Thüringer helfen "Hallo, uns gibt's alle noch!"

Klaus-Ulrich Hubert

Was macht eigentlich ...?" Diese Frage nach Menschen und ihren Schicksalen, über die wir seit der ersten "Thüringer helfen"-Seite vom 23. Januar 2010 schrieben, um mit Lesersolidarität helfen zu können, wird oft gestellt. Wir haben nachgefragt.

 
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Das Beste kommt nicht zum Schluss. Denn "unser Ben", wie eine Schmalkalder Leserin den kleinen Meininger Jungen nannte, hatte bei unserem ersten Bericht ("Packen Sie, Ihr Kind hat Krebs!" vom 4. August 2017 ) noch ein mehr als halbjähriges Martyrium vor sich: Schmerzen, Kraft- und Schlaflosigkeit, offene Haut, Chemotherapie-Qualen in der Erfurter Onkologieklinik.

All dies an der Seite seines Vaters Alexander und der Oma Eva, die rund um die Uhr am Therapiebett gewacht hatten. So hielt Ben tapfer durch. Ende April kam er wieder nach Hause nach Meiningen.

Wie auf einer meterlangen Perlenschnur sind sie dort von ihm aufgereiht: die bunten Symbole der bereits überstandenen Blutkrebs-Therapien. Nahezu täglich fuhr auch Mutter Nadine, sobald es ihre täglichen Pflichten daheim zuließen, nach Erfurt.

Auch, damit in all dem Unglück beispielsweise nicht auch noch ihr altes Auto irgendwo bei den täglichen Besuchsfahrten zwischen Meiningen-Nord, Rennsteigtunnel und Erfurter Kreuz den Geist aufgab, gab es die Spendenaktion "Ben". Für die haben die Leser der Südthüringer Heimatzeitungen bis heute #d### Euro zusammengetragen.

Freunde Edy und Don

Doch die Lesersolidarität, das Mitgefühl reichten viel weiter. Vor allem Beschäftige der Benshäuser Firma Veritas fühlten, einer Partnerschaft ähnlich, mit Familie Wenk und ihrem trotz aller Krankheitsqualen aufgeweckten Sohn. Eine anrührende Unterstützung, die seitens der Gebenden wie der Nehmenden ebenso unvergessen bleibt wie die ersten Schritte zur Hilfe durch deren Initiatorinnen Elvira Thomae und Susanne Klapka von der Lebenshilfe.

Ben, der heute dreijährige Bruder seiner fünf Jahre älteren Schwester Zoey und dem damals gerade mal vier Monate alten Baby Nele sowie die Eltern Alexander und Nadine Wenk erlebten dieses Jahr ein besonderes Ostern:

Denn Ben wurde von seiner Meininger "Max & Moritz"-Kindergartengruppe so herzlich "wieder zurück begrüßt, als sei er nie wirklich weg gewesen", so formulierte es Helena Vogtmann strahlend.

Vor allem seine allerbesten "alten Freunde" Edy und Don, so die Leiterin von Bens Schäfchen-Gruppe in der Awo-Kita am Haselbusch, freuten sich hier sehr darüber.

Und als Ben vergangene Woche beim Telefonieren in seiner Gruppe so richtig Spaß hat, kann er sich fast schon wieder die Haare raufen. Sein strohblonder Jungen-Schopf ist nach knallharten Chemotherapien schön nachgewachsen, da freuen sich Eltern, Geschwister und Großeltern. Vater Alexander kann nun wieder zu seiner Arbeit bei der Lebenshilfe Meiningen.

Ende gut, alles gut?

Die Familie und auch seine Kollegen hoffen sehr, dass die anstehende MHT-Untersuchung in der Erfurter Krebsklinik am 28. Mai nur gute Neuigkeiten bringen wird. Und dass sich die wechselhaften Blutwerte stabilisieren, die blauen Flecken und abendlichen Schmerzen in Bens Beinen endlich weniger werden.

Denn bei aller Freude über das zurückgewonnene, fast normale Leben des Jungen steht fest: "Auch daheim muss er seine Chemo weiterführen", so Vater Alexander Wenk.

"Geschafft, Mädla!"

Bevor "Freies Wort hilft - Miteinander Füreinander" am 3. November 2010 unter dieser Überschrift den Erfolg der Spendenaktion "Janet" vermelden konnte, hatten das Hilfswerk und die Heimatzeitung auf das Kräftebündeln mit dem neuen Zeitungs-Format gebaut.

Die erste "Thüringer helfen"-Seite vom 23. Januar 2010 griff die Empathie und Unterstützungsbereitschaft der Leserinnen und Leser aus den vielen Dutzend vorangegangenen Unterstützungsaktionen auf, die "Freies Wort hilft" seit seiner Gründung im Jahr 1998 angestoßen hatte.

"Ich will doch nicht anderen zur Last fallen", sagte die damals 31-jährige Sonnebergerin Janet Meinhardt über ihre "Lebens-Achterbahn, die oft entgleiste".

"Ganz aus der Spur geraten" war vor und noch während unserer Hilfeaktion die Entwicklung ihrer Krankheit, Multiple Sklerose (MS). Zuhause "wie besoffen immer an der Wand lang, die Beine wollten bald gar nicht mehr. Wie soll ich also den bislang autogestützten Familienalltag mit allen Erledigungen packen?"

Alles schlimm genug, als die zweifache Mutter nach mehreren Fehlgeburten und all der Gewalt, die sie in ihrer ersten Partnerschaft erlebt hatte, damals vor elf Jahren die Diagnose "MS" bekommen hatte.

Bevor "Freies Wort hilft" den wesentlichen Anteil eines ausschließlich auf Handbedienung und automatische Rollstuhlaufnahme umgebauten Autos zusammen hatte, bekamen Janet und unsere Aktion aus Ostthüringen Unterstützung: Alexander Hübner.

Selbst an den Rollstuhl gebunden, unterstützte der schwer gehbehinderte Rentner fortan zahlreiche "Freies Wort hilft"-Aktionen der Art, wie Hübners bundesweit agierender Verein heißt: MMB Mobil mit Behinderung.

Janet Meinhardt war 31, als sie in der harten Welt der Behinderten ankam und daher alle Lebenspläne über den Haufen werfen musste.

Von der MS überholt

Als Alexander Hübner als MMB-Vorstandsmitglied vor acht Jahren in Zeulenroda gemeinsam mit "Freies Wort hilft" den umgebauten Spezial-Pkw an Janet übergab, war nur noch einer schneller als die junge Frau mit Gas, Kupplung, Schaltung und Bremse am Lenkrad: Ihre MS-Erkrankung.

Jetzt, fast ein Jahrzehnt später, im Mai 2018, da lacht sie: "Wenigstens bin ich jetzt auch Oma geworden und ich war extra für den Zeitungs-Besuch heute beim Friseur." Dann wird die junge Frau schnell ernst und schaut auf ihr verwaistes Trainingsgerät in der Wohnung.

Hartz und Pflegegrad IV

"Hier, Wasser in den Beinen, teilweise Windeln um, keinen Schritt mehr, ohne dass mein Mann und der Rolli bereit stehen: "Scheißleben, Pflegegrad vier, Hartz vier. Und den Führerschein gebe ich vor dem nächsten teuren Gutachten zur Fahrtüchtigkeit besser ab."

Ihr damals 18 Jahre alter Corsa ist längst eingestampft, Janets aus Spenden finanzierter "Freies Wort hilft"-Passat steuert heute Marcel zu ungezählten Arztterminen und Erledigungen mit den Kindern.

Mit ihrem etwas jüngeren Mann - der selbst zwei Knie-OP hinter sich hat - verbinden Janet 14 Ehejahre. Und die Not: "Ich kann ja keinen Meter ohne ihn unterwegs sein. Nicht mal aufs Klo!"

Wie zur Bestätigung bellt die kleine Hündin Emma unter Janets Rollstuhl, unter dem sie zwischen den Rädern ständig anhänglich, wie unter einem rollenden Baldachin, durch die Wohnung mit tippelt.

"Ich will und kann auch in kein Krankenhaus", sagt Marcel von Janet auf seinen Knie-Schmerzmittelverbrauch angesprochen, weil: "Was wird'n dann hier aus ihr?"

Doppelter Druck

Herrlich und nach allen Seiten offen und üppig blühend: So zeigt sich in diesem sonnigen Frühling die Landschaft in der Gemeinde mit dem trefflichen Namen Rhönblick. Besonders schön hier in der südwestlichsten Ecke Thüringen: Das historische Ortskern-Ensemble im Ortsteil Helmershausen. Hier haben Elke und Hartwig Schuchardt ihre Gärtnerei.

Vor genau acht Jahren, an einem Frühlingstag wie heute, erzählte Elke Schuchardt unserer Zeitung vom Traum ihrer Familie: "Endlich mal wieder eine Nacht durchschlafen, mit meinem Mann ein paar Tage sorgloser gemeinsamer Erholung verbringen", sagte sie.

Damals 27-jährig, so ist ihr geistig und körperlich schwer behinderter Sohn Cedric seit jeher ihre Rund-um-die-Uhr-Lebensaufgabe. Hydrocephalus internus (Innerer Wasserkopf) hieß die ärztliche Diagnose für den Sohn , die das weitere Familienleben bestimmen sollte.

Doch die düstere Prognose "ihr Sohn wird das vierte Lebensjahr kaum überleben" erübrigte sich bald. Auch wenn Cedric im Entwicklungsstadium eines Kleinkindes Alters blieb.

Spendenunterstützung wollte die Familie damals schon deshalb nicht, weil in Haiti drei Monate zuvor für die bettelarme Bevölkerung buchstäblich die Welt untergegangen war. "Freies Wort hilft" und die Leserschaft hatten damals alle Kraft auf den Wiederaufbau einer zerstörten Dorfschule inmitten von über 200 000 Erdbeben-Toten auf der gebeutelten Karibikinsel aufgewandt .

"Nur eine geeignete Kurzzeitpflege Cedrics für Auszeiten von unserer häuslichen 24-Stunden-Pflege Cedrics", so lautette damals die händeringende Bitte der Schuchardts.

Und es zeigte sich: Eine frisch gedruckte Regionalzeitung kann mithin auch dezenten, produktiven Druck auf behäbige behördliche Entscheidungen ausüben ... "Zwischen Heimaufsicht, Landesverwaltungsamt und Hauptstadt war irgendwann nach der Veröffentlichung Bewegung auszumachen", resümiert Elke ihre damals ungezählten verzweifelten Bittsteller-Gänge zu den Sachbearbeitern der Behörden. Weil es eben "erstmal lange niemand gab, der einfach mal zugunsten eines schwerkranken Menschen entscheidet, statt für oder gegen eine ... Sache!"

Im Kern ging es nur um einen sehr gefragten Kurzzeit-Pflegeplatz in Hildburghausen-Birkenfeld, weil Cedric für andere Pflegeplätze "entweder zu krank oder zu gesund" gewesen sei. Obwohl Cedrics Eltern von den Jahrzehnten ihres Behördenkampfes" irgend wann mindestens so erschöpft waren, wie von der täglichen Herausforderung bei Pflege ihres geliebten Sohnes:

Sorgenfreies Pfingstfest

Ihr optimistisches Lachen zur Begrüßung vor wenigen Tagen mit dem Satz "Uns gibt's alle noch!" hatte Cedrics Mutter Elke schon im April 2010 drauf. "Und raten Sie", sagt sie: "Den gefragten Birkenfelder Platz haben inzwischen schon für drei Jahre immer Ende Dezember buchen, wenn Cedrics hochbetagte Oma Geburtstag hat. Und dank der Kurzzeitpflege wird diesmal auch unser Pfingsten frei von Nachtschichten."

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