeder Euro zählt und zusammen sind wir stark."Am Donnerstag hat Mama Christiane voller Hoffnung und Mut geschrieben: "Jeden Tag passieren kleine Fortschritte. Patrice hat 100 000 kleine Schutzengel gehabt. Wir sind so mega stolz auf ihn, dass er so ein starker Kämpfer ist."

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