Ilmenau Schöne neue Ilmenauer Schlitten-Welt

Ilmenau ist die erfolgreichste Rodel- und Bob-Stadt Deutschlands. Weil das selbst im Thüringer Wald nicht jeder weiß, wollen Schlitten-Enthusiasten diesem Sport ein lebendiges Denkmal setzen - mit einem neuen Erlebnis-Museum.

 
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Ilmenau - Als vor 110 Jahren das erste Bobschlitten-Rennen durchs Gabelbachtal brauste, war noch nicht daran zu denken: Ilmenau könnte mal deutschlandweit die Stadt mit der wohl höchsten Kufen-Olympiasieger-Dichte werden. "Allein sieben Winter-Olympia-Sieger und elf weitere Olympiamedaillengewinne, dazu 43 Europameister- sowie sage und schreibe 27 Weltmeisterschafts-Medaillen wurden nach Ilmenau heim gebracht", sagt Roland Hollaschke.

Der Vorsitzende des 2012 gegründeten Traditionsvereins "Schlitten und Bob Ilmenau" ringt mit 71 Ehrenamtlichen darum, dass die Universitätsstadt auch öffentlich ihrer großen Wintersporttradition und -gegenwart gerecht wird. Der 67-Jährige selbst schaffte es in DDR-Bestenermittlungen im Rennrodeln, arbeitete als Trainer.

Wir sprachen mit Roland Hollaschke, Vereinsvize Norbert Wagner und Vereinsmitglied Reiner Thomä über Schlittensport, Sponsoren und Finanzspritzen.

Meine Herren, welche olympischen und weltmeisterlichen Namen Ilmenauer Provenienz fallen Ihnen auf Anhieb ein?

Roland Hollaschke: Na, beispielsweise schon von Sapporo 1972 Wolfgang Scheidel so wie die Horst Hörnlein und Reinhard Bredow. 1976 brachte Hans Rinn, heute eines unserer aktiven Mitglieder im Verein, mit Norbert Hahn sein erstes Olympia-Gold an die Ilm. Vier Jahre später nochmals mit Norbert die gleiche Gold-Fuhre aus Lake Placid. 1988, in Calgary, war's dann Jens Müller.

Nach der Wiedervereinigung, im Jahr 1992, konnten Stefan Krause und Jan Behrendt in Albertville jubeln. 1998 holte das gleiche Ilmenauer Team in Nagano Gold. 2002 aus Salt Lake City und 2006 aus Turin kam Jan vom Vierer und Zweier auch als Olympiasieger heim; 2010 dann gleich nochmal Andres Triumph mit dem Zweier in Vancouver.

Direkt nach der Wende, als Wintersportbegeisterte damit begannen, die Spuren der Ilmenauer Wintersport-Erfolge zu sichern, war noch gar nicht an aktuelle Erfolge wie zuletzt Dajana Eitbergers Silber in Pyeongchang zu denken.

Norbert Wagner: Oder Dajanas Olympia-Dress, das sie uns gerade übergeben hat. Das fand in unserem Mini-Museum eine würdige Nachbarschaft, neben vielen historischen Schlitten, Dokumenten, Pokalen, Medaillen, Fotos und anderen Ausstellungsstücken: Etwa die 46 Jahre alte Sapporo-Ausstattung von Wolfgang Scheidel.

Herr Wagner, warum schmunzeln Sie jetzt so?

Norbert Wagner: Ich muss daran denken, wie ich gleich nach DDR-Ende einen Rennrodel fand. Im Sperrmüll! Solch ein Ding zu besitzen, war mal der Traum vieler Kinder hier in den Bergen. Umgeben von so vielen Wintersport-Assen unserer Stadt, wuchs in mir bald die Sammlerleidenschaft für Rennschlitten- und Bob-Equipment aus drei Jahrhunderten.

Ich e habe auch die Geschichten unserer Sportler dahinter entdeckt. Wie sie trainierten - oft zuerst ängstlich, später immer leidenschaftlicher und disziplinierter. Wie sie durch die Eisrinnen dieser Welt schossen, Siege und Niederlagen verkraftet haben.

So kam eines zum Anderen, es gab viel Interesse und Unterstützer. Auch seitens der Stadt, die für alle aufwendigen, praktischen Dinge uns Ehrenamtliche hatte. So wuchsen Idee und Gestaltung der Schlittenscheune. Hier, in der Langewiesener Straße, gleich hinterm Bahnhof um die Ecke der Eishalle, präsentieren wir unsere gesammelten Stücke.

Kürzlich war Ute Oberhoffner bei einem spannenden Podiumsgespräch , sie wurde nach Sponsorenerfahrungen aus DDR-Zeiten gefragt. 1988 war sie ja mit Silber aus Calgary zurückgekommen, und sie ist heute noch ehrenamtlich im Nachwuchssport engagiert. Es waren Familie, Schule, Betriebe und schon damals massenhaft rührige Ehrenamtliche, dazu der Staat, die die Leistungspyramide aufzubauen halfen.

Als Kreis-Vorsitzender des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft (BVMW) weiß ich, wie sehr sich heute auch kleinere Firmen für den Sport engagieren. Und vergessen wir mal nicht, wie sehr heute aktive Wintersportlerinnen - neben Training, Ausbildung oder Studium - auch in ihrer Sponsorenarbeit Höchstleistung bringen.

Roland Hollaschke: Unsere Dajana Eitberger und ihre erfolgreichen Bob-Kolleginnen Christin Senkel - übrigens ebenfalls aus Ilmenau - und die 2018er Olympia-Gold-Frau Mariama Jamanka erzählten gerade von diesen Zweitberufen: Von Termin zu Termin, von Sponsor zu Sponsor.

Professor Thomä, Ihnen musste der Verein heute nicht nachrennen, sie sind selbst gekommen, um einen vierstelligen Euro-Betrag los zu werden?

Reiner Thomä: Ja, das ist aber verglichen mit den Sport-Sponsoren ein kleineres Sümmchen. Ich wurde an der TU Ilmenau in den Ruhestand verabschiedet. Dann meine Abschlussfeier mit vielen Gästen. Und weil ich mit den üblichen Mitbringseln keinen Blumenladen aufmachen wollte, bat ich lieber um Spenden für diesen guten Zweck hier.

Als ich 1971 zum Studium nach Ilmenau kam, fand ich nur langsam heraus, was es mit den zuwachsenden Kurven in Hängen zwischen Bobhütte und Kickelhahn einst auf sich hatte. Im Uni-Archiv fand ich später Dokumente, wie vor mehr als hundert Jahren norwegische Studenten des damaligen Technikums ihren Langlauf- und Bobsport mit her brachten.

Norbert Wagner : Ebenso belegt ist in unseren Dokumenten, dass 1927, bei Einweihung der späteren Bobbahn auch solch ein Team an den Start ging. Davon erzählt auch unser Exponat des Norwegerschlittens hier.

Reiner Thomä: In DDR-Zeiten wurde an der Hochschule übrigens auch zur Materialoptimierung der Schlitten geforscht. Also: So viele Ilmenauer Namen auf den olympischen und WM-Siegertreppchen. Klasse, dass es diese Vereins-Initiative mit derartigem Bemühen gibt, um die extrem hohe Ilmenauer Wintersport-Weltspitzenpräsenz auch als Sehenswürdigkeit der Stadt präsenter zu machen.

Neben dem Goethe-Häuschen am Kickelhahn und im Amtshaus? Derzeit ist die Schlittenscheune ja eher ein Traditions-Kabinett. Wie soll das künftig im Stadtbild Platz greifen?

Roland Hollaschke: Die Heimatzeitung hat unserem Anliegen nicht erst seit Vereinsgründung 2012 geholfen, öffentliches Interesse zu finden. Ihre aktuelle Aktion "Finanzspritze" oder Spenden wie eben gerade die vom Professor könnten weitere Bausteine für unser Ziel sein.

Vor dem Museums-Wegweiser der Stadt ist man fix an Ihrem - pardon - Hinterhofgaragenbau der Schlittenscheune vorbeigefahren. Sie wollen hier hinten echt anbauen?

Norbert Wagner: Nein (lacht) . All unsere Bemühungen, all die Kleinarbeit, die Archivrecherchen, Zeitzeugengespräche, die -Beschaffungen von Fotos und Exponaten:Dies alles muss bald einen angemessenen, nach außen im Stadtbild gut wahrnehmbaren Rahmen bekommen.

Da sollen mal viele Touristen, auch die offiziellen Gäste von Stadt, Wirtschaft, Uni und Politik und vor allem Schulen und Nachwuchssportler neugierig werden. Darauf, dass wir eben nicht nur eine der Goethestädte sind, von denen es so viele gibt.

Weil der Rodelclub Ilmenau bei uns Mitglied ist fließen unsere Bemühungen zusammen. Ilmenau soll auch künftig beim Rennrodeln einen guten Klang haben. Klappt aber auch nur durch dessen enormes Ehrenamtsmühen für den Rodel-Nachwuchs.

All dem wollen wir bald einen angemessenen Rahmen geben, der die Traditionspflege mit dem aktiven Erleben verbindet, es soll Rennrodeln auch im Sommer und zum Anfassen geben.

Sozusagen mit einer Rüttelplatte als 3-D-Eiskanal-Fahrsimulator wie im Babelsberger Filmmuseum? Für Familien als Ferien- oder Wochenendziel?

Roland Hollaschke: Genau so. Wir setzen alles an den Baubeginn zur "Erlebniswelt Schlitten & Bob" im Jahr 2022. Das wird kein "Bitte nichts berühren"-Museum. Ein Grundstück zwischen Eissporthalle und unserer jetzigen Schlittenscheune steht bereit, die Entwurfsplanungen liegen vor. Alles ehrenamtlich erarbeitet. Auf 1000 Quadratmetern, Gebäude mit Bob-Aerodynamik. Da könnten es junge Leute vielleicht auch "ganz geil" finden, sich für Rodel- oder Bobsport zu erwärmen. Schulen können Projekte zur Physik des Rodelns machen und, und ...

Das soll alles über Ehrenamtliche und Spenden-Akquise machbar sein?

Norbert Wagner: Wie beim Rodeln selbst, ist der Start entscheidend. Im Vorjahr habe ich das Fraunhofer-Institut Leipzig mit seinem preisgekrönten Crowd-Funding-Projekt eingebunden. Neben Firmen- und Einzelspenden und vielleicht ja auch der Finanzspritze der Zeitung, wird das erfahrene Institut Gelder im Umfang mehrerer hunderttausend Euro von potenziellen Mitgründern einsammeln". Mit dieser Start-Treibladung in der Hinterhand dürfen wir uns dann bei vielen Fördertöpfen anstellen: Vom Bund, Land bis zur Kommune. Von der Tourismus- bis zur Sport- und Städtebauförderung.

Aber bevor dann hoffentlich Bagger und Betonbirne anrollen, ist noch viel, viel Ehrenamtsarbeit nötig. Interview: Klaus-Ulrich Huber

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