Siegfrieds "Ja" auf die Frage "Und alles mit ihrem privaten Pkw?" bekommt ein "Aber", denn "die Ersatzkasse spielt gut mit, es gibt Aufwandsentschädigungen. Dennoch bräuchten wir bald ein Vereinsauto, mit dem wir auch unseren Pkw-Anhänger ziehen können: Der wird vom Wegfahren von Grünschnitt bis hin zum Transport von Malerutensilien und noch viel mehr benötigt."
Koordinator und Vereinsvorsitzender Jörg Marwede erinnert sich an seine Anfänge mit der Nachbarschaftshilfe: "Mindestens fünf mal die Woche war ich bei dieser 65-jährigen Frau: Die war alleine, verwitwet, ohne Kinder, wenig Geld, aber viel Zahnarztbedarf."
Vereinsauto wäre toll
Drin in der Küche des Treffpunkts der Nachbarschaftshilfe in der Jugendstil-Villa Am Mittleren Rasen 6 bleibt die Hitze noch halbwegs draußen. Wie bei einem Familientreffen mit der Heimatzeitung geht's dort an einem großen Küchentisch zu, als Siegfried Oeser vor der "Lage- und Dienstplanbesprechung" für alle seine Pasta mit selbstgemachtem Letscho auftut. Siegfried ist 75, seine Partnerin Waltraud Maschur vier Jahre jünger. Aber beide wirken und werden mit ihrem Ehrenamt in der Nachbarschaftshilfe sichtlich jünger.
"Zu der sind wir durch unsere Hospizhelfer-Tätigkeit gekommen, weil wir eines Tages selber etwas Hilfe brauchten", schmunzelt er. Damals sei es nur um praktische, handwerkliche Dinge gegangen. "Wir bauten unsere Garage um, bekamen als ü70-er keinen Kredit mehr. Doch wir hatten stattdessen viele Helfer, die uns mit einer Muskelhypothek zur Seite standen."
Meiningens Kirchenkreis-Superintendentin Beate Marwede und ihrem Mann Jörg sind der Stolz auf die "gern auch mal lustig beisammen sitzende und feiernde Truppe" jetzt richtig anzusehen: "Auf die tolle, mitmenschliche Hilfe, die die Nachbarschaftshelfer - übrigens keinesfalls nur gläubigen Menschen - angedeihen lassen." Obwohl das Engagement von vielen - auch jenen, die heute nicht zur Schichtberatung da sein können - im christlichen Glauben wurzeln.
"Wichtig ist, daran Freude zu haben. Sonst wird's auf Dauer nichts", sagt Jörg, studierter Diplom-Psychologe. Gerade heute muss sich dieser Grundsatz wieder dem Hitzebeständigkeitstest unterziehen, wo doch jeder von der heute siebenköpfigen Runde angesichts drückender Hitze am liebsten nur noch eines will: "In den Faultier-Modus schalten, Beine hoch" sagt Hildegard Heidler lachend.
Mitstreiterin Erika Bertuch ergänzt: "Und jetzt im Schatten oder an der benachbarten Werra abhängen und gar nichts tun." Aus dem Landkreis Gotha nach Meiningen in die Nähe ihrer erwachsenen Kinder gezogen, "assistiere ich zunächst, muss die Stadt, die Mentalitäten und sämtliche Gegebenheiten erst noch kennenlernen".
Wenn sie jetzt mit den anderen gleich wieder ausschwärmt, erinnert sie dies als geübte DDR-Bürger wohl ein wenig auch an "Timur und sein Trupp" in Arkadi Gaidars Jugendroman von 1940. Nur, dass damals Altersvereinsamung, Demenz oder Alltagshilflosigkeit noch nicht so thematisiert waren, die Generationen näher zusammen lebten. Timors Trupp war zudem auch deutlich jünger.
Doch gerade deshalb habe man wohl eher ein Gefühl dafür, dass - und wie - alte oder sonst irgendwie gehandicapte Menschen dankbar sein können. Wenn sie an ihnen herzliche Vertrauenspartner finden, die willens und in der Lage sind ihnen zur Seite zu stehen. Als helfende Hand in Alltagssituationen. Oder: Um sich allen Kummer und Schmerz vom Herzen reden zu können. Dann, wenn die Kinder oder Enkel längst weit weg von daheim sind, schnelle "Hallo, wie geht's?"-Besuche nur noch sporadisch nach Hause führen.
Bis in die Rhön
Koordinator Jörg Marwede kriegt rasch die wichtigsten Nächstenhilfe-Aufgaben zusammen und weiß dennoch, dass sie sich nicht einfach katalogisieren lassen: "Allein, wie viel Kraft man bei demenzkranken Menschen benötigt. Ob unsere Lisa, Brigitte, die Anna... Und fast jeder von uns kommt nicht ohne ganz ähnlichen Erfahrungen aus seinen Familien- und Freundeskreisen. Demenzkranke kennen oft keine Freunde oder Rücksicht. Solch eine böse Krankheit!"
Die ehrenamtliche Nachbarschaftshilfe reicht inzwischen von Meiningen bis in die Rhön. Regionen, in denen durch Wegzug der Jugend das Durchschnittsalter dramatisch steigt. Andererseits haben auch jüngere städtische Familien Unterstützungsbedarf, weiß Hildegard Heidler. Eben dann, wenn die Eltern oder Großeltern zu weit weg leben. Oder schon Probleme hätten, mit den Enkeln mal Spielplätze zu erkunden, ein gescheites Computerspiel hin zu kriegen oder besser aber alte Märchenbücher wiederentdecken. Und heute mal ins Freibad zu gehen."
Das sei "unser Opa & Oma-Service eine feine Sache", sagt Koordinator Jörg. Der freilich künftig auch noch mehr jüngere Mitstreiter für die - übrigens amtlich zertifizierte Nachbarschaftshilfe - brauchen könnte.
Andererseits, so lacht Siegfried: "Außer unserem Jüngsten, dem Daniel mit 35 Jahren - sind wir zumeist ordentlich über 60. Dafür bringen wir auch ordentlich Erfahrungen für all das hier ein. Und Jörg guckt, dass sich keiner übernimmt, von der Hexe geschossen wird."
"Trotzdem", so ergänzt er mit fröhlichem Lächeln zwischen Ironie und einem Hauch Sarkasmus, dass geradezu nach jüngeren Mitstreitern ruft: "Unsere Lea-Sophie wird als Urenkelin bereits acht Jahre , wir haben fünf Kinder und acht Enkel, aber ich befürchte, dass es spätestens ab Urenkel-Generation kaum noch einen Draht zu dem gibt, was unsere Nachbarschaftshilfe ausmacht. Da wartet Arbeit und Nachwuchstraining auf uns, sage ich mal."
Bei der Nachbarschaftshilfe schützt eine Haftpflichtversicherung plus Absicherung bei der Berufsgenossenschaft das ehrenamtliche Tun. Vor Nachwuchsmangel schützt indes nur eine breitere Öffentlichkeit. So wie Ende August beim Sommerfest des Vereins: "Dem Dankeschön an alle Mitwirkenden für das zurückliegende Jahr engagierter Nachbarschaftshilfe", sagt Jörg Marwede beim Blick in seinen Kalender.